Sahra Wagenknecht ist so gut wie weg, Parteichefin Katja Kipping hat offenbar keine Lust mehr, die Bundestagsfraktion wurstelt lethargisch vor sich hin. Einzig Fraktionschef Dietmar Bartsch versucht Die Linke zu führen. Wohin auch immer.
Scheinbar gut gelaunt kommt Fraktionschef Dietmar Bartsch zur letzten Fraktionssitzung seiner Partei vor der Sommerpause. Wie immer im korrekten Anzug und leicht geschminkt, darauf achtet er ganz besonders. Nicht dass er eitel wäre, aber auf den Fotos oder im Fernsehen sieht „das immer ziemlich gestresst aus, wenn da mein Gesicht wie eine Speckschwarte glänzt", hat er mal FORUM am Rande verraten. Und gestresst will er absolut nicht rüberkommen, auch wenn er sich an diesem brachial-heißen Tag Ende Juni mal so richtig geärgert hat.
Einem Zeitungsinterview im Vorabdruck durfte Bartsch entnehmen, dass sich Linke-Chefin, pardon Co-Chefin – da gibt es ja noch jemanden – also dass sich Katja Kipping auch ein Leben ohne Politik gut vorstellen kann! Dem schob sie dann aber pflichtgemäß nach, dass das jetzt nicht heißen würde, dass sie aufhören wolle. Ja, was denn nun? Fraktionschef Bartsch tat dies erst mal als eine „Überlegung, die sich jeder Politiker mal stellt, der in diesem Betrieb zu tun hat", ab. Doch diese grundsätzlichen Überlegungen der Parteichefin kommen zur absoluten Unzeit. Das Ergebnis der Linken bei der Europawahl darf getrost als Katastrophe bezeichnet werden: 5,5 Prozent. Das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Nicht mal die damalige Vorläufertruppe von der PDS hatte in ihren Krisenzeiten weniger bei einer Europawahl. Kurz darauf hatte Kipping ja auch gleich ausgeschlossen, dass sie Sahra Wagenknecht als Co-Fraktionschefin im Bundestag nachfolgen wolle. „Ich möchte jetzt in dieser Situation meine ganze Energie in das Zukunftsprojekt neuer linker Mehrheiten und in den Dialog zwischen Partei und Gesellschaft stecken", so die 41-jährige Ende Mai, direkt nach der Europawahl-Katastrophe.
Desaströse Europawahl
Einen Monat später denkt Kipping nun dann gleich mal über einen völligen Schnitt in ihrem Leben nach, um vielleicht auch mal was ganz Neues machen zu können. Zuversicht in die eigene Partei klingt anders. Links-Fraktionschef Bartsch beschleicht in diesen Sommertagen das dumpfe Gefühl, seine Partei habe ein ähnliches Problem wie die Genossen von der SPD. Alle wollen helfen, aber keiner hat wirklich Bock drauf.
Dietmar Bartsch selbst kann damit allerdings ganz gut leben. Nun könnte ein lang gehegter Wunsch des 61-Jährigen in Erfüllung gehen und er könnte jetzt fast ein Jahr lang die Bundestagsfraktion allein führen, bis zum ordentlichen Parteitag im kommenden Frühsommer. Doch die letzten Wochen zeigen: Wenn die Linke-Bundestagsfraktion Schlagzeilen macht, dann immer nur durch schlechte Nachrichten. Fast. Es gibt da noch Ausnahmen, zum Beispiel die unermüdliche Sabine Zimmermann, die Königin der kleinen Anfragen im Bundestag. Was die parlamentarische Sacharbeit angeht, ist die 58-Jährige aus dem sächsischen Zwickau eine der Stützen in der Linksfraktion, die auch mal für ordentliche Schlagzeilen jenseits von Personalquerelen sorgt. Zimmermann, Gewerkschafterin und Sozialpolitikerin, deckt immer wieder Ungereimtheiten bei Hartz IV oder in Armutsfragen auf. Das sind dann die Meldungen, die über alle Agenturen und Nachrichtenstationen laufen. Als Quelle wird dann allerdings nur angegeben, „das geht aus einer kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken hervor". Für den Augenblick sehr schön, doch die abschließend mediale Wahrnehmung bleibt da nur eher begrenzt.
Auch der Berliner Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser kann davon ein Lied singen. „Wir werden einfach nicht wahrgenommen. Wenn ein AfDler irgendeinen Scheiß erzählt, läuft das in den Nachrichten hoch und runter. Wir kommen mit unseren Themen dagegen nicht durch", so einer der Hoffnungsträger der Linken aus Kreuzberg. Das Grundproblem des Populismus eben. Wer auf den Schlamm haut, kommt auf den Titel. Darunter leidet nicht nur die „große Bundespolitik" der Partei, sondern auch die Basis in der Provinz.
Zuversicht klingt anders
Michaela Kersten aus Haltern am See in Nordrhein-Westfalen kämpft für die Einführung eines Grundeinkommens. Bei der Linkspartei handelt es sich um die spezielle Form des emanzipatorischen Grundeinkommens (siehe Interview auf Seite 30). Doch die 58-Jährige rennt sich damit die Hacken wund. „Wenn ich dann Leute dafür begeistere, muss ich mir im zweiten Satz anhören: Eure Parteispitze will das doch gar nicht haben. So was ist natürlich Käse." Doch leider wahr. Zwar ist Co-Parteichefin Katja Kipping für ein solches Einkommen für fast alle, doch der Parteivorstand hat sich dagegen ausgesprochen, und somit muss sich Kipping diesbezüglich auch zurückhalten. „Das ist unglaublich. In Berlin läuft auf Initiative der SPD der erste Feldversuch zum Grundeinkommen, und wir als Linke lassen das Ganze in der Versenkung verschwinden", gibt sich Michaela Kersten sauer, aber trotzdem kämpferisch. Derzeit läuft gegen den Willen der Parteiführung ein Quorum bei der Linken, um das Thema „Grundeinkommen", in welcher Form auch immer, wieder auf die Tagesordnung zu setzen. „Wir sind eine sozialistische Partei, da gehört das Thema auf unsere Agenda, vor allem wenn die SPD dazu schon die ersten Feldversuche macht." Es ist aber nicht nur dieses „verschenkte" Thema.
Die Probleme gehen offenbar viel tiefer. „Unsere Außendarstellung ist unterirdisch, denn die meisten wissen überhaupt nicht, dass die Linke eine ökologische Plattform hat", beschwert sich Didem Aydurmus. Die 34-Jährige aus Falkensee in Brandenburg fragt sich nicht ganz zu Unrecht, „warum sagen wir nicht den Leuten klipp und klar: Umwelt und Klimaschutz geht nur mit Verzicht und nicht mit Wachstum. Also mit uns" (siehe Interview auf Seite 31). Die Veganerin sieht gerade in der Debatte um die Rettung des Weltklimas viel linkes Potenzial. „CO² einsparen geht zum Beispiel nur durch strikte Fahrverbote in den Innenstädten. Wenn ein Auto nicht fährt, verbraucht es kein Benzin, und damit gibt es kein neues CO²", so die radikale Logik von Didem Aydormus. Doch dieser Logik will sich die „etablierte Partei" in den Gremien erst recht nicht anschließen. Deutschland und Fahrverbote? Lieber nicht, das kostet Wählerstimmen.
In Teilen bereits zu etabliert
Diese Abwehrhaltung seiner Parteioberen kennt Thomas Hecker seit bald 30 Jahren. Der 54-Jährige aus Erfurt in Thüringen ist einer von vier Sprechern der kommunistischen Plattform in seiner Partei und regt sich über die teilweise Ignoranz der „Berliner" gar nicht mehr auf. Doch die Kommunisten bei den Linken werden zumindest immer noch gehört. „Das liegt natürlich auch daran, dass unser Hauptthema der Frieden ist und wir im Bundestag die letzte Partei sind, die Kriegseinsätze der Bundeswehr, egal wo, ablehnt." Dabei ist Hecker völlig egal, ob es sich um UN-Friedensmissionen handelt oder nicht, was dann immer zu einem Riesenkrach mit der Bundestagsfraktion und den „Gemäßigten" in der Partei führt. „Was ich überhaupt nicht verstanden habe, ist, warum wir beim Europawahlkampf unsere Friedenskarte nicht konsequenter ausgespielt haben, denn das ist das Thema: Frieden." Doch der Sprecher der kommunistischen Plattform hat seit Anfang des Jahres wieder eine Hoffnung: Fridays for Future. „Da wurde eine ganze Generation als völlig unpolitisch abgetan, und dann gehen da Tausende Jugendliche auf die Straße und demonstrieren gegen den Krieg gegen unsere Umwelt. Davor ziehe ich meinen Hut", ist Thomas Hecker beeindruckt. Doch auch hier zeigt sich das Problem, dass die Linke nur wenig Einfluss auf die Schülerdemos hat, da sind die Grünen offenbar gerade auf dem Sprung, diese Bewegung mit Luisa Neubauer für sich zu kapern. Die Linke hat keine Luisa – und steht nur wieder draußen am Zaun.