Das Saarland ohne einen Europaabgeordneten – geht das? Es muss, nach der Europawahl. Und es geht, dank vorzeigbarer Vernetzung. Und die Zeit ohne Abgeordneten dürfte bereits im nächsten Frühjahr vorbei sein.
Gekämpft haben sie, unverdrossen bis zum Schluss. Am Ende kam es aber doch, wie es sich schon lange vorher abgezeichnet hatte. Das europäische Urgestein Jo Leinen (SPD) verpasste den Wiedereinzug ins Europäische Parlament. Roland Theis, ebenso leidenschaftlicher Europäer, gelang es nicht, das verspätete Erbe von Doris Pack anzutreten und für die Saar-CDU einen Platz auf der europäischen Bühne zu erobern. Erstmals stand das Saarland ohne Europaabgeordneten da. An den Saarländern selbst hat das am wenigsten gelegen. Wäre es nur nach den saarländischen Wahlergebnissen am 26. Mai gegangen, sähe es anders aus. Allein der Bundestrend der Parteien verhagelte einen möglichen Erfolg saarländischer Spitzenkandidaten.
Für das Land in Europas Kernregion eigentlich eine kaum vorstellbare Situation. Vorbei die Zeit, als das Saarland gleich vier Abgeordnete auf der Brüsseler Bühne hatte. Die Großregion ist bekanntlich so etwas wie Europa in Kleinformat, lebendiges Europa, wofür alleine die Pendlerströme eindrucksvoller Beleg sind. Nirgends sonst in der EU bewegen sich die Menschen so zahlreich und regelmäßig über die jetzt offenen Grenzen, um beim Nachbarn zu arbeiten, zu shoppen, zu wohnen. Und nirgendwo sonst haben die Bemühungen, im Kleinen Hindernisse allen Hürden zum Trotz zu überwinden, eine derart intensive Tradition.
Stärkerer Fokus auf Frankreich
Ein Ohr und ein Sprachrohr auf der europäischen Parlamentsbühne zu haben, zu wissen, was verhandelt und diskutiert wird, Netzwerke aufzubauen und zu pflegen, über die saarländische und großregionale Belange, Bedürfnisse und Interessen kommuniziert werden, ist im Grunde für eine solche Region unverzichtbar. In der Konstruktion des Parlaments ließen sich solche Belange auch von anderen Abgeordneten aus der unmittelbaren Nachbarschaft mitvertreten. Aber selbst wenn man dort auf offene Ohren stoßen würde, liegt es in der Natur der Sache, dass die eigene Wahlregion nun mal näher liegt. Ansonsten sind bisherige Erfahrungen – die allerdings mit der jetzigen Situation auch nicht ganz vergleichbar sind – nicht gerade ermutigend.
Wenig bekannt ist, dass zuletzt neben Jo Leinen ein weiterer Saarländer im Parlament saß: Stefan Bernhard Eck, gewählt für die Tierschutzpartei, die er allerdings schnell verließ. Er wurde seither auch nicht mehr wahrgenommen. Bemerkenswerte Einsätze für saarländische Belange von Martin Sonneborn (Die Partei) waren in der letzten Legislatur jedoch nicht zu berichten, obwohl der das Saarland auf seiner regionalen Karte mit draufstehen hatte.
Nun sind weder Politik noch Wirtschaft oder Arbeitnehmerseite von dieser Entwicklung völlig auf dem falschen Fuß erwischt worden. Sie können sich allesamt auf langjährige beste Vernetzungen in der Großregion und auf europäischen Ebenen stützen. Das Büro in Brüssel – gemeinsam mit den Nachbarn aus Grand Est – hat sich ein für seine Größe und personelle Ausstattung erstaunliches Standing in der europäischen Hauptstadt erarbeitet, auf das sich die Landesregierung samt Verbänden weiter stützen kann. Derzeit gibt es zwar keine Signale, die Aktivitäten noch weiter zu verstärken. Ob das eine Option sein kann, wird sicherlich diskutiert.
Das gilt womöglich auch für das Standbein in Paris, das wohl noch größere Bedeutung gewinnen wird. Vieles, was bisher in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen dem Saarland und den französischen Nachbarregionen an Fortschritten möglich wurde, setzte einen deutsch-französischen Staatsvertrag oder zumindest Vereinbarungen auf höchster Ebene voraus. Mit dem Aachener Vertrag, der Fortschreibung des deutsch-französischen Elysée-Vertrags, gibt es Perspektiven auf größere Spielräume für die Grenzregionen, die offensiv zu nutzen die Landesregierung bereits in Aussicht gestellt hat. An Ansätzen dafür gibt es keinen Mangel, auf so gut wie keinem Handlungsfeld. Da ist die Zukunft der ICE-TGV-Schnellverbindung ein besonders symbolträchtig-augenfälliges Projekt, aber längst nicht das einzige. Die Universität der Großregion als Europäische Union oder ein Verbund in der IT-Sicherheitsforschung stehen mit oben auf einer längeren Projektliste, auch wenn die Landesregierung den Wunschtraum von der „Europäischen Universität" erst einmal begraben musste. Im Übrigen ist ohnehin davon auszugehen, dass die deutsch-französische Achse, die in der jüngsten Vergangenheit mit mancher Unwucht lief, an Bedeutung gewinnen müsste, wenn sich die EU in der Nach-Brexit-Ära neu sortiert.
Auf Unterstützung aus Brüssel angewiesen
Zudem kommt dem Saarland entgegen, in diesem und dem nächsten Jahr die Präsidentschaft im Gipfel der Großregion sowie dem Interregionalen Parlamentarierrat (IPR) und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion innezuhaben. Der Wechsel erfolgte turnusgemäß, kommt aber in dieser Zeit gerade richtig. Die Landesregierung will die Gipfelpräsidentschaft, also den Vorsitz der Exekutive, insbesondere dazu nutzen, die Arbeitsweisen in der Zusammenarbeit noch einmal zu intensivieren. In der Tat ist vieles in routinierten Abläufen ritualisiert. Zudem hat die Neuorganisation der französischen Nachbarregionen eine Neuorientierung erfordert.
Neuen Elan versprechen auch die Ansätze von Landtagspräsident Stephan Toscani, der seine Leidenschaft für grenzüberschreitende und europäische Zusammenarbeit erkennbar aus der früheren Tätigkeit als Europaminister ins Amt des Landtagspräsidenten nicht nur mitgenommen hat, sondern auch neu interpretiert. Die erste Rede eines französischen Amtsträgers im Landtag (samt Gegenbesuch), der Auftritt des scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker sind mehr als nur Symbole. Bereits die konstituierende Sitzung des IPR mit vielen neuen Köpfen (auch nach der Wahl in Luxemburg) hat neues Selbstbewusstsein signalisiert.
Die Botschaft, als „europäischstes", zumindest aber auf jeden Fall „französischstes" aller Bundesländer ohne eigenen Vertreter in Straßburg und Brüssel dazustehen, ist unerfreulich, kann und wird, so wie es sich abzeichnet, eher sogar noch Ansporn sein, die Zusammenarbeiten auf den anderen Bühnen umso intensiver voranzutreiben. Das ist nicht nur eine Frage saarländischer Staatsraison, sondern angesichts des neuerlichen Strukturwandels und der demografischen Entwicklung schlicht eine Notwendigkeit.
In vielen Fragen ist das Land weiter auf Unterstützung aus Brüssel angewiesen. Ohne Gelder aus europäischen Töpfen wie dem Fonds für regionale Entwicklung und dem Sozialfonds, den bislang wichtigsten Fördertöpfen, wäre schon in der Vergangenheit vieles nicht möglich gewesen und wird es auch in Zukunft nicht sein.
Und wie sich abzeichnet, wird es im kommenden Jahr doch noch eine saarländische Vertreterin im EP geben. Manuela Ripa, Spitzenkandidatin der ÖDP im Saarland, wird wohl für den aus Altersgründen scheidenden ÖDP-Vertreter Klaus Buchner nachrücken. Die 43-Jährige arbeitet seit einigen Jahren als Referentin in der saarländischen Vertretung in Brüssel. Einen Namen hat sie sich zuletzt durch die europäische Bürgerinitiative zur Rettung der Bienen nach dem Vorbild der erfolgreichen bayerischen Initiative gemacht. Die EU-Kommission hatte die Initiative einen Tag nach der Europawahl angenommen. Seither läuft die Frist, binnen eines Jahres in mindestens sieben verschiedenen Mitgliedsstaaten mindestens eine Million Unterschriften zu sammeln. In Bayern hatte die Initiative der ÖDP rund 1,3 Millionen Unterschriften gesammelt. Mit Ripa hätte das Saarland zumindest eine Abgeordnete, die für Aufsehen sorgen kann.