Die Erwartungen waren hoch, zu hoch vielleicht. Der Bericht der Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse hat viele Fragen offengelassen. Generell sei man aber auf einem guten Weg, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke.
Herr Henneke, wenn Sie wählen müssten: Zuerst 5G-Standard flächendeckend oder Direkthilfe vom Bund für die überschuldeten Gemeinden, wofür würden Sie sich entscheiden?
Abgesehen davon, dass der Bund weder die Veranlassung noch die Befugnis hat, die Altschulden für Gemeinden in den betroffenen drei Bundesländern abzutragen: 5G. Das ist eine echte Investition in die Zukunft. Und dafür gibt es nur einen richtigen Zeitpunkt, nämlich heute und nicht morgen. Genau jetzt entscheidet die Politik darüber, wie ernst sie es mit den gleichwertigen Lebensverhältnissen wirklich meint. Und bestimmt darüber, ob der Staat die nötige Kraft hat, mit Glasfaser und 5G die wesentliche Infrastruktur der Zukunft flächendeckend in Deutschland verfügbar zu machen. Unser Land bezieht seine wirtschaftliche Stärke und seinen Wohlstand vor allem aus der dezentralen Struktur aus Handwerk und Mittelstand. Und diese Unternehmen sind meist außerhalb der großen Städte angesiedelt.
Sind die Versorgung mit dem 5G-Netz und der Ausbau von Glasfaserleitungen so wichtig für die ländlichen Räume?
5G ist viel mehr als ein besserer Mobilfunk. Es ist die zentrale Steuerungstechnologie für die digitale Zukunft. Vor allem an den Unternehmensstandorten, an den Verkehrsachsen und auf landwirtschaftlichen Nutzflächen wird 5G benötigt. Sonst stellen sich viele Fragen nach wirtschaftlicher Entwicklung in einer globalisierten Welt gar nicht erst. Es ist doch entgegen vielfacher krummer Beschreibungen tatsächlich so, dass das wahre Herz unserer Wirtschaftskraft im ländlichen Raum schlägt. Nicht umsonst findet man dort auch so viele Hidden Champions. Es ist daher völlig undenkbar, der Fläche diese Infrastrukturen zu verweigern oder nur in minderer Qualität bereitzustellen, sozusagen zweiter Klasse. Der Schaden wäre nicht nur für die Fläche immens, sondern auch volkswirtschaftlich mehr als spürbar, weil wir letztlich den Anschluss an eine sich weiter globalisierende Wirtschaft über kurz oder lang verlieren würden. Das können wir uns im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten. Aber offenbar fehlt es dem Bund bei diesem Thema noch an der nötigen Konsequenz, wie das Agieren der Bundesnetzagentur bei der letzten Frequenzauktion gezeigt hat.
Da muss Ihnen ja damals bei dem Spruch „Nicht an jeder Milchkanne braucht man 5G" die Spucke weggeblieben sein.
Damals war das sicher so, aber vor allem auch deshalb, weil die Bildungsministerin mit diesem Bild den rückwärtsgewandten Eindruck befördert hat, auf dem Lande schleppten die Bauern noch schwere 20-Liter-Milchkannen durch die Gegend. Dabei ist zum Beispiel die Landwirtschaft mit Smart Farming schon viel, viel weiter als viele Städter wissen.
Heute würde ich sagen, dass uns Frau Karliczek damit eher einen Gefallen getan hat, weil sie unbedacht eine despektierliche Provokation gegenüber den ländlichen Räumen formuliert hat, gegen die sich viel und breiter Widerstand formiert hat. Seither weisen wir immer wieder darauf hin, dass wir 5G gerade an jeder Milchkanne brauchen. Das ist auf diese Weise fast schon so etwas wie ein Kampfbegriff geworden.
Inwieweit sind Sie denn von der bisherigen Arbeit von Heimatminister Horst Seehofer enttäuscht?
Das Amt, das er vor eineinhalb Jahren übernommen hat, ist kein einfaches. Und in der Strukturpolitik für die ländlichen Räume etwas Substanzielles zu erreichen, ist keine leichte Aufgabe. Der Querschnittscharakter des Themas zwingt zu engen Abstimmungen mit nahezu allen Bundesressorts, die fachlich zum Beispiel für Breitband, Wirtschaftsförderung oder ländliche Entwicklung zuständig sind. Dennoch ist es bis zur Hälfte der Legislaturperiode immerhin gelungen, im Bund ein neues Bewusstsein für diese wichtigen Fragestellungen zu schaffen und mit der Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse ein Vehikel zu haben, aus dem große verändernde Kraft für die verschiedenen Räume in Deutschland ausgehen kann. Wenn man es denn richtig nutzt und das politische Engagement durchträgt.
Aber nun soll die Förderung nicht mehr nach Himmelsrichtung sondern nach Bedarfen erfolgen. Kommt dies nicht dem Eingeständnis eines großen Fehlers gleich?
Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung und angesichts eines auslaufenden Solidarpakts ist es richtig, die Förderschwerpunkte zu überdenken. Daher kann man nicht sagen, dass das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, falsch war. Nur muss man eben auf der Höhe der Zeit und der Entwicklung bleiben.
Klar ist aber auch, dass der Osten auch in Zukunft noch Unterstützung brauchen wird. Gerade weil er eben strukturschwächer ist als der Westen.
Aber die Neuentdeckung der ländlichen Räume und deren Förderung könnte sich ja auch ganz schnell zu einem Konflikt zwischen Stadt und Land hochschaukeln.
Es muss uns allen klar sein, wofür die Kommission eigentlich eingerichtet worden ist: für die besonderen Belange der ländlichen Räume und gerade nicht für die Ballungsprobleme großer Städte oder gar für Fragen ohne räumlichen Bezug wie zum Beispiel die Kinderbetreuung oder die Barrierefreiheit. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Daher ist unsere Erwartungshaltung hoch. Wenn es dann darum geht, den Kreis der Begünstigten zu erweitern und auch notleidenden Ruhrgebietsstädten bei wirtschaftlicher Strukturschwäche zu helfen, bedarf das natürlich zusätzlicher Bundesmittel. Viel hängt dabei von Details ab, die noch zu besprechen sein werden. Wesentlich ist uns, dass das eigentliche Ziel einer Stärkung der ländlichen Räume dabei handlungsleitend ist.
Das heißt, hier wird ohnehin schon freigegebenes Geld einfach nur neu verteilt?
Nein, das wird nicht reichen. Notwendig ist schon ein signifikanter Geldbetrag, obwohl sich das bei der Wirtschaftsförderung nicht etwa in Größenordnungen von mehreren Milliarden Euro bewegen muss. Denn über die Kofinanzierungsanteile von Ländern, Kommunen und EU haben Sie einen weitaus größeren Hebel als die vom Bund dafür eingesetzten Mittel suggerieren. Und dann kommen natürlich noch die Unternehmen selbst hinzu. Hier gilt die Faustregel, dass jeder staatliche Euro etwa sieben Euro an Investitionen auslöst. Da kommt man dann sehr schnell auf sehr hohe Summen.
Anderes Thema: Bei der Entschuldung der Gemeinden tritt man offensichtlich auf der Stelle, denn dass der Dreiklang Bund-Länder-Kommunen gemeinsam den Schuldenabbau meistern muss, ist ja auch nicht ganz neu.
Dieser Dreiklang ist ein Grundübel, weil Sie auf diese Weise alles Mögliche in einen Topf werfen und am Ende von „gesamtstaatlicher Verantwortung" sprechen, wobei es uns das Grundgesetz eigentlich relativ einfach macht festzustellen, wer in unserem Lande für was konkret verantwortlich ist. Und das bedeutet für die Frage kommunaler Altschulden: keinesfalls der Bund, sondern Länder und Kommunen. Punkt.
Rheinland-Pfalz, das Saarland und Nordrhein-Westfalen für das Ruhrgebiet müssen daher ihre teilweise bestehende Altschuldenproblematik allein bewältigen, denn sie haben sie auch allein zu verantworten. Zuletzt hat beispielsweise Hessen vorgemacht, wie das geht. Daran sollten sich diese Länder ein Beispiel nehmen und nicht wieder und wieder nach dem Bund rufen, der ihre Misere richten soll. Und zum Schluss: Die Altschuldenfrage ist eben gerade kein deutschlandweites Phänomen. Schon deshalb verbietet sich eine Solidarität des Bundes bereits im Ansatz. Denn was soll der Bund dann den 13 anderen Ländern sagen, die zum Teil aus eigener Kraft dieses Problem bereits bewältigt haben?