Großkonzerne kündigen Entlassungen an, die Kurzarbeit steigt, wenn auch nur leicht, die Zeitarbeit geht zurück. Das sind erste Warnsignale. Trotz der Unheil verkündenden Schlagzeilen in manchen Medien ist von Krise auf dem Arbeitsmarkt aber nichts zu sehen – noch jedenfalls.
Zwei Wörter waren über Jahre in Deutschland praktisch nicht mehr zu hören: „Entlassungen" und „Kurzarbeit". Nochmal zur Erinnerung: Bei Kurzarbeit verliert jemand seine Arbeitsstelle oder er arbeitet nur noch ein paar Stunden pro Woche – wenn überhaupt. Er behält dabei seinen Job und bekommt von der Arbeitsagentur ein Kurzarbeitergeld, bezahlt aus der Arbeitslosenversicherung.
Über Jahre der guten Konjunktur und der hohen Exportzuwächse stellten die Unternehmen immer weiter ein. Es schien immer nur aufwärts zu gehen. Doch was passiert nun? Großkonzerne kündigen Entlassungen an: Volkswagen, Ford, Bayer, Siemens, Thyssenkrupp und zuletzt die Deutsche Bank. BASF und Daimler warnen, ihre Umsätze und Gewinne würden dieses Jahr geringer ausfallen. Wohlgemerkt: Das sind Ankündigungen einzelner Unternehmen, die Beschäftigung liegt laut Statistik für die deutsche Volkswirtschaft noch immer auf einem Rekordhoch: Mit 45,3 Millionen waren in Deutschland nie mehr Menschen in Lohn und Brot als heute. Aber es sind eben große und bekannte Unternehmen, die Stellen abbauen wollen.
Beschäftigung noch immer auf Rekordhoch
Und es gibt weitere Warnsignale: Seit Mai nimmt die Kurzarbeit deutlich zu, auf niedrigem Niveau zwar, aber dennoch spürbar. Unternehmen, die zu diesem Mittel greifen, haben derzeit zu wenige Aufträge, ihre Verkaufslager sind voll, aber sie glauben offensichtlich, dass sich das bald wieder gibt. Sie entlassen daher nicht, sondern reduzieren nur die Arbeitszeit. Am stärksten betroffen sind derzeit spezielle Fahrzeugindustrien, also „alles außer Autos": Schiffsbau, Waggonhersteller, Flugzeug- und Panzerbauer. Laut einer aktuellen Umfrage des Münchner Ifo-Instituts unter Unternehmen haben hier immerhin 30 Prozent der Firmen auf Kurzarbeit umgeschaltet. In der Textilindustrie sind immerhin 25 Prozent der Firmen von Kurzarbeit betroffen. Insgesamt sieht es in der Industrie zwar besser aus – aber: Überall rechnen die Firmen für die kommenden Monate mit einem deutlichen Anstieg. „Für Deutschland wichtige Branchen werden dann stärker betroffen sein, zum Beispiel Automobil, der Maschinenbau und die Chemie", sagt Timo Wollmershäuser, Leiter der Konjunkturforschung des Ifo.
Ein zweites Warnsignal ist die Zeitarbeit. Lange Zeit, seit der Erfindung dieser neuen Beschäftigungsform, stieg die Zahl der Beschäftigten bei Zeitarbeitsfirmen, die Personal auf Zeit verleihen, an. Seit einem guten Jahr nicht mehr:
„Die Zahl der Beschäftigten in der Zeitarbeit sinkt. Dies hängt mit der Neufassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zusammen, aber auch mit der schwachen Konjunktur", so Enzo Weber, Arbeitsmarktexperte und Professor an der Uni Regensburg. „Bei Auftragsschwächen beziehungsweise einem konjunkturellen Abschwung zeigen sich die Auswirkungen daher besonders früh und deutlich bei der Zeitarbeit." Das scheint nun der Fall zu sein.
Die Erklärung dafür liegt nahe: Wenn der Absatz stockt und die Produktion heruntergefahren werden muss, entlässt man nicht, sondern reduziert erst mal den Einsatz der Zeitarbeitsfirmen und greift zur Kurzarbeit, zumal die durch die Arbeitsagentur abgefedert ist. Es ist wie auf der Autobahn: In der Ferne ist etwas zu sehen, es könnte ein Stau sein. Bevor man bremst, nimmt man erst mal nur den Fuß vom Gas und lässt den Wagen laufen. Zum Bremsen wäre es noch zu früh. In dieser Zwischenphase befindet sich die deutsche Wirtschaft derzeit. Wird dann klar, dass da vorne wirklich ein Stauende ist, dann treten die Konzernchefs auf die Bremse und entlassen. Und das könnte dann auch kräftig ausfallen.
Die ersten Anzeichen einer Abschwächung sind da: „Nach wie vor machen der Branche die globalen Handelskonflikte, die lahmende Autoindustrie sowie die anhaltenden Unsicherheiten in Politik und Wirtschaft zu schaffen", sagt Phil Smith, Ökonom bei der Analysefirma IHS-Markit. Der sogenannte Einkaufsmanagerindex, den seine Firma monatlich veröffentlicht, zeigt nun schon seit einem halben Jahr, dass die Produktion in der deutschen Industrie sinkt, nachdem es jahrelang immer nur aufwärts ging.
Manche reden und schreiben schon von „Krise", vom „Ende des Jobwunders" oder von „Alarmstufe Rot" bei der Autoindustrie. Noch ist das, wie üblich, völlig übertrieben. Aber es gibt keinen Zweifel mehr, dass die Konjunktur in Deutschland seit etwa einem Jahr schwach ist, und es könnte auch noch unangenehm werden. Die in einer abwägenden und vorsichtigen Sprache geübten Ökonomen der staatlichen Deutschen Bundesbank schreiben: „Die Konjunktur in Deutschland kühlt sich gegenwärtig spürbar ab." Die Industrie sei im Abschwung, da sie unter dem schleppenden Exportgeschäft leide. Die Experten der Bundesbank rechnen für das laufende Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von nur noch 0,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist im Vergleich wenig. Im Dezember hatten sie für die deutsche Wirtschaft noch ein Wachstum von 1,6 Prozent für 2019 prognostiziert. Grund dafür sei vor allem die schwächere globale Nachfrage, die die deutschen Exporte und die Industrie belaste. „Zusätzliche negative Entwicklungen im externen Umfeld könnten den Abschwung in der stark auf das Exportgeschäft ausgerichteten deutschen Industrie verschärfen oder verlängern", warnen die Ökonomen.
Andreas Scheuerle, ein Ökonom der Dekabank, sagt: „Die globalen Handelsstreitigkeiten hinterlassen Bremsspuren in der exportorientierten Industrie." Im Frühjahr sei die deutsche Wirtschaft daher wahrscheinlich leicht geschrumpft. Genau wird man das erst in wenigen Wochen wissen, aber die Anzeichen deuten darauf hin. Es sind vor allem die exportabhängigen Unternehmen, die Gegenwind spüren, und hier vor allem diejenigen, die nach China verkaufen. Chinas Wirtschaft wuchs nach offiziellen Angaben zuletzt nur noch um 6,2 Prozent, so schwach wie seit 27 Jahren nicht mehr. Hier gingen tatsächlich die Autoverkäufe zuletzt zurück, was natürlich auch deutsche Hersteller trifft.
Entlassungen bei den Firmen, die einiges falsch gemacht haben
Die Abschwächung der Konjunktur ist kein rein deutsches Phänomen, sondern ein Europa- oder gar weltweites. Das sehen auch die großen Zentralbanken der Welt, also vor allem die Federal Reserve in den USA und die EZB in Frankfurt so, die denn auch schon signalisiert haben, darauf reagieren zu wollen. Sah es bis vor wenigen Monaten noch nach Zinserhöhungen aus, sind die Pläne nun vom Tisch. Stattdessen wird es nun wohl erneute Zinssenkungen geben, und das obwohl die Zinsen so niedrig sind. Es bleibt also auf absehbare Zeit bei Niedrigzinsen.
Dass die Unternehmen angesichts dieser Meldungen nicht in großem Stil entlassen, hat vor allem einen Grund: Sie haben über Jahre Fachkräfte gesucht, viele Stellen sind unbesetzt. In wenigen Jahren geht die große Welle der Babyboomer, die in den 60er- Jahren geboren sind, in Rente. Dann wird der Bedarf an Mitarbeitern weiter steigen. Vor allem im Handwerk ist die Not groß. Auch in der Industrie stellen manche Unternehmen weiter munter ein. Insgesamt sind in der deutschen Industrie jetzt knapp 5,7 Millionen Menschen tätig. Sogar in kriselnden Branchen wie der exportabhängigen Chemieindustrie, der Autoindustrie und dem Maschinenbau steigt die Zahl der Beschäftigten erst mal weiter.
Die meisten Unternehmen werden nicht beim ersten Stocken des Absatzes gleich Mitarbeiter rauswerfen. Lieber hält man sie so lange es finanziell geht – das Instrument der Kurzarbeit hilft dabei sehr. Es ist also davon auszugehen, dass bei einer längeren Abkühlung der Konjunktur erst einmal die Kurzarbeit zunehmen wird, bevor Mitarbeiter entlassen werden.
So ist es vielleicht kein Zufall, dass mit der Deutschen Bank, Volkswagen, Ford und Bayer gerade Unternehmen entlassen wollen, die in letzter Zeit einiges falsch gemacht haben. Vermutlich geht das mehr auf das Konto dieser Konzerne selbst als auf das der globalen Konjunktur. Aber das eine kann auch zum anderen kommen. Vielleicht schon bald.