Chinesische Wissenschaftler haben einen chirurgischen Kleber entwickelt, mit dessen Hilfe künftig in Operationssälen sekundenschnell Wunden an inneren Organen wohl dauerhaft geschlossen werden können.
Fäden, Klammern oder Drähte sind die gängigen Hilfsmittel, die Ärzte bei operativen Eingriffen oder schweren Verletzungen innerer Organe benutzen, um starke, unkontrollierbare Blutungen zu stoppen. Doch speziell bei Operationen an Herz und Lunge sind diese Hilfsmittel nicht unproblematisch, weil beide Organe durch Atmen und Schlagen ständig in Bewegung sind, sich regelmäßig ausdehnen oder sich kontrahierend wieder entspannen. Das kann in vielen Fällen zur Folge haben, dass sich die Wunden nicht auf Anhieb komplett verschließen lassen oder dass sich die angebrachten Verschlüsse vor Ende des Heilungsprozesses wieder von selbst lösen können. Ein gravierendes Problem, weshalb in der medizinischen Forschung schon seit Längerem intensiv an der Entwicklung neuer Materialien gearbeitet wird, die auf Wunden besser halten und schneller sowie einfacher angebracht werden können. Medizinkleber dürfte derzeit die optimale Alternative sein. Erstmals wurde er im Dezember 1973 in der Wiener Universitätsklinik bei einer schwierigen, lebensbedrohlichen Operation zum Einsatz gebracht, wobei es sich um einen inzwischen schon gebräuchlichen sogenannten Fibrinkleber handelte, einen physiologischen Zweikomponentenkleber biologischen Ursprungs, teilweise aus menschlichem Blutplasma gewonnen.
Die größte Herausforderung bei der Herstellung neuer Wundkleber ist seitdem, dass diese möglichst schnell aushärten und trotz des feuchten, glitschigen Umfeldes langfristig haften müssen. Sie müssen elastisch und biokompatibel sein. Zudem ist darauf zu achten, dass ihre Inhaltsstoffe für den Menschen nicht giftig sind. In der jüngsten Vergangenheit wurde vor allem mit größtenteils aus Wasser bestehenden Hydrogelen experimentiert, deren Grundgerüst ein wasserunlöslicher sogenannter Polymer ist. Es hatte sich dabei gezeigt, dass Polymer-basierte Hydrogele zwar gut auf nassen Gewebeoberflächen haften können, sie aber zu langsam aushärten, nicht flexibel genug und teilweise auch noch toxisch sind.
Schnell aushärtend und langfristig haftbar
Vor zwei Jahren stellte ein internationales Forscherteam unter Leitung von Nasim Annabi von der Northeastern University in Boston einen neuen Wundkleber im Fachjournal „Science Translational Medicine" vor, ein hochelastisches Hydrogel. Es handelte sich um eine gelartige Substanz aus einer modifizierten Variante des Proteins Elastin, das auch im menschlichen Gewebe vorkommt. Das Elastin sorgt für die Dehnungsfähigkeit unserer Haut, unserer Lunge und großer Blutgefäße wie der Aorta. Für ihr „MeTro" getauftes Gel kombinierten die Wissenschaftler einen Vorläufer des Elastins namens Tropoelastin mit einem Molekül namens Methacrylsäureanhydrid, weil dank dieser Substanz das Tropoelastin auf die Zuführung von UV-Licht zum schnellen Aushärten reagieren kann. Dabei vernetzten sich unterschiedliche Proteinmoleküle zu einem Polymer. Das Ergebnis war ein hochelastisches Hydrogel, das Wunden nach 60 Sekunden schließen konnte. „Das Tolle an „MeTro" ist, dass es Wunden effektiv verschließt und durch Lichteinfluss sofort eine äußerst stabile, haftbare Schicht bildet", so Annabi. Hinzu komme, dass es tatsächlich sehr verlässlich haften bleibe, bis der Heilungsprozess abgeschlossen ist und sich anschließend langsam selbst auflöse, ohne giftige Substanzen zurückzulassen. Annabi und ihr Team testeten das Gel zunächst an Ratten, wobei sie Schnitte in Arterien als auch Löcher in den Lungen erfolgreich behandeln konnten. Genauso positiv war das Ergebnis bei Experimenten mit Schweinen, deren Lungenwunden verlässlich geschlossen werden konnten. Die Forscher kündigten als nächsten Schritt baldige klinische Studien am Menschen an: „Wir sind nun so weit, dass wir unsere Entwicklung am Menschen testen können", so der Mitautor der Studie, Anthony Weiss von der University of Sydney. „Ich hoffe, „MeTro" wird schon bald Menschenleben retten."
Eine neue Phase im Wettlauf um die Entwicklung eines marktfähigen, sicherlich kommerziell erfolgreichen chirurgischen Wundklebers haben jüngst chinesische Wissenschaftler rund um Yi Hong von der Zhejiang University School of Medicine in Hangzhou eingeleitet. Sie präsentierten die Ergebnisse ihrer Forschungen im Mai in der Fachzeitschrift „Nature Communications". Sie entwickelten ein Hydrogel, das in seiner Struktur und Zusammensetzung von einem körpereigenen Gewebetyp inspiriert wurde. Dabei handelt es sich um die sogenannte extrazelluläre Matrix, eine gallertige Masse, die unter anderem in unserem Bindegewebe vorkommt und aus Glykosaminoglykanen wie Hyaluronsäure und Wasser besteht und dadurch stark und elastisch ist. Den Chinesen gelang es, die Struktur der extrazellulären Matrix durch die Kombination einer speziellen Form von Gelatine (GelMa) mit einem Komplex aus Hyaluronsäure (HA-NB) und sogenannten Butanamiden nachzubilden. „Das Verhältnis von ‚GelMa‘ zu ‚HA-NB‘ in unserem Produkt gleicht jenem von Kollagenen und Glykosaminoglykanen in menschlichem Bindegewebe", so die Wissenschaftler. Der Clou an dem neuen Material ist, dass es auf UV-Strahlung reagiert und sich die Molekülgruppen im Kleber durch den Lichteinfluss mit dem darunterliegenden Gewebe perfekt vernetzen. Das Ergebnis war ein stabiler und flexibler Wundverschluss.
Neuer Kleber sorgt für stabilen und flexiblen Wundverschluss
In Tierexperimenten konnten Blutungen in mit einer Stanze perforierten Schweineherzen schon 20 Sekunden nach Auftragen des Gels gestillt werden, wobei Löcher mit einem Durchmesser von sechs Millimetern entstanden. Zudem stellte sich heraus, dass der Kleber auch großen Kräften bis zu einem Blutdruck von 290 Milliliter-Quecksilbersäule standhalten konnte. „Das ist weitaus höher, als es in der Klinik vorkommt", so das Forscherteam. Bei einer zwei Wochen nach den Eingriffen erfolgten Begutachtung konnten keinerlei Auffälligkeiten an den Schweineherzen registriert werden, es hatten sich auch keinerlei Blutgerinnsel in den Gefäßen gebildet. Kontrollversuche an Kaninchen, bei denen die Wissenschaftler Arterien und Lebern künstlich verletzt hatten, brachten die gleichen positiven Resultate. „Diese Ergebnisse zeigen, dass unser synthetisches Gel mit seinen kontrollierbaren Polymerisationseigenschaften Blutungen an Herzwunden schnell stoppen kann", so das chinesische Team. Die Licht-induzierte Polymerisation ist natürlich längst kein neues Verfahren mehr, sondern wird bereits in der Zahnmedizin angewendet. Bevor der neue Superkleber Einzug in die Operationssäle der Welt halten kann, sind noch weitere Untersuchungen notwendig. Vor allem muss noch geklärt werden, wie lange der Wundkleber wirklich hält und ob er mit dem Körper gut verträglich ist.