Am „Tag X" ging die Abtrennung der Saar von Deutschland endgültig zu Ende und brachte vor 60 Jahren die D-Mark ins Saarland.
Befürchtungen, Vermutungen und Gerüchte beherrschten das Meinungsklima. Von einem „Sprung ins kalte Wasser" war die Rede, von Ängsten verunsicherter Menschen: Wie hoch würden die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer sein, wie hoch die Familienzulagen? Würden die Saarländer über die gleiche Kaufkraft verfügen wie bisher? – Eindrücke aus dem Saarland im Frühjahr 1959, als die „Frankenzeit" zu Ende ging und die lang ersehnte D-Mark kam.
Zwar hatte das Industrierevier im deutschen Südwesten am Neujahrstag 1957 seine politische Eingliederung in die westdeutsche Bundesrepublik erlebt, die „kleine Wiedervereinigung", doch stand das Datum der wirtschaftlichen Angliederung noch in den Sternen. Innerhalb von drei Jahren nach der politischen Integration des Saarlandes sollte die wirtschaftliche folgen. So stand es im Luxemburger Saarvertrag, auf den sich Bonn und Paris am 27. Oktober 1956 geeinigt hatten. Ende 1959 war also das Limit erreicht. Das genaue Datum indes blieb unbekannt.
Die damals alles beherrschende Frage prangte am 14. März 1959 auf der Titelseite des frisch gegründeten „Saarbrücker Stadtanzeigers": „Was erwartet uns nach dem ‚Tag X‘?"
Anschaffungen mussten warten
Je näher die Währungsumstellung rückte, umso stärker wurde der Ruf an die Saarländer, die eigene Wirtschaft zu unterstützen: „Kauft bei saarländischen Unternehmen!" Die Angst der Wirtschaft vor der übermächtigen deutschen Konkurrenz, die nach dem Stichtag den saarländischen Markt überrollen würde, saß tief. Viele Verbraucher schienen mit größeren Anschaffungen bis zum „Tag X" zu warten. Denn bundesdeutsche Waren übten eine magische Anziehungskraft aus. Grund genug für den oft zu lesenden Hinweis: „Auch Saarerzeugnisse sind deutsch!"
Oberstes Ziel der notwendigen Umstellung der Wirtschafts- und Sozialverhältnisse an der Saar war die Erhaltung des bisherigen Lebensstandards. „Hat der Berg- und Hüttenmann Geld, hat’s an der Saar alle Welt!", reimte damals ein Kommentator. Kein einfaches Unterfangen, waren doch die nun anzugleichenden Lohnsysteme in Deutschland und Frankreich (und somit auch im Saarland) unterschiedlich angelegt. Das deutsche Lohnsystem richtete sich nach dem Leistungsprinzip, das französisch-saarländische basierte auf einem Mindestlohn, der unter anderem durch Lohn- und Familienzulage aufgestockt wurde.
Der Ruf nach Besitzstandswahrung machte an der Saar die Runde. Was würde mit der bisher bezogenen Familienzulage geschehen? Würde es auch künftig schon für das erste Kind Kindergeld geben, oder erst – wie damals in der Bundesrepublik üblich – ab dem dritten? Die Regierungen in Bonn und Saarbrücken standen auf einem konträren Standpunkt. Am 24. Juni 1959 wurden die „Saargesetze" abschließend im Bonner Bundestag, tags darauf im Bundesrat beraten. Die Streichung der Familienzulage war bereits zuvor angekündigt worden. Die Ungewissheit würde bald ein Ende haben.
Das Saarland fieberte dem „Tag X" entgegen, Anfang Juli stieg die Spannung laut „Saarbrücker Stadtanzeiger" „fast bis ins Unerträgliche". Einen Tag später war es soweit. Die Szene ist berühmt. Ministerpräsident Dr. Franz Josef Röder (CDU), inmitten einer dicht gedrängten Menge, auf dem Betonsockel einer Zollschranke stehend, die seit Kriegsende 1945 das Saarland von Deutschland getrennt hatte. Es war in der Nacht vom 5. zum 6. Juli 1959, kurz vor 0 Uhr, am Grenzübergang Eichelscheid bei Homburg.
Spannung stieg bis ins Unerträgliche
Röder erinnerte sich später: „Es waren viele Menschen da und jeder war gespannt auf den Augenblick des letzten Teiles des Anschlusses des Saarlandes an die Bundesrepublik. Ich bin dann durch die Anwesenden auf den Pfosten gehoben worden und stand da, habe meine Armbanduhr losgemacht und sagte: Noch eine Minute, noch 20, noch zehn, noch fünf Sekunden … und jetzt ist es soweit! Dann ging der Schlagbaum hoch und es brach Jubel aus. Es war ein schöner Augenblick!"
Gleichzeitig mit der Öffnung der Zollschranken brachten Dutzende von streng bewachten Fahrzeugen des Bundesgrenzschutzes im Zuge der „Aktion Mairegen" die D-Mark ins Saarland. Zum dritten Mal seit Kriegsende bekamen die Saarländer eine neue Währung: Die legendäre D-Mark. Es war der endgültige Schlussstrich unter den umstrittenen saarländischen Sonderweg nach 1945. Der erste Währungswechsel war im Sommer 1947 über die Bühne gegangen, Stichtag 16. Juni.
Damals verlor die Reichsmark (RM) im Saarland ihre gesetzliche Zahlungskraft und wurde ersetzt durch eine neu geschaffene Zahlungseinheit, die „Saar-Mark". Das neue Geld war nur als Interimslösung gedacht. Es erlaubte der französischen Besatzungsmacht, die Höhe des später in französischen Franc umzustellenden Saar-Mark-Betrages zu ermitteln. Mithilfe der Saar-Mark konnte man ferner den Zufluss von Reichsmark aus dem übrigen Deutschland unterbinden und so verhindern, dass Deutsche außerhalb des Saarlandes von der Einführung des Francs profitierten.
Ganze fünf Monate mussten die Menschen an der Saar mit der Saar-Mark vorliebnehmen. Es waren ereignisreiche Monate. Im Juni 1947 wurden an die 500 saarländische Familien aus ihrer Heimat ausgewiesen. Ein Warnschuss zur Einschüchterung der Gegner der französischen Vorhaben an der Saar. Gleichzeitig kamen die Beratungen der neuen Saar-Verfassung auf Touren. All dies in einer Zeit des krassen Hungers.
An die 500 Familien wurden ausgewiesen
Am 8. November 1947 gab der Landtag in Saarbrücken grünes Licht für die neue Verfassung. Deren von Frankreich auferlegte Präambel postulierte die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Saarlandes von Deutschland und seine Eigenstaatlichkeit. Nun stand der Einführung des Francs nichts mehr im Wege. Am 20. November war es soweit. Für eine Saar-Mark gab es 20 Francs. Schlagartig strömten ungeheure Warenmengen aus Frankreich ins warenhungrige Grenzland.
Für ein halbes Jahr – bis zur westdeutschen Währungsreform vom
20. Juni 1948 – war das Ländchen nach Expertenmeinung der „damals wohl attraktivste deutsche Landstrich." Wo zuvor in der Hungerzeit gähnende Leere geherrscht hatte, lockten nun langvermisste Köstlichkeiten: Feigen, Datteln, Orangen. Und auf den Märkten hatten die Händler wieder genügend Obst und Gemüse. Bald schon gab es Eier und Käse, Marmelade und Honig, Konserven und Kaffee-Ersatz ohne Lebensmittelkarten.
Auch in Westdeutschland besserten sich die Zeiten. Je deutlicher die Negativseiten der saarländisch-französischen Wirtschaftsunion hervortraten, umso stärker fühlten sich die Menschen im halbautonomen „Saar-Staat" des Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann (CVP) vom westdeutschen „Wirtschaftswunder" angezogen. Zudem wuchs der Groll wegen der eingeschränkten Parteien-, Presse- und Meinungsfreiheit für prodeutsch orientierte Saarländer. Die Volksabstimmung vom 23. Oktober 1955 brachte die Wende. Am Neujahrstag 1957 wurde das Saarland elftes deutsches Bundesland. Die wirtschaftliche Eingliederung folgte am 6. Juli 1959, dem „Tag X".
Als damals die Schlagbäume an der Grenze zur Bundesrepublik hochgingen, warteten bereits ganze LKW-Kolonnen auf der pfälzischen Seite, um den saarländischen Markt mit deutschen Waren zu versorgen. Besonders begehrt waren Waschmaschinen und Fernsehgeräte. In den saarländischen Geschäften wurden eilig die Franc-Preise durch DM-Preise ersetzt. Ärger gab es, wenn Geschäftsleute den offiziellen Umtauschkurs (100 Francs ergaben 0.8507 DM) zum Nachteil der Kunden verschlechterten.
Jahrzehnte der Reformen folgten
Gelegentlich fuhren dann erboste Saarländer wieder zum Einkaufen nach Zweibrücken oder Trier, wie vor dem „Tag X". Die Konkurrenz „aus dem Reich" machte dem saarländischen Handel schwer zu schaffen. Mittelständische Unternehmen, die sich auf dem französischen Markt gut eingerichtet hatten, fanden nur schwer Zugang zum deutschen Absatzmarkt. Viele kleinere und mittlere Firmen scheiterten. Waschmittel wie „Valan" und „Hexim" oder Zigarettenmarken wie „Sultan", „Lasso" und „Halbe Fünf" verschwanden ganz vom Markt.
Dem Wirtschaftsanschluss an die Bundesrepublik folgten im Saarland Jahrzehnte der Reformen und der Umstrukturierung. Aus dem kleinen Bundesland im deutschen Südwesten ist mittlerweile ein zukunftsweisender Industrie- und Forschungsstandort geworden. Das Image vom „Land der Gruben und Hütten" gehört der Vergangenheit an. Ebenso die Epoche der D-Mark, die anno 2002 vom Euro abgelöst wurde.