Zeitgenössischer Tanz auf höchstem Niveau – dafür steht Movimentos seit 2003. In ihrer 17. Ausgabe präsentieren sich die Festwochen in Wolfsburg an einem neuen Veranstaltungsort.
Dunkel, ja geradezu düster ist die Bühne, nur erhellt durch ein paar Spots, in deren gleißendem Licht schwarzgekleidete Körper in ihrer Pose eingefroren zu sein scheinen. Freilich nur für eine Sekunde, denn ebenso schnell wie die Anordnung der Lichtfelder ändern sich die Konstellationen der Tänzer – vom Pas de Deux übers Trio bis hin zur kleinen Gruppe. Frauen in hochgeschlitzten Tangokleidern posieren lasziv, wären da nicht die hektisch davonzuckenden Arme, die flatternden Hände. Tänzerpaare werden förmlich eingerahmt, in Hochgeschwindigkeitstempo durchrasen sie einen irrwitzigen Pas de Deux nach dem nächsten. Dazu die Musik von Gavin Bryars – live gespielt vom Percorso Ensemble – mal dunkel grummelnd, dann wieder an bekannte Tangomelodien erinnernd und oft genug als Kontrapunkt zu den Bewegungen der Tänzer gesetzt.
„Trick Cell Play", so heißt der Titel der Auftragsarbeit von Édouard Lock für die São Paulo Dance Company, mit der die diesjährigen Movimentos in der Autostadt Wolfsburg eröffnet wurden. Eine Premiere auch für den neuen Veranstaltungsort „Hafen 1", gebaut in knapp sieben Monaten. Worauf man in der Autostadt stolz ist, gleichzeitig betont, dass man nun mit einer solch modernen Theaterhalle das Veranstaltungs- und Kongressgeschäft ausbauen wolle.
Bis Ende August allerdings sind hier erst einmal Top-Tanzkompagnien zu Gast. Bei den Movimentos, die damit in ihrer 17. Ausgabe an ihren Ursprung zurückkehren. Gehörten in den vergangenen Jahren im damaligen Veranstaltungsort Kraftwerk auch Theaterabende, Konzerte und Lesungen zum Programm der Festwochen, so konzentriert man sich dieses Mal auf den Tanz, fünf internationale Kompagnien sind nach Wolfsburg eingeladen worden. Zudem zeigt die Movimentos Akademie zum Abschluss des Festivals, was sie in den vorangegangenen Wochen erarbeitet hat.
Meditation über die vier Elemente
Den Auftakt zu diesem vielversprechenden Programm machte am vergangenen Freitag die 2008 gegründete São Paulo Dance Company, mit drei höchst unterschiedlichen Stücken – von energieflirrend über poetisch bis hin zu dunkel-verstörend. Denn Édouard Locks „Trick Cell Play" bezieht sich auf den gewaltigen Brand im letzten Jahr, dem das brasilianische Nationalmuseum in Rio de Janeiro zum Opfer fiel. 20 Millionen Artefakte gingen dabei verloren – das kulturelle Erbe eines ganzen Kontinents. Dem spürt der kanadische Choreograf Lock nach und der Frage, wie sich Menschen erinnern, wenn die realen Bezugsobjekte unwiderruflich verschwunden sind. Wie Erinnerungsfetzen oder Traumbilder werden da choreografische Fragmente kurz ans Licht befördert, bevor sie wieder blitzschnell im Dunkel verschwinden. Faszinierend, nicht nur wegen der Virtuosität der Tänzer, dennoch ermüdend und etwas zu lang.
Wie gut, dass der zweite Teil des Abends dem Stück „Gnawa" des spanischen Choreografen Nacho Duato gehört, eine Arbeit von 2005. Duato setzt sich dabei mit marokkanischer ritueller Musik und den dazugehörigen Tänzen auseinander. Und verwebt zu Klängen der Gimbri, einer Laute, die auch als Trommel dient, und Gesängen aus dem Mittelmeerraum kraftvoll-sinnliche Ensembleszenen mit hauchzart daherkommenden Pas de Deuxs. Eine Meditation über die vier Elemente Wasser, Erde, Feuer und Luft. Hypnotisch, nicht erst in den letzten Momenten, wenn die Tänzer mit Lichtern über die sich verdunkelnde Bühne schreiten. Und noch einmal Kontrastprogramm – mit Cassi Abranches‘ „Agora" – auf Deutsch: „Jetzt". Wie die Zeiger eines Metronoms schwanken die in Orange und Ockertöne gekleideten Tänzer da zunächst am Platz. Um kurz darauf in einen fast nicht enden wollenden Bewegungsrausch zu explodieren. Frauen hechten kopfüber in die Arme des Partners, Körper stürzen aneinander vorbei, dazwischen kurze Momente der Regungslosigkeit. Tanz, der die Dynamik und Hektik des Lebens in den Megametropolen Südamerikas widerzuspiegeln scheint, aber auch die Vereinzelung des Individuums.
Ähnlich furios wie beim Gastspiel der São Paulo Dance Company dürfte es in den kommenden Wochen bei den Movimentos-Festwochen der Autostadt weitergehen. Les Ballets Jazz de Montréal bringen eine tänzerische Hommage an den 2016 verstorbenen Leonard Cohen mit, die brasilianische Choreografin Deborah Colker präsentiert mit ihrer Kompagnie eine Reflexion über ein Gedicht ihres Landsmanns João Cabral.
Der den Überlebenskampf der Menschen im trockenen Nord des Landes beschreibt und ihre Abhängigkeit von Natur und Klima. Nur wenige Tage später dann kommt das L.A. Dance Project nach Wolfsburg – mit drei Arbeiten des Company-Gründers Benjamin Millepied.
Und in „The Thread" verbinden der britische Choreograf Russell Maliphant und der griechische Komponist Vangelis antike Mythen und traditionelle Klangwelten mit der Gegenwart.
Movimentos – die Festwochen der Autostadt – laufen noch bis zum 25. August. Informationen zum Programm und Tickets: www.movimentos.de