Bernd Kauffmann ist der Künstlerische Leiter von Movimentos, den Festwochen der Autostadt in Wolfsburg, in deren Rahmen bis Ende August Tanzkompagnien unter anderem aus Brasilien und Kanada gastieren.
Herr Kauffmann, erstmals seit vielen Jahren findet das Festival nicht mehr vor beeindruckender Industriekulisse im Kraftwerk statt – sondern in einem neu geschaffenen Theater- und Veranstaltungsort. Aber das ist nur eine der Neuerungen bei der diesjährigen Ausgabe – welche gibt es noch?
Die wesentliche Neuerung ist der neue Raum, eine veränderte Aura und eine neue Ästhetik. An diese werden sich die Companies zu gewöhnen haben, aber ich bin sicher, dass die neue Halle eine ebenso große Suggestion verbreiten wird wie die alte. Bis auf die „Verschlankung" des Programms und seiner Konzentration auf den Tanz gibt es kaum weitere Veränderungen. Die entscheidende „Neuerung" findet – seit 17 Jahren immer auf’s Neue – durch das Programm selbst statt, das dieses Jahr immerhin sechs Deutschlandpremieren, eine Europapremiere und eine Welturaufführung ausweist.
Große Namen der Tanzszene gastieren in Wolfsburg – ein Schwerpunkt: Kompagnien aus Brasilien. Welche Themen haben die Gäste im Gepäck?
Die Themen, die Schwerpunkte der Festwochen sind in diesem Jahr äußerst unterschiedlich. Édouard Lock wird sich mit der São Paulo Dance Company mit der Frage auseinandersetzen, wie es in unserer Informationsgesellschaft um das Erinnern steht, was wir verlieren, wenn wir stets zu gewinnen glauben. Deborah Colker befasst sich auf eine tief bewegende und beunruhigende Weise mit dem Leiden der Menschen unter dem Kollaps des Klimas. BJM – Les Ballets Jazz de Montréal zeigt eine berührende und begeisternde Hommage an den großen Melancholiker, Sänger und Dichter Leonard Cohen. Russell Maliphant geht mit dem bekannten Soundkünstler und Komponisten Vangelis den tradierten Spuren der griechischen Tänze und Gesänge nach.
Neben Wiederholungsgästen kommen einige der Kompagnien auch zum ersten Mal zum Festival beziehungsweise nach Deutschland. Das L.A. Dance Project zum Beispiel – Choreograf Benjamin Millepied zeigt dabei drei sehr unterschiedliche Arbeiten. Wie kann man seinen Ansatz beschreiben?
Benjamin Millepied ist weltweit bekannt geworden durch seine Choreografie im Psychothriller „Black Swan". In den „Bach Studies" verneigt sich Millepied in ebenso abstrakter wie emotionaler Formensprache vor dem Genius Johann Sebastian Bach und in „Orpheus Highway" geht er tänzerisch – wie in einem Roadmovie – der großen tragischen Liebe von Orpheus und Eurydike nach, die im Tod endet. Millepieds Ansatz ist dabei immer der Versuch, verschiedene Kunstdisziplinen miteinander zu vermischen, um daraus eine neue Ästhetik entstehen zu lassen.
Zwar gibt es in diesem Jahr keine Lesungen oder Konzerte im Rahmen von Movimentos- aber dennoch hat auch der Nachwuchs seinen Platz. Und zwar der tänzerische. Stichwort Movimentos Akademie: Wie funktioniert dieses Projekt?
Die Movimentos Akademie ist für mich mittlerweile ein unverzichtbarer Kern des gesamten Festivals. Hier wird eine Arbeit für junge Menschen gelei-stet, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Jedes Jahr aufs Neue werden aus unzähligen Bewerberinnen und Bewerbern zwei Gruppen zusammengestellt, die jeweils eine eigene Tanzproduktion entwickeln, proben und auf die Bühne bringen.
Die eine Gruppe umfasst etwa 40 junge Menschen von 9 bis 22 Jahren und sie arbeitet unter der Leitung des Choreografen Daniel Martins und der Tanzpädagogin Sonja Böhme. Die zweite Gruppe, geleitet von Gregor Zöllig, dem Künstlerischen Leiter und Chefchoreografen des Staatstheaters Braunschweig, besteht aus zwölf Tänzern und Tänzerinnen im Alter von 16 bis 36 Jahren.
Beide Gruppen werden in diesem Jahr zum Abschluss der Movimentos ihre Arbeiten präsentieren. Die Akademie geht mit ihrer Arbeit bereits ins zwölfte Jahr. Weit über 1.000 junge Menschen haben in ihr geprobt, getanzt, geschwitzt, gelernt, Lampenfieber gehabt und schweißtreibend erfahren, welch produktive und glückliche Erfahrung darin liegt, gemeinsam etwas auf die Bühne zu bringen.
Und es gelingen zu sehen, weil man die Gedanken, die Gefühle und die Bewegungen der anderen immer mitzudenken lernt.