Fünf Jahre Eiszeit für Mieterhöhungen: Das verordnet die Berliner Regierung ihrer Stadt per Mietendeckel. Ziel ist, die galoppierenden Mieten einzufangen oder gar zu senken, womöglich sogar innerhalb laufender Mietverträge. Nun hat der Mieterverein ein Alternativkonzept vorgelegt.
Ja, natürlich gibt es sie, die günstigen Wohnungen. Auch in Städten wie Berlin, wo Wohnraum knapp ist und die Mieten dementsprechend durch die Decke schießen. Der Galopp in der Preisentwicklung ist dennoch ein Problem, das in der Hauptstadt fast jeden angeht: In keinem anderen Bundesland wohnen laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) so viele Menschen zur Miete, nämlich satte 86 Prozent der mehr als dreieinhalb Millionen Einwohner.
Wer einen sehr alten Mietvertrag hat, spürt meist wenig von den steigenden Kosten. Die treffen unter anderem diejenigen, deren Haus aufwendig modernisiert wird – schick wohnen kostet, auch für die, die auf schick gut verzichten könnten. Wem das zu teuer wird, der muss eben umziehen. Sollte ja kein Problem sein, laut Mietspiegel liegt der Berliner Mittelwert bei 6,72 Euro kalt pro Quadratmeter. Aber da fließen rund 60 Prozent alte günstige Verträge ein. Fast das Doppelte, nämlich 12,95 Euro kalt, sind im Schnitt laut Immobilienportal Wohnungsbörse bei Neuanmietungen fällig. Tendenz stetig steigend. Das geht für viele an die finanzielle Substanz.
Weil freie Wohnungen so rar sind, zahlen Wohnungsbewerber praktisch jede verlangte Miete, so die Erfahrung beim Berliner Mieterverein. Drei Viertel der Neuvermietungen lägen weit jenseits der laut Mietspiegel eigentlich zulässigen Grenzen. Die Lage treibt die Leute um, Initiativen wie die für ein Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen haben Zuspruch. Und es treibt auch die Politik in die Gänge: Mietpreisbremse und Milieuschutz zeigen bislang keine durchschlagende Wirkung.
Hohe Mieten sollen gesenkt werden
Mitte Juni hat der rot-rot-grüne Berliner Senat deshalb den bundesweit ersten Mietendeckel beschlossen. Der soll, so der Vorschlag von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), ab kommendem Jahr gelten, rückwirkend auch bis zur Beschlussfassung. Fünf Jahre lang werden dann die Mieten für rund eineinhalb Millionen Wohnungen eingefroren – ausgenommen sind lediglich Sozialwohnungen und der Erstbezug von Neubauten. Außerdem sollen überhöhte Mieten bei Wiedervermietung auf eine generelle Obergrenze verringert werden. Wonach sich diese Grenze richtet, ist noch nicht klar – eine Möglichkeit könnten die Quadratmeterpreise laut Berliner Mietspiegel sein. Dazu kommt: Wer zu viel zahlt, kann auch bei einem bestehenden Vertrag einen Antrag auf Senkung stellen. Insgesamt soll der Deckel dem ungebremsten Mietanstieg entgegenwirken und „die Bezahlbarkeit der Wohnungen bis zur Entspannung auf dem Wohnungsmarkt" sichern.
Der Aufschrei seitens der Gegner des Deckels – zu ihnen zählen unter anderem viele Immobilienunternehmen – ist groß. Vielleicht gerade, weil Berlin eigentlich viel Erfahrung hat mit festgesetzten Mieten: In der Hauptstadt der DDR galt bis zur Wiedervereinigung ein Mietenstopp, und die Inselstadt Westberlin sorgte bis 1988 mit der Mietpreisbindung für günstige Altbaumieten. Durchaus nicht nur mit positiven Folgen: Hüben und drüben der Mauer erschwerte winters eine gelbgraue Ofenheizungs-Wolke das Atmen, vielerorts bröckelte der Putz, und manche Wohnung mit Klo auf halber Treppe verkam so sehr, dass der Umzug in die moderne Großsiedlung als Volltreffer galt.
Mit den Erlösen aus den geringen Mieten in die Häuser zu investieren war kaum möglich. Just das sagen Immobilienverbände auch voraus, sollte der Mietendeckel eintreten: Schon würden Aufträge ans Baugewerbe storniert, meldet der „Tagesspiegel", weil die Besitzer aus Angst vor den verringerten Mieteinnahmen lieber mit einer Sanierung warten.
Noch krassere Zukunftsszenarien gibt es für den Neubau in der Hauptstadt. Schon für 2018 weist der Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin IBB eine mittlere Kaltmiete von 14 Euro pro Quadratmeter im Neubau aus – Tendenz steigend, denn die ebenfalls steigenden Grundstücks- und Baukosten sollen ja wieder reinkommen. Nun soll der Mietendeckel zwar die Erstmiete im Neubau nicht betreffen. Aber für die Folgemiete gelten dann die wesentlich niedrigeren Quadratmeterpreise. „Investoren, die bislang rund 85 Prozent der Wohnungen in Berlin bauen, werden andere, politisch kalkulierbare, Märkte bedienen", fürchtet Dr. Manja Schreiner von der Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg.
Und das, wo es ohnehin an Neubauten mangelt. 20.000 neue Wohnungen braucht Berlin nach Senatsrechnung jährlich, seit 2015 werden jährlich auch ausreichend Baugenehmigungen erstellt. Gebaut wird aber viel weniger, weit mehr als 60.000 Genehmigungen warteten Ende 2018 auf ihre Umsetzung. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft vor allem deswegen, weil es in Berlin schlicht zu wenige Baufirmen gibt. Aber zum Teil auch, weil auf die immer höheren Grundstückspreise spekuliert werde. Kommt nun die Verunsicherung durch den Mietendeckel hinzu, warnen Immobilienverbände vor dem Bau-Gau.
Was passiert, wenn sich private Investoren vom Bau zurückziehen? Vermutlich würde für die städtischen Wohnungsbauunternehmen oder auch die Genossenschaften mehr Spielraum für eigenen Neubau entstehen. Sowohl in Sachen Grundstücke als auch bei der Beauftragung der überlasteten Baufirmen.
Genossenschaften gegen Mietendeckel
Gerade die Genossenschaften protestierten jedoch zu Beginn vehement gegen den Senats-Mietendeckel. Der Grund: Ihre Mieten liegen teils sogar unter den im Berliner Mietspiegel festgesetzten Werten. Genossenschaften sind nicht gewinnorientiert, es genügt ihnen, im Interesse ihrer Mitglieder auf eine schwarze Null zu wirtschaften. Das allerdings funktioniert nur, wenn die Mieten zumindest im geringen Umfang erhöht werden können. Und just das wäre ihnen ebenso wie allen anderen sehr mieterfreundlichen Immobilienbesitzern beim Einfrieren der Mieten verboten.
Einen Monat nach dem Senatsbeschluss zog dann der Berliner Mieterverein (BMV) mit einem eigenen Mietendeckel-Vorschlag nach. Kernstück ist eine festgesetzte Tabellenmiete, die lediglich nach dem Baujahr und zwei Wohnungsgrößen – unter 60 Quadratmeter oder größer – unterscheidet. Die Quadratmeterpreise reichen von 5,17 bis 9,79 Euro. Dazu kommen festgesetzte Zuschläge für energetische Maßnahmen oder einen angebauten Aufzug. Wer unter der Tabellenmiete liegt, darf beim BMV-Vorschlag in kleinen Schritten bis zum Höchstwert erhöhen. Und: Es soll eine dauerhafte Regelung ohne Befristung sein. „Wir wollen so längerfristig die Aufteilung in reiche und arme Gegenden aufheben", erklärt Mietervereins-Chef Reiner Wild, „ohne aber Vermieter mit bislang moderaten Mieten zu bestrafen". Und ja, er rechnet anfangs schon mit Klagen der Vermieter, wenn ein Neumieter in der Ku’damm-Edelwohnung auf die Tabellenwerte bestehe. Die Tabelle sei ganz klar, Ausstattung oder Lage spiele keine Rolle. „Aber es gibt kein Recht auf dicke Rendite", so Wild. Mit dem Deckel als öffentlich-rechtliche Vorschrift werde da rasch rechtliche Sicherheit einkehren.
„Erfrischend differenziert und diskussionsfähig" – so nennt ausgerecht ein Immobilienverband, der Berlin-Brandenburgische Unternehmerverband BBU, den Mietervereins-Vorschlag. Von anderen wie zum Beispiel der Berliner Mietergemeinschaft kommt dagegen Kritik. Ein wichtiger Punkt für beide Seiten: Der BMV-Deckel ist gerade bei den sehr geringen Mieten nicht so strikt wie der Senats-Vorschlag. Ob es die „guten" Vermieter auf einmal packt, jetzt im Gegensatz zu früher die Preise im Eigeninteresse zu erhöhen, steht auf einem anderen Blatt.
Dennoch bringt der Alternativ-Vorschlag natürlich weitere Spannung in die anstehende Diskussion: Damit der Deckel Anfang nächsten Jahres schließt, will die Senatsverwaltung ihren Vorschlag bis Oktober ausarbeiten. Auch stehen noch Überprüfungen aus, ob so ein harsches Eingreifen in Eigentumsrechte überhaupt durchsetzbar ist. Klar aber ist: Berlins Bevölkerung findet den Mietendeckel gut. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage halten 60 Prozent der Berliner das Instrument für sinnvoll.