Die Niedrigzinspolitik der EZB dürfte unter Christine Lagarde weitergehen
Die Sparer in Deutschland waren in den letzten Jahren leidgeprüft. Auf den meisten Girokonten gab es null Prozent Zinsen. Für Tagesgeld sprangen allenfalls ein paar Zehntel Prozent heraus. Beim Festgeld, wo die Einlage wenigstens ein paar Monate geparkt werden musste, sah es nicht viel besser aus. Ein Trauerspiel auch die Zinsausbeute bei Lebensversicherungen und Bausparverträgen. Die Inflation, die im Juni bei einer Rate von 1,3 Prozent lag, fraß (fast) alles weg.
In Deutschland findet seit Jahren eine schleichende Enteignung statt. Treiber dieser Entwicklung ist die Europäische Zentralbank in Frankfurt. Der EZB geht es nicht um das Schicksal der deutschen Sparer, sondern um die Stabilisierung der in Schieflage geratenen Länder der Eurozone. Im perfekten Sturm aus Finanzkrise, Staatsschuldenkrise und Eurokrise legte die EZB ein Doppelpaket vor. Sie versuchte zum einen, den klammen Regierungen – vor allem in Südeuropa – aus der Patsche zu helfen. Und sie wollte die stark lädierten Volkswirtschaften durch billige Kredite wieder auf Trab bringen.
Es begann mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im September 2008. Der Sündenfall vieler US-Geldhäuser – die Vergabe von Immobilien-Darlehen an Kunden mit geringer Bonität – hatte auch das Leuchtturm-Unternehmen in New York erreicht. Da die Kredite in verschachtelten Konstruktionen über die ganze Welt verkauft wurden, waren die Konsequenzen auch global. Der Häusermarkt in den Vereinigten Staaten war nach jahrelangem Preisboom kollabiert. Viele Banken hatten plötzlich faule Kredite in ihren Büchern, die sie abschreiben mussten. Dadurch fehlte es an Kapital für Firmen und Verbraucher. Der Wirtschaft ging der Saft aus.
Auch in Europa war die Lage dramatisch. In Italien brach das Wachstum 2009 um 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein, in Griechenland um 4,3 Prozent. Deutschland verzeichnete mit 4,7 Prozent das dickste Minus seit der Nachkriegszeit.
Vor diesem Hintergrund drückte die EZB auf den Notfallknopf. Sie senkte den Leitzins, der 2008 noch knapp über vier Prozent gelegen hatte, 2009 auf ein Prozent. Die Konjunktur sollte durch eine Politik des billigen Geldes wieder angekurbelt werden.
Im Frühjahr 2010 schwappte die Griechenland-Krise über Europa. Die Regierung in Athen konnte ihre Schulden nicht mehr bedienen und war kurz vor der Pleite. Nur durch insgesamt drei EU-Rettungspakete mit einem Gesamtvolumen von fast 300 Milliarden Euro konnte der Bankrott verhindert werden. Der Euro stand damals unter starkem Druck.
Die EZB startete im Juli 2012 den zweiten Teil ihrer Feuerwehr-Aktion. Bankchef Mario Draghi verkündete, sein Institut werde „alles Erforderliche tun, um den Euro zu erhalten". Und Draghi ließ seinen Worten Taten folgen. Er setzte durch, dass die EZB in unbegrenztem Umfang Staatsanleihen europäischer Krisenländer aufkaufte. Da sie nach Gusto Geld schöpfen kann, stehen ihr praktisch unendliche Mittel zur Verfügung. Sie wirft einfach die Notenpresse an. So wird die Zinslast für die betreffenden Staaten gedrückt, wenn diese Geld auf dem Kapitalmarkt aufnehmen wollen. Auf diese Weise fiel die durchschnittliche Verzinsung der italienischen Staatschuld seit 2008 von 4,9 auf 2,8 Prozent – eine Zinsersparnis von 260 Milliarden Euro. Deutschland sparte im gleichen Zeitraum Zinsen über 370 Milliarden Euro.
Draghi, der Ende Oktober aus seinem Amt ausscheidet, bereitet derweil sein Erbe vor. Angesichts der trüben Konjunkturaussichten deutete er an, dass er im Herbst den Leitzins erneut senken will – von Null-Niveau in negatives Terrain. Die Banken würden dann noch mehr unter Druck geraten. Einige dürften den an die Kunden weitergeben, indem sie Kontoführungsgebühren verlangen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für die Eurozone in diesem Jahr ein Wachstum von nur 1,3 Prozent. Vor allem Deutschland und Italien entwickelten sich schwach.
Wenn die bisherige IWF-Chefin Christine Lagarde am 1. November auf den Stuhl von Draghi wechselt, wirft die EZB wahrscheinlich weiter mit billigem Geld um sich. In ihrer Amtszeit hat der Fonds die Notenbanker der Welt immer wieder aufgefordert, die Märkte mit Geld zu fluten. Für die Sparer in Deutschland heißt das: Die Durststrecke geht weiter.