Die „bedrohte Sicherheit“ in Saarlouis hat es bundesweit in die Medien geschafft. Ein friedliches Altstadtfest „ohne polizeirelevante Ereignisse“ blieb dagegen ein lokales Ereignis. Gefühlte Sicherheit, Fakten und tatsächliche Herausforderungen passen nicht immer zusammen.
Saarlouis hat für Schlagzeilen gesorgt. Die von Oberbürgermeister Peter Demmer und Landrat Patrick Lauer (beide SPD) ausgelöste Sicherheitsdebatte hat Aufmerksamkeit erregt, weit über die Landesgrenzen hinaus. Selbst „Tichy’s Einblick" war es eine besonderen Beitrag wert, dass da zwei „Genossen aus der Heimatstadt unseres Außenministers" Alarm geschlagen haben. „Dieses bescheidene kleine Saarlouis scheint sich zu einem Hotspot sozialdemokratischer Wahrhaftigkeit zu entwickeln", befand das nach eigenem Bekunden „liberal-konservative Meinungsmagazin".
Landrat Lauer und OB Demmer geht es im Kern um mehr Polizei vor Ort. Den dringenden Forderungen an Innenminister Klaus Bouillon (CDU) waren Auseinandersetzungen mit Jugendlichen in Freibädern und gewalttätige Vorfälle bei der „Emmes" vorausgegangen.
Bürgermeisterin Marion Jost (CDU) hatte gegenüber der „Welt" das Verhalten „französischer Jugendlicher aus den Maghrebstaaten" in Saarlouiser Schwimmbädern kritisiert sowie deren Beteiligung an den Ausschreitungen beim Stadtfest, bei denen auch Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan beteiligt waren. Letztlich kam sie zu dem Schluss, die Stadt habe „keine besonderen Probleme, wir haben das Kind nur beim Namen genannt". Und Demmer, sichtlich irritiert über das bundesweite Aufsehen, stellt klar, dass es weder marodierende Banden oder Plünderungen in Saarlands heimlicher Hauptstadt gibt.
Höchste Zahl von Einstellungen
Für die Gewerkschaft der Polizei waren und sind die Signale aus Saarlouis vor allem ein weiterer Beleg, dass ihre Forderung nach mehr Personal gerechtfertigt ist. 3.000 Beamte bis 2030, fordert GdP-Chef David Maaß. Derzeit sind es rund 2.700. Innenminister Bouillon ließ derweil mitteilen, zum 1. Oktober würden 129 neue Kommissaranwärter beginnen. Das sei „die höchste Einstellungszahl bei der saarländischen Polizei seit 35 Jahren". Wobei er sich den Seitenhieb auf den Koalitionspartner SPD nicht verkneifen konnte. Von 1985 bis 1999, also unter SPD-Führung, seien gerade mal 38 pro Jahr eingestellt worden. „Unter den fehlenden Einstellungen von damals leiden wir noch heute". Womit der Koalitionsstreit beim Thema innere Sicherheit eine Runde weitergeht.
Vorfälle wie die zitierten in Saarlouis ziehen solche Debatten unweigerlich nach sich, geben sie doch der seit Jahren geführten Sicherheitsdebatte neue Nahrung. Auch in der Landeshauptstadt ist lange und heftig über die Kriminalitätsentwicklung diskutiert worden. In den Diskussionen stehen immer wieder die Personaleinsparungen und Reformen bei der saarländischen Polizei auch vor dem Hintergrund der Schuldenbremse auf dem Prüfstand.
Dabei spielt das Wort von der „gefühlten Sicherheit" eine immer stärkere Rolle. Das wiederum steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu den statistischen Fakten über die Kriminalitätsentwicklung. Bundesweit sank die Kriminalitätsrate (Zahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner) von 2015 bis 2017, also im Zeitraum mit besonders hohen Flüchtlingszahlen, um zehn Prozent, von 7.800 auf 7.000. „Von einem Kontrollverlust kann angesichts der 2017 niedrigsten Kriminalitätszahlen seit 1992 keine Rede sein", sagt der Hamburger Kriminologe Birger Antholz. Auch im Saarland weist die Kriminalitätsstatistik für die letzten beiden Jahre ein gleichbleibendes Niveau auf, das um knapp zehn Prozent unter dem Höchststand von 2015 liegt.
Die Wissenschaftsjournalistin Eva Tenzer befindet:„Das Leben hierzulande wird – allen Erregungswellen in den (sozialen) Medien zum Trotz – sicherer". Sie hat sich in einem Beitrag für „Bild der Wissenschaft" (Ausgabe 4/2019) ausführlich mit der Frage nach der „gefühlten Wahrheit" befasst. Dabei verweist sie auf eine Studie des Bochumer Kriminologen Thomas Feltes zur Kluft zwischen gefühlter und realer Kriminalität. Der hatte (2016) 3.500 Bochumer befragen lassen. Ergebnis: Fast ein Fünftel (19 Prozent) gab an, wahrscheinlich im kommenden Jahr Opfer eines Raubüberfalls zu werden. Tatsächlich traf das dann aber nur auf 0,3 Prozent der Befragten zu. Woher diese Diskrepanzen zwischen Realität und Gefühl?
Instrumentalisierung nicht akzeptabel
Es gehöre zu den Eigenheiten der Informationsverarbeitung, „dass wir weniger daran interessiert sind zu erfahren, ob wir die richtige Überzeugung haben, sondern wir wollen darin bestätigt werden, dass unsere Überzeugungen richtig sind", zitiert Tenzer den Sozialpsychologen Ulrich Wagner aus Marburg. Er würde vermutlich Reaktionen wie die der AfD auf den Saarlouiser Aufschrei in diese Kategorie fassen. Die forderte nämlich eine „Ausweitung der Grenzkontrollen durch die Bundespolizei", als Konsequenz, dass „Straftäter mit ‚Migrationshintergrund’ sowie „jugendliche Gäste’ aus Frankreich die Bevölkerung zum Beispiel auf Volksfesten oder in Schwimmbädern terrorisieren". Das Beispiel zeigt, wie kurz der Weg sein kann von „keine besonderen Probleme" zu ‚weder marodierenden Banden noch Plünderungen‘ bis zu „terrorisieren".
Wagner warnt vor öffentlichen Eindrücken, wonach der Staat nicht mehr genügend für Sicherheit sorgen könne. Dann bestehe die Gefahr, dass Menschen auf die Idee kommen, das selbst in die Hand zu nehmen. Für ihn ist deshalb vor allem eines klar: „Überhaupt nicht akzeptabel ist, wenn Kriminalitätsfurcht politisch instrumentalisiert wird. Das gefährdet die innere Sicherheit". Gleichzeitig ist aber auch klar, dass Entwicklungen nicht verharmlost und heruntergespielt werden dürfen.
Im Grundsatz sind die Parteien im Saarland auch gar nicht wesentlich auseinander. Dass mehr Personal für die Polizei nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig wäre, wird eigentlich von niemand bestritten. Am Ende ist es eine Frage der Finanzierung und damit der Prioritäten, über die zu verhandeln wäre – und zwar auf Basis von Fakten. Das soll nach den Sommerferien erfolgen, und, geht es nach Innenminister Bouillon, würde dann auch über einen Nachtragshaushalt zur Finanzierung bislang nicht geplanter Stellen zu reden sein.
Das Altstadtfest, auf das viele nach der streithaften Vorgeschichte sorgenvoll geblickt hatten, verlief am ersten Tag „relativ störungsfrei", am zweiten „ohne jegliche polizeirelevante Ereignisse", vermerkten die Polizeiberichte.