Mit seinen Songs provozierte André Herzberg einst die DDR-Staatsmacht. Jetzt geht der Sänger der Kultband Pankow mit einem Soloalbum auf Tour. Sein Kiez ist und bleibt: Pankow.
In seinen Liedtexten hatte er „Aufruhr in den Augen" und „Langeweile". Mit frechen Songs eckten André Herzberg und seine Band Pankow in der DDR immer wieder an. Etliche Lieder standen auf dem Index. Eine ganze LP erschien mit siebenjähriger Verspätung. Herzberg galt vielen als Rebell des Ostrocks. Den betitelte er selbst mal als „komplett bescheuert". Dass er im Lauf der Jahre selbst Bestandteil der etablierten Musikszene im Osten wurde, lässt den Musiker heute schmunzeln. „Natürlich lernt man mit den Jahren Kollegen kennen, die man auch schätzt. Aber am Anfang waren wir die Revoluzzer und die anderen angepasste Arschlöcher", so Herzberg mit einer seiner gewohnt direkten Ansagen. Die Kritik münzte er einst auf Ostbands wie Puhdys und Karat. Die meisten Titel seien ihm allerdings bis heute fremd, stellt der 63-jährige Familienvater klar.
Mit der zeitgleichen Veröffentlichung einer Solo-CD und eines Romans sorgte André Herzberg kürzlich für Aufsehen. Der Name beider Werke: „Was aus uns geworden ist". „Beides ist im Verbund zu sehen, weil beides mit mir zu tun hat. Die Musik entstand jedoch zunächst, ohne mit der Geschichte im Buch zu korrespondieren", erklärt der Musiker in seinem Stammcafé an der Pankower Florastraße, wo er seit Jahren lebt. Der Familienroman gründet sich auf sein Leben als Jude in der DDR. Das Liederalbum gewährt wiederum einen tiefen Blick ins Seelenleben des Künstlers: bluesig, direkt und mit eingängigen Melodien. Die Ideen zur CD hätten sich in den letzten zehn Jahren angesammelt, so der Musiker, der sich nach zurückhaltendem Interviewbeginn langsam in Form redet. André Herzberg erwähnt die Musikproduzenten Hans Rohe und Karl Neukauf. „Wenn jemand den Ton meiner Lieder so genau trifft, dann ist das schon was Besonderes, etwas, das mit den vielen Jahren, die ich schon Alben mache, immer schwerer wird", so der Sänger.
Schon allein der Name der Band: Pankow – eine Idee seines Bruders Wolfgang – galt im Osten als Provokation. Erstens war der Bezirksname ein West-Synonym für den DDR-Machtapparat, weil die SED-Elite bis 1960 in Pankow-Niederschönhausen hermetisch abgeriegelt lebte. Zweitens steckt im Name auch irgendwie „Punk". Nach dem Abbruch seiner Lehre und Zoff in der Armee sei „Musik die Rettung" gewesen, wie sich André Herzberg erinnert. Der gebürtige Berliner sang zuerst in der Gauklerband. Dann lud ihn eine Combo zum Vorspiel ein. Den Musikern war ihre Sängerin Veronika Fischer abhandengekommen. 1981 verließ sie die DDR Richtung Westberlin. Das war die Geburtsstunde von Pankow.
„Ich spürte zum ersten mal Anerkennung"
„Als Musiker spürte ich zum ersten Mal in meinem Leben Anerkennung. Auch wenn wir bei den Kulturchefs aneckten, etwa mit unserer Bühnenshow ‚Paule Panke‘, war es genau mein Ding." Letztlich habe man die Band aber „machen lassen", galten deren Konzerte doch auch als Ventil für Fans und unzufriedene DDR-Bürger. Ab 1985 gastierte Pankow auch im Westen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Gruppe beim Klassenfeind Valuta einspielte. „Drüben geblieben" wäre André Herzberg jedoch nie, wie er auf Nachfrage sagt. „Ich hatte im Westen keine Verwandten und auch kaum Kontakte in die Szene." Funktionärs-Parolen, Gängelung und Ost-Mief habe er zwar gehasst, sich aber auch nicht als Umstürzler gefühlt. Trotz aller Kritik an der DDR war ihm der Westen damals fremd, sagt der Mann, der an der Musik-Hochschule Hanns Eisler in Berlin studierte. Heute bezeichnet er sich als „Deutschland-Fan".
Die Storys, die der Sänger aus Vor- und Nachwendezeiten erzählt, würden locker ein weiteres Buch füllen. Etwa die Geschichte vom früheren Chef des DDR-Plattenlabels Amiga, René Büttner, dem er bei einem Jubiläumsevent in den 90er-Jahren eine Torte ins Gesicht warf. „Als Dank für jahrelange Gängelung", begründet Herzberg seine spontane Aktion. Dann plaudert der Altrocker im Pankower Café über einen Auftritt im Palast der Republik. „Als Gag wollte ich beim ersten Song von vorne – also durch den Saal –
auf die Bühne kommen. Meine Bandkollegen spielten schon die ersten Takte. Doch zu meiner Überraschung saßen die Leute nicht mehr in diesen schweren Palast-Sesseln, sondern standen weit in den Saal hinein vor der Bühne. Dort hätte ich durchgemusst – doch die Sicherheitsleute erkannten mich im Halbdunkel nicht und ließen mich nicht rauf zum Mikro", amüsiert sich André Herzberg noch heute. Mit Verspätung betrat er die Rockbühne auf herkömmlichem Wege.
Sein heutiges Leben folge keinen vorgegebenen jüdischen Regeln oder damit verbundenen Gewohnheiten, sagt der Pankow-Frontmann in Bezug auf seinen Roman. Er sehe sich eher als „Feiertagsjude", sagt er lächelnd. Ein- bis zweimal im Jahr besuche er die Synagoge in der Rykestraße. Dann und wann kauft er in einem koscheren Geschäft ein. Als Kind wohnte Herzberg mit den Eltern und Bruder Wolfgang in Berlin-Weißensee. Heute sei der Kiez an der Florastraße sein Kosmos. Er habe es auch mal mit Aufenthalten in Amerika und Israel versucht. Doch nach einigen Wochen landete er wieder in Pankow, das ihm eine Mixtur aus Berliner Schnauze, Kleinstadt und Dorf biete. „Ich brauche diese leichte Melancholie hier. Es darf auch ruhig mal grau sein. Da werd’ ich kreativ", sagt der Mann, der gern durch die Gegend radelt und im Bürgerpark joggt. In der Schönhauser Allee wird es ihm allerdings schon zu hektisch. „In die Stadt zieht’s mich ohnehin nicht." Die Stadt sei für ihn alles, was südlich vom S-Bahnhof Pankow liegt. Dafür unternehme er mit der Familie gern Ausflüge ins grüne Umland, etwa an die Seen in der Barnimer Feldmark.
„Ich bin spontan und habe keinen Generalplan"
Einen besonderen Plan für kommende Zeiten hat André Herzberg den eigenen Worten nach nicht. „Ich bin spontan und habe keinen Generalplan. Drum kam ich wahrscheinlich auch mit der DDR-Planwirtschaft nicht klar", scherzt der Sänger. Eins stehe für ihn jedoch fest: Pankow bleibe er treu – sowohl als Bezirks-Bewohner als auch bei gleichnamiger Band. „Ich liebe diese Band. Sie ist Teil meines Erbes."
Noch vor zwölf Pankow-Konzerten im November startete Herzberg am 15. Juni in Werneuchen mit einer Buchlesung und danach mit dem Soloprogramm zur CD „Was aus uns geworden ist". Herzberg-Fans werden das Album lieben, andere Zuhörer vielleicht staunen, wie der Künstler seine Lebensthemen schnörkellos auf den Punkt bringt – immer direkt und mit klarer Ansage. Typisch André Herzberg.