Thomas Ohrner ist seit September Programmchef von Klassik Radio in Augsburg. Der 54-Jährige präsentiert zudem die Morgensendung im höchsten Rundfunkstudio Deutschlands. Im Interview erzählt er, was ihn daran so reizt.
Herr Ohrner, Sie wurden als Kinderstar bekannt. Wie blicken Sie heute darauf zurück?
Früher und großer Erfolg kann ein Fluch sein – denken Sie nur an die Darstellerin der Pippi Langstrumpf, der erst im Alter andere Rollen angeboten wurden. Mir kam zugute, dass ich schon damals Ruhm und Starkult hasste – ich musste mich auch erst daran gewöhnen, in der Öffentlichkeit erkannt zu werden – und mich deshalb auch nicht an dieser Zeit festhielt, die immerhin über ein Jahrzehnt bis zu den Serien „Timm Thaler" und „Merlin" lief. Zudem war ich immer schon vielseitig interessiert und nicht auf einen Berufswunsch fixiert.
Wie kamen Sie zum Radio?
Nach einigen Pop-Platten mit Gesang und Gitarre wechselte ich die Seiten und begann im Juni 1983 bei Radio Luxemburg als Moderator, zuerst mit „Hits von der Schulbank". Mit meiner musikalischen Laufbahn hatte das allerdings nichts zu tun – Dr. Helmut Thoma, der damals neuer Programmdirektor war, war vielmehr bei einem Interview Ende 1982 zu meinen Filmen auf meine Stimme aufmerksam geworden. 1984 startete dann das „Musikduell", das ich erstmals vom RTL-Studio in Düsseldorf aus moderieren konnte statt aus der Villa Louvigny in Luxemburg.
Doch dann folgte das Fernsehen?
Nein, das kam nur dazu. Ich blieb dem Radio, wenn auch mit Pausen, immer treu, wie ja auch der Schauspielerei. Und es war immer hochinteressant. Bei Antenne Bayern übten wir vor dem Sendestart 1988 ein halbes Jahr im „Trockendock", wir konnten dem Programm damals unseren Stempel aufdrücken. Eigentlich war ein reines Formatradio geplant, doch Antenne Bayern wurde dann ebenso ein Personalityradio wie Radio Luxemburg. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern war dies dagegen kaum zu finden.
Sie gingen dann aber doch zum öffentlich-rechtlichen Radio?
Ja, 14 Jahre von 2002 bis 2014 war ich bei Bayern 1. Ich hatte ja auch im Fernsehen sowohl für öffentlich-rechtliche als auch für private Sender gearbeitet. Und das öffentlich-rechtliche Radio war nach der Programmreform von 1996 bei Bayern 1 weit hörernäher geworden und weg vom einstigen steifen Verkündungsradio gekommen. Wir sendeten nun einen Mix aus Hits der 80er-Jahre und Oldies mit regelmäßiger regionaler Berichterstattung.
Wie kamen Sie vom Pop zur Klassik?
Das war ein längerer Weg. Hätte man mich 1989 gefragt, was ich von einem eigenen Klassik-Programm halte, hätte ich gesagt: „No Chance". Da saßen schon die öffentlich-rechtlichen Sender drauf. Ulrich R.J. Kubak, CEO von Klassik Radio, sah dies anders: Er wollte schon damals einen Klassik-Sender. Und der Erfolg gab ihm recht: Wir haben als Spartensender sechs Millionen Hörer – die „Süddeutsche Zeitung" hat beispielsweise nur eine Million Leser. Heute bin ich froh, ein Teil seiner Erfolgsgeschichte zu sein.
Was machen Sie denn anders als die öffentlich-rechtlichen Klassik-Sender?
Wir bedienen nicht nur den Hardcore-Klassik-Hörer. Wir spielen schon im Hauptprogramm auch Filmmusik und New Classics. Nic Rain und unser eigenes 80-köpfiges Orchester setzen beispielsweise Filmmusik live um, da sitzt der Student neben der Oma. Wir wollen die Menschen mitnehmen, da musst du nicht wissen, aus welchem Holz der Taktstock von Karajan geschnitzt ist. Dass die „Ode an die Freude" bei der Champions League läuft oder wie Beethoven es schaffte, trotz seiner Taubheit seine Kompositionen noch zu hören, das ist dagegen durchaus interessant für unsere Hörer.
Was machen Sie anders als die Popwellen?
Wir haben 1.700 Titel schon in der Playlist des normalen Programms – Popsender haben 500 bis 600. Wir haben inzwischen 30 bis 40 Prozent unserer Hörerschaft online und kennen diese dadurch ganz genau. Wir machen kein Soundprocessing – außer für den Moderator. Unser Programm wird nicht langweilig, auch wenn wir populäre Titel spielen, endet es nicht bei der „Heavy Rotation" der Popwellen, die auf 20 Minuten Einschaltzeit optimiert ist.
Was hat sich denn bei der heutigen Mediennutzung verändert?
Alles entwickelt sich weiter. Jeder kann seine Mediennutzung heute mit der vor fünf oder auch 25 Jahren vergleichen und wird große Unterschiede bemerken. Ich bin ein Fernsehkind der 70er-Jahre, doch auch ich will heute Serien online schauen, wann und wie ich will. Samstagabend baden, dann Frotteeanzug an, Salzstangen raus, ab aufs Sofa und „Wetten dass?" mit Thomas Gottschalk ansehen – das war einmal. Das letzte TV-Lagerfeuer brennt zwar noch, aber ich möchte nicht der sein, der es auspusten muss.
Was bedeuten diese Veränderungen fürs Radio?
Das alte Frequenzradio ist Vergangenheit, auch auf UKW. Dass man früher gar die Mittelwelle eingeschaltet hat, um Musik zu hören, ist ohnehin kaum mehr vorstellbar – so wie Schellackplatten und Trichter-Grammophone.
Neben unserem Liveprogramm, das digital terrestrisch über DAB+, über Astra Satellit europaweit und im Internet weltweit gehört werden kann, bieten wir mit Klassik Radio Select über 150 werbefreie, von unseren Musikexperten kuratierte Spartenkanäle an, sozusagen unser eigenes Spotify, wo es spezielle Musik für den Weg zur Arbeit oder einen Weihnachts-Stream gibt, der übrigens ganzjährig und besonders im Hochsommer gefragt ist. Auch Podcasts werden in Zukunft eine große Rolle spielen.
150 Spartenkanäle – gibt es denn so viele Klassik-Varianten?
Das ist nicht nur die klassische Klassik, die sich unter anderem nach Herkunft, nach Epoche, nach Stimmung, nach Instrument und natürlich nach Komponist auswählen lässt. Neben Jazz-, Lounge- und Filmmusik-Auswahlen – und übrigens auch einem Game-Channel mit Musik aus Computerspielen – gibt es auch Klassik Rock und gezielte Kanäle für die unterschiedlichen Tagesempfindlichkeiten unserer Hörer.
Was reizt Sie mehr – Radio oder Fernsehen?
Radio ist unmittelbarer, kann es von der Geschwindigkeit der Berichterstattung mit dem Internet aufnehmen und wird dort auch mit Text und Bild unterstützt oder bei Visual Radio auch direkt über den Sendekanal. Demgegenüber tut sich das klassische lineare Fernsehen schwer. Video on demand und Video-Podcasts sind deutlich schwieriger zeitnah zu produzieren. Doch solange ich bei solchen Veränderungsprozessen mitwirken kann, wie eben nun hier bei Klassik Radio, bin ich weiter mit vollem Einsatz dabei.
Was gefällt Ihnen eigentlich am besten an Ihrem Job?
Im Sommer ist hier Sonnenaufgang um 5 Uhr. Wenn man dann schon um halb 5 im Studio ist, dann ist das einfach eine tolle Aussicht und man sitzt nicht in einem dunklen Innenraum wie bei vielen anderen Sendern. Deshalb bin ich hier auch sehr gerne vor Ort, auch wenn unser Mischpult dank Digitaltechnik so kompakt und portabel ist, dass ich es auch in den Urlaub nach Ibiza oder Grönland mitnehmen könnte. Früher musste man noch Bänder schneiden, heute geht das mit der Maus und zwei, drei Servern …
Bleibt noch Zeit für Privates?
Aber natürlich. Ich koche sogar gerne für meine Familie, was sich ohnehin anbietet, da meine Frau Marion auch arbeitet und auch nicht mehr Zeit hat als ich, für meine elfjährige Tochter Pauline und meine Söhne Patrick (21) und Fabian (19) sowie mitunter auch Luisa (28) aus meiner ersten Ehe.