Die siebte Meisterschaft in Folge war für den FC Bayern die schwerste seit Langem. Mit Borussia Dortmund gab es wieder einen Rivalen auf Augenhöhe. Dieses Jahr schielen weitere Teams auf den Titelgewinn.
Uli Hoeneß konnte es nicht lassen. Als der (wohl bald scheidende) Präsident des FC Bayern München zu den Transfers von Borussia Dortmund befragt wurde, stichelte er direkt. „Der BVB hat viele Spieler gekauft", sagte Hoeneß. „Ob er sich verstärkt hat, sehen wir im Laufe der Saison."
Individuell lässt sich das auf jeden Fall behaupten. Denn mit Christian Pulisic und Abdou Diallo verlor der BVB nur zwei Spieler, die zum Stamm-Kader zählten. Dafür kehrte Weltmeister Mats Hummels, den der FC Bayern ziehen ließ, zurück. Es kamen Nico Schulz (Hoffenheim) und Julian Brandt (Leverkusen), zwei aktuelle Nationalspieler, mit Thorgan Hazard (Mönchengladbach) ein Nationalspieler des Weltranglistenersten Belgien und mit Mateu Morey ein großes Talent vom FC Barcelona.
Beim FC Bayern fiel der Vergleich zwischen den Kadern des Vorjahres und der kommenden Saison Anfang August gegenteilig aus. Die Bayern verloren Hummels, Rafinha, den früheren WM-Torschützenkönig James Rodriguez sowie die Altstars und Dauerbrenner Franck Ribéry und Arjen Robben. Gekommen waren neben HSV-Talent Jann-Fiete Arp zunächst nur Lucas Hernandez von Atlético Madrid und Benjamin Pavard vom VfB Stuttgart. Die beiden sind zwar aktuelle französische Weltmeister und kosteten zusammen 115 Millionen Euro. Doch Hernandez kam verletzt nach München und Pavard mit der Bürde des Abstiegs mit dem VfB. Die Hoeneß’sche Ankündigung „Wenn sie wüssten, was wir alles schon sicher haben für die neue Saison", getätigt im „Doppelpass" im Februar, wirkt inzwischen grotesk. Wohl auch für Hoeneß selbst. „Ich muss ehrlich sagen: Langsam geht mir das auf die Nerven, dass man sich nur noch über Käufe definiert", schimpfte er, als er Ende Juni auf seine eigene Aussage angesprochen wurde.
„Ehrlich: langsam geht mir das auf die Nerven"
Die Nerven lagen offenbar blank, weil der FC Bayern auf dem Transfermarkt nicht wie gewünscht vorankam. In Deutschland sind die Münchner nach sieben Meisterschaften in Folge weiter der Verein mit dem größten Namen. In Europa sind sie beim Wettbieten um die wirklichen Superstars aber eben aktuell nur ein Team unter vielen. Anfang August hießen die Kandidaten Leroy Sané oder Ousmane Dembélé. Über die eigentlichen Wunschspieler Mathijs de Ligt, Adrian Rabiot, Frenkie de Jong und Antoine Griezmann redete da schon niemand mehr, sie waren zu Juventus Turin beziehungsweise dem FC Barcelona gegangen. Auch bei Talenten wie Callum Hudson-Odoi (18/blieb beim FC Chelsea) oder Sepp van den Berg (17/ging von Zwolle nach Liverpool) und bei Bundesliga-Spielern wie Luka Jovic (21/wechselte von Frankfurt zu Real Madrid) oder Ozan Kabak (19/ging von Stuttgart lieber nach Schalke) erhielten die Münchner nicht den Zuschlag.
Man mag ihnen zugutehalten, dass sie trotz der 80 Millionen für Hernandez nicht das Maß aus den Augen verlieren und auf Brandt zum Beispiel wohl freiwillig verzichtet haben. Dennoch, und auch dann, wenn noch ein Knaller kommen sollte, müssen sich die Münchner eingestehen, dass diese Transferperiode ernüchternd war. Der Kader ist in der Spitze immer noch herausragend besetzt. Die Spieler des ersten Teils des Umbruchs wie Niklas Süle, Leon Goretzka, Serge Gnabry oder der häufig verletzte Kingsley Coman haben sich hervorragend eingefunden. Doch in der Breite scheint der Kader schlechter besetzt als im Vorjahr.
Die Probleme auf dem Transfermarkt waren sicher auch hausgemacht. Da waren die ständigen Unstimmigkeiten zwischen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Jeder Trainer, Spieler oder Funktionär, der in den vergangenen Jahren kam, war gefühlt entweder ein Hoeneß- oder ein Rummenigge-Mann. Selten galt jemand als Wunschkandidat beider. Sportdirektor Hasan Salihamidzic konnte sich im Schatten der beiden Alpha-Männchen nicht wie erhofft entwickeln. Und Trainer Niko Kovac wurde während der vergangenen Saison trotz des letztlichen Double-Gewinns dermaßen in seiner Position geschwächt, dass auch er als Argument für einen Wechsel quasi ausfällt. Entweder beurteilt ein Spieler ihn aus der Entfernung als zu schwach. Oder, wer gerne wegen Kovac kommen würde, muss damit rechnen, dass dieser im Herbst oder Winter vielleicht nicht mehr da ist. Die Zeiten, als Spieler wegen Trainer Pep Guardiola, Sportchef Matthias Sammer oder eben auch wegen Hoeneß und Rummenigge kamen, sind vorbei.
Probleme auch hausgemacht
In Dortmund ist Trainer Lucien Favre trotz Platz zwei und der spannendsten Meisterschaft seit Jahren aber auch nicht komplett unantastbar. Die vorsichtige Aufstellung beim 0:5 im direkten Duell in München oder die voreilige Aufgabe im Meisterkampf nach der Derby-Niederlage gegen Schalke (2:4) stehen symbolisch für seine Zauderei, die das Team des meisterhaften Taktikers neun Punkte Vorsprung verspielen ließen. Doch in Dortmund zeigten sie in diesem Sommer nicht nur Mut und Entschlossenheit auf dem Transfermarkt, sondern auch in den öffentlichen Aussagen. Als Erkenntnis des Vorjahres, als man sich selbst als souveräner Tabellenführer nicht zum Ziel Meisterschaft bekannte, geben die Westfalen es nun direkt schon vor der Saison aus.
Das könnte als Reaktion auf das Vorjahr ein bisschen nach dem Rufen im Walde wirken. Doch ist die offensive Ausrichtung offenbar eine Vereinbarung zwischen Vereinsführung und Mannschaft, hinter der beide Seiten stehen. „Ich denke, wir werden besser sein als in der vergangenen Saison. Die Meisterschaft ist deshalb ein realistisches Ziel", sagte der belgische Mittelfeld-Motor Axel Witsel. Und Kapitän und „Fußballer des Jahres" Marco Reus stellte klar: „Nach der vergangenen Saison und unseren Neuverpflichtungen diesen Sommer macht ein anderes Saisonziel meiner Meinung nach gar keinen Sinn." Das sehen auch viele Fans so: In einer Internet-Umfrage des Magazins „Kicker", an der über 100.000 User teilnahmen, tippten 49,3 Prozent auf Borussia Dortmund als Meister. Und nur 36,9 Prozent auf den FC Bayern.
Bayern-Trainer Kovac sieht aber nicht nur den BVB als Titel-Konkurrenten. „Leverkusen hat eine sehr gute Mannschaft mit einem tollen Trainer. Peter Bosz hat dort in der Rückserie einen furiosen Fußball spielen lassen", sagte er im „Kicker"-Sonderheft. „Leipzig muss sich mit dem neuen Trainer erst mal finden, aber die nötige Qualität haben sowohl Julian Nagelsmann als auch die Mannschaft."
Bei RB hat man nach dem Einzug ins Pokalfinale sowie die Champions League und der Verpflichtung Nagelsmanns aus Hoffenheim jedenfalls die Zurückhaltung abgelegt. Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz hat mit Hoeneß um ein Bier gewettet, „dass RB Leipzig in den nächsten drei Jahren einmal Meister wird". Und Nagelsmann erklärte, wenn auch auf seine gesamte Vertragszeit bezogen: „Das Ziel ist, etwas Blechernes herzuholen – Metall oder Gold."
Kovac glaubt an überraschung
Leverkusen hatten schon vor der vergangenen Saison viele als Geheimtipp auf der Meister-Rechnung. In der Hinrunde kam Bayer dann nicht in die Gänge. Unter dem neuen Trainer Bosz stürmte Bayer als drittbestes Rückrunden-Team nach München und Leipzig noch in die Champions League, holte mehr Punkte als der BVB und bezwang als einziges Team die Bayern. Deshalb ist die Euphorie bei der Werkself greifbar. „Unser Anspruch ist, dass wir unter den Top vier stehen", sagte Stürmer Kevin Volland der „Sport Bild". „Das heißt aber nicht, dass wir uns zufrieden zurücklehnen. Platz vier darf nicht das Ende sein. Ich denke, dass noch mehr möglich ist."
„Vielleicht", so Kovac, „gibt es ja auch mal wieder ein Überraschungsteam". Zwar machten die Bayern und der BVB in den vergangenen zehn Jahren den Titel unter sich aus. Doch in den Jahren davor bekam fast jeder seine Chance: So holte 1998 Kaiserslautern den Titel, 2004 Bremen, 2007 Stuttgart und 2009 Wolfsburg. Vielleicht gibt es ja in dieser Phase, in der die Bayern etwas unsicher sind und die Dortmunder noch nicht voll gefestigt, ja wieder einen lachenden Dritten. Manch einer findet auch Gladbach als Tipp nicht absurd. Die Borussia war im Februar Zweiter vor dem FC Bayern, holte in Marco Rose einen Trainer, hinter dem die halbe Liga her war, und Weltmeister Christoph Kramer sagte kürzlich über ihn: „Er macht es noch besser, als
ich es erwartet habe."