Luigi Frascella tauschte „Harry’s Bar" in London gegen das „Medinis" an der Ostsee. Jetzt kredenzt er mit seinem Team einfache italienische Küche auf höchstem Niveau – Meerblick für die Gäste inklusive.
Lassen Sie uns über Gnocchi mit Tomatensauce reden. Ja, doch. Wolkenhafte, fluffige Kartoffelknödelchen in einer Tomate-hoch-zwei-Sauce. „Gnocchi mit Tomatensauce, das ist schon ziemlich riskant für ein Restaurant wie unseres", sagt Luigi Frascella. Der Küchenchef im neuen „Medinis" direkt an der Heiligendammer Strandpromenade weiß natürlich genau, was er tut: einfachste italienische Küche auf höchstem Niveau auf den Teller bringen.
Der 42-Jährige, gebürtig aus Tarent in Apulien, weiß ebenso genau, dass kein Gast ohne Weiteres in dem maritim und elegant eingerichteten Restaurant neben Strandvillen und Grandhotel einfach einen Teller Gnocchi mit Tomatensauce bestellen würde. Wie simpel hört sich das denn an? „Unbedingt probieren!", waren die Gnocchi allerdings einem Kollegen den Hinweis in einem Telefonat wert, bevor im Zug nach Rostock die Verbindung den Funklochtod starb.
Tatsächlich. Die stimmungsaufhellende Wirkung setzte unverzüglich nach der ersten Gabel ein. Auf dem Teller: ein Tomatenragout mit der intensiven, dichten Süße vollreifer Früchte. Die Kartoffelklößchen: mit Fluff, weit entfernt von den hierzulande üblichen Flummis. Die Gnocchi „alla Frascella" schweben förmlich durch den Mund.
„Wir verwenden nur die Sorte Adretta", verrät Frascella. Sie ist eine DDR-Züchtung von anno 1975, die von den Äckern des Gutes Vorder Bollhagen direkt aus der Nachbarschaft stammt. „Wir stampfen die gekochten Kartoffeln, dann kommt die Masse in den Backofen und wird zwei Stunden bei 100 Grad getrocknet." Erst danach geht’s ans Zubereiten der Gnocchi-Masse. Ganz wichtig: „Kein Ei! Wir verwenden kein Ei." Vermutlich auch kaum Mehl, das die mehlig kochende Adretta von Hause aus mitbringt. Das eigentliche Geheimnis jedoch ist: Zeit. „Wir können unsere Gerichte lange zubereiten", sagt Frascella. „Wir sind immer hier." Lang geführte Teige, wie der 48 Stunden ruhende Pizzateig, müßig wachsende Kräuter im Gärtchen, gleich neben Terrasse und Grill, 40 Tage getrocknete Zitronen für die Sauce zum Wolfsbarsch-Carpaccio sind solche ausgeruhten Produkte und Prozesse. Nun ist es nicht so, dass die zehnköpfige Brigade in der Küche vor sich hinträumte. Das Team weiß genau, was eine hohe Schlagzahl, vollbesetzte Restaurants und anspruchsvolle Gäste bedeuten.
Beim Essen lässt sich der Blick auf die Ostsee genießen
Luigi Frascella war Chefkoch des Londoner Privatclubs „Harry’s Bar", bis ihn einer seiner Stammgäste nach Heiligendamm abwarb. Unternehmer Anno August Jagdfeld bot Frascella die Möglichkeit, in einem neu ausgestatteten Restaurant nach seinen Vorstellungen auf dem bisherigen hohen Level weiterzukochen. Das Team kam mit. Frascella setzt auf die langjährige Zusammenarbeit mit seinen Köchen und Spezialisten, etwa dem sizilianischen Pizzaiolo Giorgio Graci. Frascellas Ehefrau Tamara gehört ebenfalls dazu: „Ich habe das große Glück, eine Patissière zur Frau zu haben. Sie hat mir alles Wissen in diesem Bereich vermittelt." Auch „Babygirl Francesca" wächst nun in der Nähe von Heiligendamm auf.
Das kulinarische Miteinander ist eng. Das zeigt sich etwa in der mit Zitronen-sorbet gefüllten Amalfi-Zitrone zum Dessert. Das ist intensive Zitrone, wie sie von einer nicht-industriell angebauten, ursprünglichen Sorte stammt. Süße und Säure sind gleichwohl austariert. Sie rundet das vielfältige, ausführliche Mahl leichtfüßig ab. Gewiss hatte die Patissière auch ihren aufmerksamen Blick auf den Waldmeister im Beet. Das charakteristische Maienkräutlein wurde infusioniert und durfte für Dessert Nummer zwei ein Sorbet aromatisieren, das auf hauchdünnen Ananasscheiben herumnockt.
Das große Gelage zum Teilen funktioniert hervorragend an einem Sommertag unter den großen blauen Sonnenschirmen auf der Terrasse. Mag sein, dass der Blaustich der Schirme den Blick auf die Gerichte etwas verfremdet. Zum Blick aufs Meer passt er jedenfalls sehr. Ganz gleich, ob drinnen oder draußen: Das „Medinis" hat von überall her Sicht auf die Ostsee. Designerin Anne Maria Jagdfeld gestaltete den Gastraum maritim in Blautönen, mit Streifen und zarten Blumenmotiven als Hinguckern. Sie erzeugte eine elegante Wohlfühlatmosphäre mit dem einen oder anderen Kniff: Die Sessel an den Tischen im Inneren wurden einige Zentimeter tiefergelegt, damit das Meer durch die Fenster immer auf Augenhöhe ist. Luigi Frascella hält es kulinarisch mit seinem Vorbild, dem Mailänder Gualtieri Marchesi: „Perfezione nella semplicità" – Perfektion in der Einfachheit. Ob von Marchesi die Inspiration zu den Ravioli mit Ossobuco und Knochenmark kam? Im „traditional Milanese Style" sei das Ossobuco für die Füllung zubereitet, verrät Frascella. Raffinesse an die Einfachheit des Kalbsbeinscheiben-Schmortopfes bringt eine Gremolata mit ungewöhnlichen Komponenten: Ultrafein gehackte Orangenzesten und Rosmarinnadeln streuen eine Prise Überraschung, Intensität und Süße in das klassische Würztopping hinein. Etwas ausgelöstes Knochenmark liegt als Delikatesse ebenfalls obenauf.
Frascella bezeichnet sich außerdem als „fanatisch saisonal". Wie praktisch, dass Gut Vorder Bollhagen, ebenfalls im Besitz der Jagdfelds, um die Ecke liegt. Näher geht’s nimmer mit den ökologisch angebauten Getreiden oder Ackerfrüchten und den am Tierwohl orientiert aufgezogenen Rindern, Hühnern und Schafen. Die Lämmer etwa für das Ragù in den Tortellini mit Pecorino Romano stammen von dort.
Erst Querbeet-Reise durch die Karte, dann XXL-Sonnenuntergang
Die langfristige Zusammenarbeit und Anpassung von landwirtschaftlicher Produktion und Restaurant-Bedürfnissen befindet sich allerdings noch am Anfang. Frascelli etwa bevorzugt das hellere Fleisch der Milchkälber, die länger gesäugt werden. Die gibt’s in der Weidehaltung auf Gut Vorder Bollhagen so –
noch – nicht. Andere Grundprodukte müssen dagegen immer aus Italien kommen: „Mein Olivenöl ist aus Sizilien. Das nehme ich überall mit hin." Sei es nach London oder an die mecklenburgische Ostseeküste. Der gut gereifte Balsamico stammt selbstredend aus Modena.
Der Trüffel-Kartoffelsalat ist eine geglückte deutsch-italienische Fusion. Der mit Vinaigrette angemachte und mit schwarzen Trüffeln überhobelte Salat vereint vom Einfachen das Beste. Er schmeckt so pur und intensiv, dass sogar schon Tränen der Glückseligkeit geflossen sein sollen, wie eine Kollegin verrät, die bereits mehrfach im „Medinis" aß. Der Name des Restaurants ist kein Zufall, sondern verweist auf eine historische italienisch-mecklenburgische Verbindung: Der Mailänder Gaetano Medini wurde um 1800 als Oberhofküchenmeister an den Hof des späteren Großherzogs Friedrich
Franz I. von Mecklenburg-Schwerin berufen. Während der Sommeraufenthalte der großherzoglichen Familie betrieb er in Doberan einen Pavillon. Dort lebte er bis zu seinem Tod 1857.
Ob Luigi Frascella gleich jahrzehntelang wie Medini in Heiligendamm und Bad Doberan bleiben wird, ist nicht absehbar – das Restaurant eröffnete gerade erst im April. Es war außerdem zu vernehmen, dass bereits in diesem Winter eine „Medinis"-Dependance auf der Rückseite des „Hotel Adlon" in Berlin eröffnen soll. Für die warme Saison bleibt jedenfalls die Empfehlung für einen kulinarischen Kurztrip nach Heiligendamm. Von Berlin aus dauert die Fahrt um die zweieinhalb Stunden mit dem Auto. Ohne einen Shuttleservice klappt dagegen die ÖPNV-Anreise nur bis zum Bahnhof Rostock gut. Am besten also zwei bis vier Freunde des italienischen Essens in ein Auto gesetzt und eine oder zwei Übernachtungen – nicht zwingend im benachbarten Grandhotel – gebucht.
Das glücklich stimmende Essen direkt am Meer lohnt den Ausflug mit hohem kulinarischen und Entspannungswert an die Ostsee. Eine Querbeet-Reise durch Vorspeisen, Pasta, mit einem Hauptgang und Desserts zum Teilen sollte im „Medinis" für um die 150 Euro pro Person solide machbar sein. Spätestens beim XXL-Sonnenuntergang zum Digestif lässt sich Luigi Frascellas Motto dann in jeder Hinsicht nachvollziehen: „Einfaches kann sehr aufregend sein."