Als Leistungssportlerin war Britta Steffen (35) viel mit dem Flugzeug unterwegs. Der Umwelt zuliebe will die Doppel-Olympiasiegerin von Peking nun aber aufs Fliegen verzichten. Im Interview erklärt die Berlinerin, was ihr Sohn mit dem Sinneswandel zu tun hat.
Frau Steffen, Sie wollen der Umwelt zuliebe nie wieder in ein Flugzeug steigen. Wie schwer fiel Ihnen dieser Entschluss?
Der fiel mir eigentlich gar nicht schwer, weil ich noch nie gerne geflogen bin. Das habe ich immer als sehr anstrengend empfunden, und es ging mir auch zu schnell. In den Flieger eingestiegen, geschlafen und dann in China aufgewacht – da dachte ich: Irgendetwas ist hier nicht richtig. Ich freue mich jetzt auf Zugreisen durch Europa, unterwegs drei Stopps machen. Warum sollte man nicht alles mal wieder ein bisschen entschleunigen?
Hatten Sie solche Gedanken auch als Leistungsschwimmerin?
Ich habe das ständig hinterfragt, aber dann dachte ich auch: Bin ich hier wieder zu kritisch? Warum ist dann so wenig in den Medien zu lesen und hören? Warum sagen dann einige meiner Freunde, dass es immer Klimaschwankungen gab und dass das halt so ist? Aber nachdem ich das Buch von Greta Thunberg gelesen habe, da wusste ich: Jetzt musst du etwas ändern! Und das, was ich am leichtesten ändern kann, ist, nicht mehr durch die Welt zu fliegen.
Die erst 16 Jahre alte Klimaaktivistin Greta Thunberg hat Ihre Sicht auf diese Dinge also verändert?
Der Auslöser war ihre Rede bei der Verleihung der Goldenen Kamera. Das war sehr beeindruckend, jeder Satz eine Aussage. Da habe ich mir gedacht: Wer so reden kann, so tolle Bilder verwendet, der muss eine starke Persönlichkeit sein. Dann bin ich zu unserem alten Buchladen um die Ecke in Pankow gegangen, und da stand ihr Buch („Szenen aus dem Herzen", Anm. d. Red.).
Und welche Passage darin hat Sie so beeindruckt?
Greta schaut mit ihrer Schulklasse einen Film über die Plastikteppiche im Meer und deren Auswirkungen auf die Tiere. Danach unterhalten sich ihre Mitschüler über die anstehenden Ferien, wo sie überall hinfliegen. Dann sagt Greta: „Ihr könnt doch nicht erst betroffen sein und jetzt in den Urlaub fliegen?!" Und da habe ich mich ganz schwer gefühlt und gedacht: Man selbst redet auch sehr viel und bewegt nichts. Da ist die Entscheidung gefallen, dass ich, egal was es bedeutet, das Fliegen weglasse.
In diesem Sommer findet die Schwimm-Weltmeisterschaft in Südkorea statt, ein Jahr später die Olympischen Spiele in Tokio. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen Einnahmen als Expertin entgehen?
Bei einem Flug nach Tokio würde ich alleine für einen Ausstoß von sechs Tonnen CO2 verantwortlich sein. Seit ich diese Zahl gelesen habe, kann ich das gar nicht mehr. Da ist es wie im Sport: Wenn mich etwas gepackt hat, dann muss ich das auch durchziehen. Wenn ich etwas von der WM oder Olympia kommentieren soll, kann ich das auch von Deutschland aus machen.
Würden Sie mit Ihrem heutigen Wissen und Gewissen als Leistungssportlerin etwas anders machen?
Ich würde nicht mehr unnötig in Trainingslager fliegen. In Berlin hatten wir auch super Bedingungen. Aber selbst nach Spanien in die Höhe kann man auch anders kommen. Dann ist es eben mal eine längere Reise, man berichtet davon auf Youtube und hat dadurch noch mal einen Mehrwert. Zu den ganz großen Events wäre ich natürlich geflogen, aber nicht mehr zu den ganzen Pillepalle-Wettkämpfen.
Die Einladung zur Aufnahme in die „Hall of Fame" des internationalen Schwimmsports in Fort Lauderdale in Florida haben Sie bereits ausgeschlagen. Wie schwer fiel das?
Für drei Tage nach Amerika fliegen, nur um mich da selbst zu beweihräuchern – das kann es doch nicht sein! Das ist einfach verrückt. Auch wegen meines Sohnes hätte ich da ein schlechtes Gewissen gehabt.
Wie sehr hat ihr anderthalbjähriger Sohn Ihre Sicht auf die Dinge verändert?
Sehr. Man fragt sich ja oft: Muss das sein? Jetzt weiß ich: Nein, das muss nicht sein! Weil mein Sohn mich vielleicht in ein paar Jahren fragen wird: Mama, was hast du eigentlich damals dagegen getan? Generell beeindruckt mich die junge Generation, die für ihre Interessen auf die Straße geht. Wenn die es nicht wuppen, wer dann? Man kann dem nicht mehr entfliehen. Ich höre Radio, ich schaue Fernsehen, ich lese Zeitungen – überall „Fridays For Future". Das treibt mich schon sehr um.
Hat die Geburt Ihres Kindes Sie persönlich verändert?
Ich drehe mich überhaupt nicht mehr um mich selbst, ich akzeptiere jede Falte. Was ich sehr krass fand, war, für ein Leben verantwortlich zu sein, es aus der eigenen Brust zu ernähren. Ich habe immer einen Rucksack auf.
Hält Ihr Sohn Sie fit?
Maximal! Der ist nur am Rennen. Jetzt schläft er allmählich gut, vorher war er alle zwei Stunden wach. Da wird man so malade, lebt im Paralleluniversum. Aber es macht auch Spaß.
Kommen Sie noch dazu, regelmäßig Sport zu treiben?
Leider nein. Ich würde sehr gerne wieder mehr Sport machen, aber durch meinen Sohn und die beruflichen Herausforderungen komme ich nur noch wenig dazu. Dreimal die Woche gehe ich für eine halbe Stunde joggen, mache ein bisschen Liegestütze und trainiere mit Kettlebells. Ich würde gerne einmal die Woche schwimmen gehen, aber das schaffe ich zeitlich gar nicht.
Haben Sie keine Entzugserscheinungen, nachdem Sie mehr als zwei Jahrzehnte jeden Tag für mehrere Stunden im Wasser waren?
Das hat sich ja sukzessive abgebaut. In der Schwangerschaft bin ich auch nicht schwimmen gegangen. Mein Sohn mochte es nicht, wenn ich lag. Wenn ich Kraul geschwommen bin, hat er im Bauch Rambazamba gemacht. In der Stillzeit habe ich es auch nicht auf die Kette bekommen. Ich freue mich aber auf die Zeit, wenn mein Sohn etwas selbstständiger ist. Dann gehe ich auf jeden Fall wieder schwimmen.
Sie waren aber mit Ihrem Sohn beim Babyschwimmen. Wie findet er das Element Wasser?
Wahnsinnig gut. Letztens ist er mit Puffern im Wasser gewesen und fand das überragend, obwohl er sich dreimal verschluckt hat. Der war so sauer auf mich, als ich ihn nach einer Stunde mit blauen Lippen aus dem Wasser gezogen habe. Ich wollte auch unbedingt so ein Bild von ihm wie auf dem berühmten Nirvana-Cover. Das habe ich auf ein Kissen drucken lassen, das liegt in seinem Bettchen.
Schwimmerinnen wie Therese Alshammar oder Dara Torres sind nach Babypausen erfolgreich in den Wettkampfsport zurückgekehrt. Wie sehr ziehen Sie davor den Hut?
Wenn man wieder ein geregeltes Leben haben will mit viel Schlaf, dann ist Leistungssport keine schlechte Alternative (lacht). Ich habe ja auch schon mal gesagt, dass ich für entsprechendes Gehalt auch zum Schwimmen zurückkehren würde. Aber der Aufwand ist maximal groß. Wenn sich das finanziell nicht rentiert, koche ich lieber woanders mein Süppchen.
Beruflich haben Sie sich nach Ihrem Studium zur Wirtschaftsingenieurin mit den Schwerpunkten Umwelt und Nachhaltigkeit sehr breit aufgestellt, Sie probieren viele Dinge aus und engagieren sich in vielen Projekten. Geben Sie uns bitte ein Beispiel.
Ich arbeite unter anderem für eine Krankenkasse im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Dort halte ich einen Vortrag über den Lebenszyklus einer Schwimmerin und verknüpfe das mit einer Sportstunde. Das ist ziemlich erfolgreich und macht auch sehr viel Spaß. Ich merke, wie die Leute zuerst denken: Jetzt kommt bestimmt so ein dämliches Tschakka-Tschakka-Ding, aber hinterher sagen alle, dass sie es gut fanden und es sie zum Nachdenken gebracht hat.
Sie erzählen mit sehr viel Leidenschaft von diesen Dingen. Ihr neuer Lebensabschnitt scheint Sie sehr zu erfüllen …
Mir geht es fantastisch. Das liegt auch daran, dass ich die Sachen machen kann, die mir Spaß machen. Auch privat habe ich mein Glück gefunden.
Haben Sie noch Kontakt zu ihrem Ex-Freund Paul Biedermann, der ja auch ein sehr erfolgreicher Schwimmer gewesen war?
Ja, den gibt es, aber nur sehr wenig. Wir quatschen ab und an, meistens über sein Sportstudium. Aber auch wenn es krass klingt, der Spruch stimmt schon: Aus den Augen, aus dem Sinn. Jeder macht sein eigenes Ding, und wenn man Familie hat, dann erst recht.