Im heiß umkämpften Transfermarkt haben die Spieler mittlerweile die Macht übernommen. Mit teils höchst fragwürdigen Methoden erzwingen einige von ihnen sogar einen Wechsel.
Thomas Tuchel weiß natürlich, wie das Spiel funktioniert. Als Tuchel noch Trainer von Borussia Dortmund war, probten unter anderem Pierre-Emerick Aubameyang und Ousmane Dembélé den Aufstand, um woanders an mehr Geld und Ruhm zu kommen. Jetzt bei Paris St. Germain ziehen Superstar Neymar und seine Berater alle Register, um nach nur zwei Jahren die Flucht aus Frankreich zu ergreifen.
„Er hat Qualität ohne Ende. Deshalb wäre es ein großer Verlust", sagte Tuchel kürzlich: „Da müssen wir abwarten, es bleibt uns gar nichts anderes übrig." Der PSG-Coach regt sich nicht groß auf, denn er weiß: Als Trainer hat er in diesem (Macht-)Spiel kaum Einfluss, das machen der wechselwillige Spieler und die Clubführung unter sich aus. Und weil die Profis zu immer drastischeren Maßnahmen wie Streiks greifen, breitet sich auf Vereinsseite Ohnmacht aus.
In der Bundesliga musste dies Borussia Dortmund in jüngerer Vergangenheit gleich mehrfach erleben, als sich erst Dembélé (heute FC Barcelona) und dann Aubameyang (FC Arsenal) mit Trainingsboykotten einen Wechsel quasi erstreikt hatten. Der BVB konnte es sich finanziell einfach nicht erlauben, Spieler gegen ihren Willen zu halten und damit sehr wahrscheinlich viele, viele Millionen Euro zu verbrennen. Immerhin spülten die Transfers der beiden Streikprofis satte 190 Millionen Euro in die BVB-Kasse.
Angesichts der finanziell deutlich besseren Situation agiert Dortmund – zumindest nach außen – nun aus einer stärkeren Position heraus. „Der nächste Spieler, der Zicken macht oder streiken will", kündigte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke an, „den lassen wir schmoren". Diese Aussage ist jedoch zunächst nur eine Drohkulisse, denn als Aktiengesellschaft ist die BVB-Lizenzspielerabteilung nicht so sehr den Mitgliedern, die ein hartes Durchgreifen gegen Streikprofis in der Mehrheit befürworten, sondern den Aktionären Rechenschaft schuldig.
Verantwortliche von PSG haben resigniert
Die Realität ist: Wenn ein Spieler wirklich wegwill, dann schafft er das früher oder später auch. Ein bestehender Vertrag bedeutet nur, dass die Ablösesumme etwas höher ausfällt. Das sind die Lehren aus den Fällen von Aubameyang, Dembélé, Philippe Coutinho, Antoine Griezmann, Henrikh Mkhitaryan und vieler anderer Profis, die ihre Wechsel quasi erzwungen haben. Und Neymar eiferte ihnen nach.
Der Offensivstar war unentschuldigt beim Trainingsauftakt erschienen, was bei einem Brasilianer zunächst nichts Ungewöhnliches ist. Wäre da nicht der heftige Flirt, mit dem Neymar öffentlich um eine Rückkehr zu Ex-Club FC Barcelona gebuhlt hatte. Auf Instagram veröffentliche der 27-Jährige ein gezeichnetes Bild, das ihn im Trikot der Katalanen zeigt.
Bei einem Medientermin nannte Neymar auf die Frage nach seinen wichtigsten Momenten neben dem Olympiasieg 2016 in seinem Heimatland auch Barcas historische Aufholjagd gegen Paris im Viertelfinal-Rückspiel der Champions-League-Saison 2017. „Das Gefühl, als wir das sechste Tor erzielt haben, war einmalig, spektakulär", sagte der Profi, der von PSG jeden Monat ein fürstliches Gehalt überwiesen bekommt.
Die Verantwortlichen von Paris haben längst aufgegeben, Neymar weiter für das Projekt zu begeistern. Neymars Zukunft bei PSG sei „keine Frage der Sentimentalität, sondern des Geldes", sagte Sportdirektor Leonardo kürzlich. Spätestens bei solchen Aussagen wissen der wechselwillige Spieler und seine Berater, dass sie ihrem Ziel nahe sind.
In diesen Fällen brauchen sie nur noch einen Verein, der sie verpflichtet und ihre – natürlich höheren – Gehaltsvorstellungen erfüllt. Von einer Solidarität unter den Vereinen, streikende Profis nicht aufzunehmen, sei man „ganz weit weg", sagt Ex-Nationalspieler Matthias Sammer, der so etwas aber als zwingend erforderlich erachtet: „Auf Dauer muss es zur Gemeinsamkeit, zum Miteinander kommen." Nach Meinung des früheren Sportdirektors von Bayern München würden die Spieler momentan Katz und Maus mit den Clubs spielen: „Das ist aktuell überhaupt nicht mehr kontrollierbar. Wir haben eine Situation, die die Vereine überrennt." Sammer würde als Verantwortlicher keinen Spieler verpflichten, der bereit ist, sich zu einem neuen Club zu streiken. „Dieser sogenannte ‚faule Apfel‘, der bei einem Verein faul war, aber sich bei seinem Verein plötzlich in voller Blüte und Schönheit präsentiert – das ist eine Mär", sagte der Europameister von 1996.
Diesen Grundsatz verfolgen aber längst nicht alle Clubs. Dass zum Beispiel in Dembélé, Coutinho (vorher FC Liverpool), Griezmann (Atlético Madrid) und nun womöglich Neymar gleich vier Stars ihren favorisierten Wechsel zum FC Barcelona mit höchst fragwürdigen Mitteln forcierten, wird in der Branche nicht als Zufall gewertet.
Medien mit im Boot
Für den spanischen Meister geht das Spiel auf: Die Profis sind in der Öffentlichkeit die Buhmänner, was den Druck auf den aktuellen Arbeitgeber erhöht, sie loszuwerden. Das wiederum drückt den Preis. Die Berater werkeln im Hintergrund fleißig am Transfer, manchmal machen sie aber auch in der Öffentlichkeit Stimmung. Der Anwalt von Frankreichs Nationalspieler Griezmann erklärte das Fernbleiben seines Klienten beim Training von Atlético Madrid mit einer „zu hohen emotionalen Belastung". Die Fans schäumten vor Wut und wollten den Spieler sofort vom Hof jagen – und Griezmann kam seinem Ziel einen Schritt näher.
Gerne werden in diesem Spiel auch Medien mit ins Boot geholt. Bei Neymar berichteten spanische Sportzeitungen zum Beispiel von einer angeblichen Whatsapp-Gruppe mit seinen ehemaligen Teamkollegen Lionel Messi und Luis Suárez, in der der Brasilianer geschrieben haben soll: „Keine Sorge, ich komme zurück!" Auch die Ausrüster greifen mitunter in die Trickkiste, wenn ein angestrebter Transfer wie der von Coutinho vom FC Liverpool nach Barcelona ins Stocken gerät. Nike zum Beispiel warb auf der eigenen Internetseite bereits mit dem Offensivspieler, da war der Wechsel noch gar nicht in trockenen Tüchern.
Am effektivsten ist aber, wenn der wechselwillige Profi einfach seine Arbeit niederlegt. Coutinho tat dies in Liverpool, offiziell kaschiert mit Rückenproblemen. Dembélé brachte damit die Verantwortlichen von Borussia Dortmund zur Weißglut – und am Ende zur Unterschrift unter das Barca-Angebot. Für die BVB-Fans ist der junge Franzose seitdem ein rotes Tuch, doch ein schlechtes Gewissen hat Dembélé deshalb nicht: „Ich hatte den Eindruck, dass ich die Erfüllung meines Traums verpassen würde. Deswegen habe ich mich so verhalten, dazu stehe ich."
Fotograf „rein zufällig" dabei
Dembélé war für einige Profis in gewisser Weise sogar ein „Vorbild". Aubameyang bekam hautnah mit, dass der BVB irgendwann einknickte – und zog fast dieselbe Masche etwas später durch. Als der damalige BVB-Trainer Peter Stöger den Gabuner für das zweite Spiel im Jahr 2018 wegen lustloser Trainingsleistungen aus dem Kader strich, kickte der Torjäger in einer Soccer-Halle. Dabei trug er ein Trikot von – genau, Ousmane Dembélé. Und natürlich war rein zufällig ein Fotograf dabei, der die Bilder an die Öffentlichkeit brachte. Solche Verhaltensweisen sind aber keineswegs nur auf die absoluten Toptransfers beschränkt. Auch der österreichische Nationalspieler Marko Arnautovic erzwang mit sehr fragwürdigen Mitteln seinen Wechsel zum chinesischen Meister Shanghai SIPG. Der Brasilianer Caiuby hatte offenbar keine Lust mehr auf den FC Augsburg und schwänzte mal eben die komplette Wintervorbereitung, ehe er vom Verein suspendiert und schließlich zu den Grasshoppers Zürich ausgeliehen wurde. Beim Hamburger SV schaffte Neun-Millionen-Euro-Mann Walace mit Verspätungen aus dem Urlaub und lustlosen Trainingsleistungen den Absprung. Für den Hamburger SV blieb es ein dickes Minus-Geschäft.
Aufgrund solcher Unsitten ist der Fußball-Profi an sich in Verruf gekommen. Als Martin Hinteregger einen Fototermin mit der Mannschaft des FC Augsburg verpasste, wurde in manchen Medien sofort vom „Streikprofi" geschrieben, da sich der Verteidiger bekanntlich einen Wechsel gut vorstellen konnte. Doch Hinteregger absolvierte wie mit dem Verein abgesprochen ein Reha-Programm in der Heimat. „Wenn ich streiken oder etwas provozieren wollte", stellte Hinteregger klar, „bleibe ich doch eher wie Caiuby oder Neymar zwei Wochen im Urlaub." Solche Vergleiche findet der Abwehrmann „schon hart". Neymar, zu dem weltweit Millionen Kinder aufschauen, weil er mit dem Ball am Fuß so überragende Dinge anstellen kann, taugt in Sachen Loyalität und Anstand offenbar nicht zum großen Vorbild. Aber das weiß er offenbar auch. „Ich bin kein Superheld oder ein perfektes Vorbild", sagte er über sich selbst.