Sämtliche Vorzeichen sprechen dafür, dass sich die drei dominierenden Teams der vergangenen Jahre, die SG Flensburg-Handewitt, der THW Kiel und die Rhein-Neckar Löwen, auch in der Ende August startenden Saison 2019/2020 wieder einen spannenden Kampf um die Handball-Meisterschaft liefern werden.
Wenn in der Handball-Bundesliga (HBL) am 22. August der Start in die Saison 2019/2020 erfolgen wird, wobei es sich um die 42. Auflage in der eingleisigen oder um die insgesamt 54. in der höchsten bundesdeutschen Spielklasse handelt, müssen sich die Fans zunächst mal mit zwei Neuerungen anfreunden. Erstens werden wohl viele den VfL Gummersbach schmerzlich vermissen, den einst erfolgreichsten Handballverein der Welt, der als letztes verbliebenes Gründungsmitglied der Liga diese nach 53-jähriger Zugehörigkeit zum Ende der vergangenen Saison verlassen musste. Zweitens gilt es, sich an einen neuen Liga-Namen zu gewöhnen. Denn der in Ulm beheimatete Öl- und Schmiermittelhersteller Liqui Moly hat die Deutsche Kreditbank AG als Titelsponsor abgelöst, die Liga fungiert daher fortan als Liqui Moly Handball-Bundesliga. Wo seit der Saison 2012/2013 auf Trikotärmeln oder auf allen TV-relevanten Hallen-Werbeflächen das Logo der Bank zu sehen war, wird man sich nun an das blau-rot-weiße Markenzeichen des Öl- und Additivspezialisten gewöhnen müssen, der sich im Laufe der vergangenen Jahre ganz zielstrebig zu einer festen Größe im hiesigen Sport-Sponsoring entwickelt hat.
Bei der ewigen, zwangsläufig zum Saisonstart gestellten Frage nach dem Meisterschafts-Favoriten dürfte eine dezidierte Antwort diesmal besonders schwerfallen. Denn mit Titelverteidiger SG Flensburg-Handewitt, dem amtierenden Pokalsieger THW Kiel und den nach einer enttäuschenden Vorsaison enorm personell aufgerüsteten Rhein-Neckar Löwen dürften von der Papierform her gleich drei Teams auf Augenhöhe anzusiedeln sein. Es wäre mehr als eine Sensation, wenn der kommende Champion nicht aus dem Lager einer der drei genannten Aspiranten kommen würde. Einen ersten Formcheck dürfte für Meister und Pokalsieger ihr Aufeinandertreffen am 21. August in Düsseldorf im Rahmen des Pixum Super Cups ermöglichen. Auch in der Liga treffen die Konkurrenten schon früh aufeinander, am zweiten Spieltag empfängt Flensburg die Löwen, am fünften Spieltag steigt das 101. Nordderby zwischen Flensburg und Kiel, der erste Nord-Süd-Gipfel zwischen den Löwen und Kiel ist für den zwölften Spieltag angesetzt.
Für die weiteren internationalen Plätze, die zur Teilnahme am EHF-Cup berechtigen, dürften wieder vor allem der SC Magdeburg, die MT Melsungen und die Füchse Berlin berechtigte Ansprüche anmelden können. Sie spielen diese Saison, die wegen der Europameisterschaft eine einmonatige Pause Anfang 2020 beinhaltet, gemeinsam mit den Rhein-Neckar Löwen in diesem internationalen Pokalwettbewerb, der schon traditionell von deutschen Clubs dominiert wird und in dem der THW Kiel den Pott im Mai im rein deutschen Finale gegen die Füchse Berlin zum vierten Mal in seiner Clubgeschichte gewonnen hatte. Für die Europäische Handballföderation (EHF) war das Grund genug, der HBL einen zusätzlichen, sechsten internationalen Startplatz zu gewähren. Nachdem Meister SG Flensburg-Handewitt automatisch für die Champions League gesetzt und Vizemeister THW Kiel von der EHF eine Wildcard für die europäische Elite-Liga erteilt worden war.
Großes Gefälle in der Liga
Im Abstiegskampf ist kaum zu erwarten, dass es zu einer Wiederholung des Dramas und Spannungshöhepunkts wie zum Ende der Saison 2018/2019 kommen wird. Als am letzten Spieltag gleich drei Mannschaften punktgleich am Tabellenende rangierten und die Tordifferenz den Ausschlag für den Abstieg geben musste. Und der VfL Gummersbach wegen einem einzigen Törchen die Liga gemeinsam mit der SG BBM Bietigheim verlassen musste, wohingegen sich die Eulen Ludwigshafen noch glücklich retten konnten. Ob den Eulen das auch diesmal gelingen wird, bleibt abzuwarten, vermutlich werden sie wohl ebenso um den Klassenerhalt bangen müssen wie die beiden Aufsteiger HBW Balingen-Weilstetten und die mit einem Top-Neuzugang in Gestalt des von Magdeburg kommenden österreichischen Rechtsaußen Robert Weber aufwartende HSG Nordhorn-Lingen. Allerdings hat uns das Beispiel des letztjährigen Aufsteigers Bergischer HC gelehrt, dass ein Liga-Neuling manchmal durchaus auch das Potenzial zu einem Überraschungscoup haben kann, schließlich landeten die Bergischen auf dem nie für möglich gehaltenen siebten Rang der Abschlusstabelle.
Ein Blick auf die wichtigsten Vereine im Schnelldurchlauf – mit potenziellen Stärken, Problemen, Neuverpflichtungen und wesentlichen Abgängen:
SG Flensburg-Handewitt: Ausgerechnet der Titelverteidiger scheint vor Saisonstart von den drei Meisterschaftskandidaten die meisten Probleme zu haben. Denn mit Tobias Karlsson (Karriereende) und Rasmus Lauge (Wechsel zum ungarischen Telekom Veszprém) hat die SG ihre beiden zentralen Spieler in Abwehr und Angriff verloren. Meistercoach Maik Machulla, dem es schon in der Vorsaison perfekt gelungen war, sechs Neuzugänge zu integrieren, hat im Trainingslager den Schwerpunkt seiner Arbeit auf den Aufbau einer neuen, stabilen Abwehr gelegt. Im Angriff erhofft man sich positive Akzente im linken Rückraum durch die Verpflichtung des polnischen Nationalspielers Michal Jurecki. Womöglich wäre es sinnvoll gewesen, das dänische Top-Talent Lasse Kjaer Møller durch Zahlen einer Ablösesumme schon vor dem Sommer 2020 nach Flensburg zu holen. Machulla gibt sich denn auch recht bescheiden auf die Frage nach etwaigen Meisterschafts-Ambitionen: „Sicherlich haben wir durch zwei Meisterschaften in Serie Selbstvertrauen getankt, doch der Topfavorit sind wir nicht."
THW Kiel: Ein vornehmes Understatement in Sachen Titelanspruch kommt für den Rekordmeister und LigaKrösus natürlich nicht infrage. Kiel will und muss eigentlich wieder Meister werden, das ist der Club seinem verwöhnten Publikum und seinen potenten Sponsoren einfach schuldig. Der neue Trainer Filip Jicha soll’s richten und eine neue Erfolgsära in direkter Nachfolge des legendären Alfred Gislason einleiten. Das Team ist eingespielt und auf allen Positionen hochkarätig besetzt, die beiden Neuzugänge, der deutsche Nationaltorhüter Dario Quenstedt und Defensivspezialist Pavel Horak, sind vornehmlich als Ergänzungsspieler eingeplant.
Aufsteiger werden es schwer haben
Rhein-Neckar Löwen: Der enttäuschende vierte Platz in der Vorsaison war weit unter den Erwartungen der Verantwortlichen rund um den sportlichen Leiter Oliver Roggisch. Von daher hat man es in Mannheim tunlichst vermieden, kesse Sprüche in Sachen Titel-Ambitionen zu lancieren. Der als Nachfolger von Erfolgscoach Nikolaj Jacobsen verpflichtete isländische Trainer Kristján Andrésson, der weiterhin auch die schwedische Nationalmannschaft betreuen wird, gab sich zunächst nach außen hin sehr bescheiden: „Wir wollen in jedem Wettbewerb so gut wie möglich abschneiden. Die konkreten Ziele werden wir aber erst gemeinsam mit der Mannschaft erarbeiten." Deutlich offensiver gab sich da schon Geschäftsführerin Jennifer Kettemann: „Wir können als Club stolz auf diesen Kader sein." Womit sie direkt auf die extreme personelle Verstärkung der Mannschaft anspielte. Schließlich kehrte mit Weltklasse-Linksaußen Uwe Gensheimer der verlorene Sohn der Stadt nach drei Jahren Pariser Absenz zurück. Und es konnte der französische Nationalspieler Romain Lagarde als zweiter Königstransfer vom HBC Nantes (wohl gegen Zahlung einer Ablöse) ein Jahr früher als geplant zu den Löwen geholt werden. Möglicher Vorteil für die Löwen im Titelkampf könnte sein, dass ihnen die zahlreichen, kräftezehrenden Spiele in der Champions League erspart bleiben.
SC Magdeburg: Es dürfte schwer werden, nach dem Abgang von Torwart Dario Quenstedt und Rechtsaußen Robert Weber den herausragenden dritten Platz der Vorsaison zu wiederholen. Aber vielleicht wird sich im Team um den letztjährigen Liga-Torschützenkönig Matthias Musche ja einer von gleich sechs Neuzugängen als Volltreffer erweisen.
MT Melsungen: Nicht zuletzt dank starker Sponsorenpower hat der nordhessische Club ganz offensiv für die nächsten Jahre klare Ansprüche auf einen nationalen oder internationalen Titel angemeldet. Was die einst graue Maus der Liga damit unterstrichen hat, dass mit Kai Häfner (von der TSV Hannover-Burgdorf) aktuell nun bereits der fünfte deutsche Nationalspieler hier einen Vertrag unterschrieben hat.
Füchse Berlin: Nach der mehr als durchwachsenen Vorsaison bleibt abzuwarten, ob die Füchse wieder die Kurve nach oben finden werden. Immerhin konnte mit Michael Müller (von der MT Melsungen) eine Verstärkung für den rechten Rückraum geholt und mit Dejan Milosavljev ein ernsthafter Konkurrent für Torwart Silvio Heinevetter verpflichtet werden.