Union Berlin hat für sein Premierenjahr in der Bundesliga die Aufstiegsmannschaft zahlreich verstärkt. Das ist nicht ohne Risiko, doch die Verantwortlichen sind von dem Konzept überzeugt.
ür dieses Mannschaftsfoto mussten die Fotografen ein Stück weiter nach hinten treten. 34 Spieler und 14 Leute aus dem Trainer- und Betreuerstab zwängten sich beim offiziellen Termin von Union Berlin aufs Bild. „Jetzt heißt es: zusammenrücken – und dann passt es", twitterte der Bundesliga-Aufsteiger zu dieser Szene. Aber passt das wirklich? Mit elf Neuzugängen haben sich die Eisernen für ihre Premierensaison verstärkt. Eine eingespielte Mannschaft darf daher kaum jemand erwarten, wenn Union am 18. August zu Hause gegen Titelkandidat RB Leipzig sein Bundesligadebüt feiert. Union-Präsident Dirk Zingler gibt trotzdem selbstbewusst das Motto der Saison vor: „Wir sind gekommen, um zu bleiben." Für das Ziel Klassenerhalt braucht es aber einen ungewöhnlichen Teamgeist, und der muss sich erst noch finden. Bei den Aufstiegshelden, die in der Relegation den Favoriten VfB Stuttgart in die Knie gezwungen hatten, dürften die Transferaktivitäten nicht sonderlich gut angekommen sein. Als „Shopping King" wurde der Klub vom Fußball-Magazin „11 Freunde" bezeichnet, in Köpenick hätten die Verantwortlichen auf dem Transfermarkt zugeschlagen „wie ein Felix Magath bei Schalke 04".
Union habe sich keineswegs im Kaufrausch befunden, versichert Oliver Ruhnert. Der Geschäftsführer sprach von „gewollten Verpflichtungen, die vorbereitet waren". Trainer Urs Fischer ist zumindest zufrieden mit dem, was er für die Mission Klassenerhalt zur Verfügung gestellt bekommt: „Kompliment an Oli, er hat einen tollen Job gemacht." Doch Ruhnert muss zugeben, dass das Kommen und Gehen in den vergangenen Wochen an den Nerven zehrte: „Ich kann nicht verhehlen, dass das diesjährige Transferfenster sehr stressig war."
Die prominentesten Neuzugänge sind ohne Frage Neven Subotic (30) und Christian Genter (34). Sie haben sportlich den Zenit ihres Könnens zwar bereits überschritten, doch sie können dem Neuling im Fußball-Oberhaus etwas anderes wichtiges geben: Erfahrung. Beide kommen auf zusammen 586 Bundesligaspiele – das sind 125 Prozent mehr als alle anderen Kaderspieler zusammen.
Ruhnert bestreitet einen Kaufrausch
„In die Mannschaft passe ich vom Charakter und den Strukturen her ganz gut herein", sagte Mittelfeldspieler Gentner, der mit seiner Zweikampfstärke und Übersicht zu Saisonbeginn einen Stammplatz haben dürfte. Mit Union will der Routinier unbedingt die Klasse halten. Das war ihm mit Stuttgart ausgerechnet im Duell gegen die Berliner nicht gelungen. „Es wird ein harter Kampf, es geht um Kleinigkeiten", sagte Gentner, der „sieben, acht Mannschaften" auf Augenhöhe sieht und glaubt: „Durch die Euphorie der Fans haben wir einen Pluspunkt."
Wegen der besonderen Stimmung auf den Rängen und im Verein hat sich auch Subotic für Union entschieden. Der Innenverteidiger, der mit Borussia Dortmund zweimal Deutscher Meister geworden war (2011 und 2012), ist der Meinung: „Hier wird mit ganzem Herzen gespielt. Das hat mich tatsächlich auch überzeugt." Allein aufgrund seiner Erfahrung und Erfolgen in der Vergangenheit hat Subotic aber keinen Stammplatz sicher. Wegen seiner Knieverletzung, die er sich bei seinem letzten Verein AS St. Etienne zugezogen hatte, konnte der Innenverteidiger in der Vorbereitung nicht das ganze Programm abspulen. „Neven hat über drei Monate nicht mehr gespielt", sagte Trainer Fischer: „Daher braucht das seine Zeit."
Mittelfristig aber soll der Serbe mit Marvin Friedrich das Innenverteidiger-Duo bilden. Der Aufstiegsheld wurde vom FC Augsburg fest für zwei Millionen Euro verpflichtet. Etwa gleich viel legte Union für Anthony Ujah auf den Tisch – und das ist verglichen mit früheren Ablösesummen für den nigerianischen Stürmer ein Schnäppchen. Doch seine Zeit zuletzt beim FSV Mainz war nicht die glücklichste, und auch in Berlin ist der 28-Jährige nicht automatisch gesetzt.
„Ich bin schon lange genug in Deutschland und weiß, wie es hier zugeht. Ich muss um meinen Platz kämpfen", sagt Ujah, der in 109 Bundesligaspielen immerhin 27 Tore erzielte. Trainer Fischer weiß, dass sein Team sich vor allem im Offensivspiel „steigern muss", wenn es eine Chance auf den Ligaverbleib haben will. Mit Ujah und Marcus Ingvartsen (von KRC Genk) bestehe nun „auch die Möglichkeit, mit zwei Sturmspitzen zu agieren".
Um ihre Positionen im Angriff verstärkt kämpfen müssen Sebastian Andersson, der in den Relegations-Duellen gegen Stuttgart groß auftrumpfte, und erst recht Sebastian Polter. Der Brecher war schon am Ende der vergangenen Rückrunde kaum noch gefragt, durch die größere Konkurrenz im Sturmzentrum dürften sich seine Einsatzzeiten noch mal verringern. Doch Polter will auch im XXL-Kader um seinen Platz kämpfen – und dabei erinnert er sich an seine Zeit beim VfL Wolfsburg. „Ich hatte es schon mal bei Felix Magath so ähnlich, wo es relativ viele Spieler waren", sagte der 28-Jährige: „Am Ende wurden die Spieler rausgepickt, die die Qualität haben, erste Bundesliga zu spielen." Bei Union gibt es also einen knallharten Verdrängungs-Wettkampf.
Rückschläge einkalkuliert
Dass die Mannschaft aufgrund der vielen Neuzugänge nicht so eingespielt sein kann wie am Ende der Aufstiegssaison, zeigte die Generalprobe gegen den spanischen Erstligisten Celta Vigo, die 0:3 verloren ging. Trainer Fischer nannte das Resultat eine „Ohrfeige", die er aber nicht nur negativ werten wollte: „Es gehört auch dazu, mit solchen Rückschlägen umzugehen." Denn in der Bundesliga drohen solche und noch schlimmere Niederlagen an fast jedem zweiten Wochenende.
Union spielte sich gegen Vigo zwar die ein oder andere Möglichkeit heraus, war im Abschluss aber viel zu harmlos. In der Bundesliga dürften sich für Ujah und Co. noch weniger Gelegenheiten bieten, deshalb forderte Kapitän Christopher Trimmel: „Wir müssen vorn jede Chance nutzen." Doch auch die Abwehr offenbarte kurz vor dem Ligastart einige Schwächen, die gegen Robert Lewandowski, Marco Reus und die anderen Hochkaliber der Bundesliga „sofort bestraft werden", wie Trimmel warnte: „Das Gute ist: Jetzt wissen wir, was wir besser machen müssen. Das weckt auch ein bisschen auf."
Den Berlinern kommt zugute, dass sie nicht viel zu verlieren haben. „Wenn wir drin bleiben", sagte Subotic, „ist das wie der Gewinn der Meisterschaft". Der Klassenerhalt wird nur gelingen, sollte das Stadion an der Alten Försterei wie in der vergangenen Zweitligasaison erneut zur Festung werden. „Ich habe mit vielen ehemaligen Kollegen aus Freiburg gesprochen – jeder hat Angst, nach Berlin zu kommen, weil sie wissen, wie schwer es ist, in der Alten Försterei zu punkten ", sagte Torhüter Rafal Gikiewicz der „Bild". Selbst sein polnischer Landsmann Lewandowski habe großen Respekt vor Union, „weil er weiß, wie schwierig es ist aufzusteigen."