Was, wenn in Brandenburg die AfD zur stärksten Kraft wird? „Das wäre eine klare Zäsur, viele haben deswegen Sorge", sagt SPD-Landeschef Dietmar Woidke. Er will mit Lösungsmöglichkeiten und Zusammenhalt punkten, statt zu zündeln. Er bereitet sich zwischen ländlichem Raum und Berliner Speckgürtel aufs Regieren in einem Dreierbündnis vor.
Herr Woidke, jetzt, kurz vor der Wahl, hagelt es von allen Seiten Umfragewerte – haben denn Umfragen überhaupt noch einen Wert für Sie?
Umfragen sind ein Gradmesser der politischen Stimmung. Nicht jede Umfrage ist gleich gehaltvoll. Umfragen, die von erfahrenen Instituten erhoben werden, geben immerhin eine Orientierung. Online-Umfragen, bei denen sich Nutzer mit verschiedenen Namen anmelden und mehrfach abstimmen können, erzeugen Schlagzeilen, aber keinen Mehrwert. Entscheidend ist und bleibt, dass ich keine Umfragen, sondern die Wahlen gewinnen will.
Ist Ihre Vorsicht eine Lehre aus dem Schulz-Hype vor der letzten Bundestagswahl?
Demut vor den Wählern ist Politikerpflicht. Der von Ihnen genannte Schulz-Hype zeigt, dass die Menschen ehrliche Politiker mit gerader Linie und einer Haltung wollen. Das hat er nach seinem Start erfüllt. Bei Politikgewäsch schalten die Menschen ab – und das zu Recht.
Ich treffe im Wahlkampf jeden Tag sehr viele Menschen, höre deren Sorgen und Ängste und erkenne dadurch, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Behandeln wir die Themen richtig, die Menschen wichtig finden? Helfen unsere Lösungen wirklich, das Problem zu beseitigen? Alle Gespräche, die ich führe, zeigen, dass die Menschen ein Interesse an der SPD haben. Mehr noch: Sie trauen uns zu, dass wir helfen können. Das macht Mut und motiviert auch für die nächsten Herausforderungen, die wir meistern wollen.
Mut macht ja vielleicht auch, dass den Brandenburgern Bundestrends bisher relativ egal waren – immerhin hat die SPD bei der letzten Wahl fast 32 Prozent geholt. Zehn mehr als die Bundespartei ein Jahr zuvor …
Das ist richtig. Die SPD lag in Brandenburg immer über dem Bundestrend, und auch jetzt liegen wir deutlich darüber. Aber ich will nicht verhehlen, dass die bundespolitischen Turbulenzen auch bei uns zu spüren sind. Also die derzeitige Selbstdarstellung der SPD im Bund. Ich kämpfe für und um Brandenburg – nicht um Berlin. Und ich bin zuversichtlich, dass die SPD am 1. September in Brandenburg vorne sein wird. Es geht um Gemeinsinn und Zusammenhalt für ein starkes Brandenburg.
Die SPD macht im Bund eine sehr gute Arbeit, aber das dringt derzeit leider nicht durch. Zum Beispiel das Gute-Kita-Gesetz und das Starke-Familien-Gesetz. Und unsere SPD-Bundesminister sind in Brandenburg gern gesehene Gäste – völlig unabhängig von irgendeinem Wahlkampf. So auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz zur jetzt gestarteten Unterstützung des Bundes bei der Entschärfung von Weltkriegsbomben in Oranienburg und zur Unterstützung des Bundes bei der Strukturentwicklung in der Lausitz. Er hat das Millionen-Sofortprogramm für die Region auf den Weg gebracht. Dafür bin ich verdammt dankbar.
Oder Außenminister Heiko Maas in der Doppelstadt Frankfurt (Oder)/Slubice zur deutsch-polnischen Kooperation und Hubertus Heil in der Uckermark zur Ausbildung von Jugendlichen in ländlichen Räumen.
Mein Tipp an die Partei: Nicht irre machen lassen, sondern in Ruhe eine neue Spitze finden und wählen.
Sie selbst sind hier groß geworden, sitzen seit 25 Jahren im Landtag. Sie kennen auch das Protestpotenzial. Warum kriegen Sie das nicht in den Griff?
Eine Wahlentscheidung aus Protest zu treffen, das konnte ich schon früher nicht verstehen, als davon die Linken profitierten. Und es gelingt mir heute schon gar nicht. Was ich verstehe, sind die Sorgen, die die Menschen haben: In den Ballungsräumen die Angst vor steigenden Mieten. Im ländlichen Raum die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, keinen Arzt zu finden oder keine Busverbindung in die nächste Stadt mehr zu haben.
Ich will diese Sorgen hören, weil ich an deren Beseitigung arbeiten will. Ich will mich über die Schritte, die wir gemeinsam gehen, mit den Menschen verständigen. Protest bedeutet ja auch immer, dass man anstehende Aufgaben noch nicht erledigt hat. Aber darauf muss es doch ankommen. Also wähle ich doch die, die sich am besten mit den Bedingungen, Abläufen und Lösungen auskennen.
Es gibt aber Parteien, die sich der Sorgen bedienen und Ängste und Unsicherheiten schüren. Lösungen entstehen so aber nicht. Dazu braucht es mehr, und da freut es mich, dass die Menschen in Brandenburg dies der SPD zutrauen.
Eine dieser Sorgen ist die Sicherheit. Aber haben Sie nicht mit der Polizeireform bewirkt, dass es heute weniger Polizisten gibt als vor zehn Jahren?
Es gab tatsächlichen Abbau, weil der Landeshaushalt nicht mehr hergegeben hat und die Prognosen düster waren. Wir haben den Schalter längst umgelegt und stellen seit Langem wieder ein. Mit der SPD wird es bald 8.500 Beschäftigte bei der Polizei geben, weil wir auf einem hohen Niveau ausbilden, das wir auch über die nächsten Jahre halten werden.
Dennoch bleibt in den grenznahen Regionen die Sicherheit von Haus und Hof ein Topthema, mit dem die AfD Wähler abräumt.
Sicherheit ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Aber die AfD spielt nur mit der Angst. Wir sorgen nicht nur dafür, dass Polizei, Justiz und Ordnungsbehörden entsprechend ausgestattet sind. Wir setzen auch durch, dass alle hier lebenden Menschen die festgelegten Regeln einhalten. Wir wollen einen starken Staat, der überall unterstützt, wo er gebraucht wird.
Sicherheit entsteht nicht von allein, sondern es braucht aktive Politik. Und als Polen-Beauftragter der Bundesregierung kann ich Ihnen versichern, dass Land und Bund alles unternehmen, um im grenznahen Bereich für Sicherheit zu sorgen. Wir kooperieren dort sehr gut und sind im ständigen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen in Polen. Auch ein gemeinsames Sicherheitszentrum ist geplant.
Müssten Sie womöglich selbst populistischer werden, um mit der AfD im Kampf um die Protestwähler mithalten zu können?
Wir werben um jeden und jede und sind immer bereit, die Zusammenhänge zu erläutern, die zu unseren politischen Entscheidungen führen. Wir hören zu, damit Politik keine Sorge übersieht. Wir setzen uns gern mit den Bürgerinnen und Bürgern zusammen, um nach Lösungen zu suchen. Aber wir werden auch sagen, dass mit einfachen Parolen nichts getan ist. Die Arbeit ist komplizierter, die geleistet werden muss.
Wir werden uns aber auch allen entgegenstellen, die Menschen auseinandertreiben und gegeneinander aufhetzen. Grenzverschiebungen und Tatsachenverdrehungen, Entgleisungen und Verunglimpfungen werden nicht unbeantwortet bleiben.
Was würde das für Brandenburg heißen, wenn die AfD stärkste Kraft im Land würde?
Das wäre für das Land eine klare Zäsur. Und ich merke das auch schon heute. Viele Menschen fragen bei mir direkt nach: Was machen wir, wenn die Rechtspopulisten wirklich stärkste Kraft werden?
Die Menschen spüren, dass unser Ruf als Land auf dem Spiel steht und damit auch unsere gute wirtschaftliche Entwicklung. Neue Investoren kommen nicht in ein Land, wo Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz vermeintlich an der politischen Tagesordnung sind. Denn ein guter Teil dieser Investoren kommt ja selber aus dem Ausland.
Aber auch nach innen wäre das ein fatales Signal. Diese Hetze, die wir hier jetzt im Wahlkampf erleben müssen, die es ja sogar auf Wahlplakate geschafft hat, ist der Nährboden für zukünftige Gewalt in unserem Land. So wie wir sie jetzt in Hessen mit dem Mord an Herrn Lübcke erleben mussten. Das will die SPD nicht, aber auch die Mehrheit der Brandenburgerinnen und Brandenburger nicht.
Die Rechtspopulisten spielen mit den Gefühlen der Menschen, spielen Ost gegen West aus. Das ist mir zuwider. Und interessanterweise kommen die führenden Kräfte der AfD bei uns aus dem Westen und zündeln bei uns im Osten.
Spannend wird ja das Ergebnis für Ihre Partei in der Lausitz, nachdem der Kohleausstieg beschlossen wurde …
Wir haben für diesen Kohleausstieg dem Bund eine Menge verbindlicher Zusagen für viele Maßnahmen zur Strukturentwicklung abgerungen. Natürlich wird das Ende eines ganzen Industriezweigs in einer Region nicht einfach, aber die Menschen haben ja gesehen, dass wir uns als Regierung für ihre Belange einsetzen.
Aber Sie haben Recht: Das wird schwierig in der Lausitz, auch weil die AfD schlicht sagt: Kohle kann ewig weiterlaufen. Aber bei der Braunkohleverstromung wäre ohnehin Mitte der 2040er-Jahre Schluss gewesen. Durch den Beschluss zum Kohleausstieg steigen wir nun schon bis 2038 aus, also rund sieben Jahre früher.
Dass wir für diese sieben Jahre im Gegenzug 17 Milliarden Euro zusätzlich an Strukturmitteln vom Bund für Ostdeutschland rausgeholt haben, ist eine Verhandlungsleistung, die sich echt sehen lassen kann. Andersherum: Mit der AfD-Haltung wäre für die Lausitz gar nichts herausgekommen.
Konkurrenz hat die Brandenburger SPD ja neuerdings auch noch durch die Grünen – die liegen in den Umfragen bei fast 15 Prozent. Ein Ergebnis des urbanen Speckgürtels?
Ja, das ist vor allem durch den starken Zuzug aus Berlin, aber auch aus Westdeutschland bedingt. Beim Thema Energie kann mir Büdnis90/Grüne aber nichts vormachen: Brandenburg ist das Nummer-eins-Land bei regenerativen Energien. Diesen Spitzenplatz wollen wir behalten, deswegen wollen wir Kommunen in die Entscheidungen zur Windenergie einbeziehen und an den Gewinnen beteiligen. Daran arbeiten wir, das müssen wir offensichtlich noch viel häufiger erzählen.
Herr Habeck macht es sich mit der Forderung, schneller aus der Kohle auszusteigen, zu einfach. In einer Talkshow kann man schnell mal „2030" sagen, aber das muss dann auch passen. Erstens: Energiesicherheit im Industrieland Deutschland, das 2022 komplett aus der Kernenergie ausgestiegen sein wird – und das ist gut so! Zweitens: Die Energiepreise müssen auch für kleinere Einkommen bezahlbar sein. Drittens: Es muss gute Alternativen für jene Frauen und Männer geben, die heute für unsere Energiesicherheit sorgen. Das alles ist bisher für 2030 nicht gewährleistet. Mein Ziel ist: Klimaschutz und CO2-neutrales Wirtschaftswachstum gehören zusammen.
Noch mal zurück zum Berliner Speckgürtel: Sorgt der für ungleiche Lebensverhältnisse im eigenen Land? Regionen nahe Berlin wie Potsdam, Teltow, Schönefeld boomen, die Prignitz, Schwedt oder Cottbus schwächeln?
Jede Region hat ihre Qualitäten. Und es ist auch nicht sinnvoll zu versuchen, alles gleich zu machen. Es gibt ja sogar die Forderung des Präsidenten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Reint E. Gropp, zu einer neuen Förderpolitik für Ostdeutschland: nämlich nur noch die Zentren zu fördern. Das ist Verrat an unseren ländlichen Räumen. Was der Herr Professor aus Halle zum wiederholten Mal von sich gibt, ist grober Unsinn und verunsichert die Menschen. Mit mir gibt es das nicht.
Ganz im Gegenteil: Brandenburgs Landesregierung will eine gleichwertige Entwicklung des ganzen Landes. Wir stärken die ländlichen Gebiete. Mehr Bahn plus Bus, mehr Internet, Erhalt auch kleiner Schulstandorte, das neue Landärzte-Stipendium und vieles mehr. Und es gibt erste Erfolge. An vielen Orten gibt es Zuzug, auch weil unsere ländlichen Gebiete besonders lebenswert sind. Was wir aber nicht können: Als Staat eine Kneipe zu betreiben. Selbst diese Forderung habe ich schon bei einem Bürgerdialog gehört.
Wie es aussieht, wird das Weiterregieren für Sie nach der Wahl nur noch im Dreierbündnis gehen, als Rot-Rot-Grün. Wird das nicht kompliziert mit Ost-Linken und urbanen Grünen?
Lassen Sie uns erst mal den Wahlabend abwarten. Aber Sie haben Recht: Das zukünftige Regieren wird nicht einfacher, weil die nächste Regierung sehr wahrscheinlich aus drei Parteien bestehen wird.
Für mich geht es jetzt im Schlussspurt des Wahlkampfes erst mal darum, dass die SPD stärkste Kraft bleibt. Und der Wahlkampf zeigt mir bisher: Es gibt guten Grund zu Optimismus.