Carsten und Anja Schmidt vom gleichnamigen Weinladen investierten 2001 in ein gänzlich neues Lokal-Format. Nun ist die „Weinbar Rutz" volljährig geworden und mit ihr das gleichnamige Fine-Dining-Restaurant im ersten Stock.
Ganz schön frisch für einen Dino! Die „Weinbar Rutz" und das Restaurant „Rutz" haben sich erstaunlich gut gehalten, nimmt man den Ausspruch von Geschäftsleiterin Anja Schmidt wörtlich: „Wir sind der Dino unter den Berliner Weinbars." Mit gerade 18 Jahren denkt allerdings noch keiner ans Aussterben. Im Gegenteil: Am 1. September wird erst einmal die Volljährigkeit ordentlich gefeiert.
Gemeinsam mit Sommelier Lars Rutz eröffneten Carsten und Anja Schmidt vom Weinladen Schmidt am 12. März 2001 die Weinbar. Die Kombination aus unkompliziertem, qualitätvollen Essen zu ein, zwei, drei Gläsern Wein oder der einen oder anderen Flasche war damals in Berlin noch rar. Es gab gerade einmal die „Kurpfalz-Weinstuben" das „Weinstein". Im „Rutz" wurde ein gewisser Ralf Zacherl erster Küchenchef. „‚Einfach kochen‘, das war Ralfs Motto fürs Rutz, das hat er eingeführt", sagt Geschäftsführer Carsten Schmidt. Viele großartige Gerichte seien dabei gewesen. Viele großartige Weine sowieso – die Bestände des 1964 gegründeten Weinladens waren ein solider Grundstock. „1.001 Wein" stand über der ersten Karte. Der Tod von Lars Rutz traf dann die „Weinbar", Freunde, Geschäftspartner und Mitarbeiter im Jahr 2003. „Doch dank eines großartigen Teams schafft man das alles", sagt Anja Schmidt.
Schon zum Start waren die Umstände alles andere als einfach: Die Banken hatten nicht finanzieren wollen; der 11. September machte sich später ebenfalls bemerkbar. Die Schmidts stemmten die Belastungen selbst. „Wir haben das Volumen in ein Mietobjekt investiert, mit dem andere ein Eigenheim gebaut haben", sagt Carsten Schmidt. Wie die Zeit gezeigt hat, erfolgreich. Für weitere zehn Jahre wurde am 29. Februar, dem Tag der Erstunterzeichnung, die Unterschrift unter den Mietvertrag bis 2029 gesetzt. Die Schmidts wohnen nach wie vor in ihrer Mietwohnung. Die Werte liegen in flüssiger Form in inzwischen „zwei Kneipen". So bezeichnet Anja Schmidt salopp das „Rutz" und das „Schmidt Z&KO", das sie und ihr Mann mit den Partnern und den Freunden Ralf Zacherl und Mario Kotaska in Steglitz betreiben. Dazu kommen drei Weinläden mit Barkonzept in der Kollwitzstraße, Schleiermacherstraße und in der Pestalozzistraße. Die drei „puren" Weinläden im Westend, in Lichterfelde und Hermsdorf gibt es ebenfalls nach wie vor. Das „Rutz" wird außerdem im nächsten Jahr eine Filiale in Kreuzberg eröffnen: Es wird das „Alte Zollhaus" von Herbert Beltle übernehmen. Im Frühjahr soll es mit einem neuen Konzept am Landwehrkanal losgehen.
Hybrid aus Weinbar und besterntem Fine Dining
Das Team im „Rutz" ist ein treues Völkchen: Seit 2004 lenkt Marco Müller, bekennender Produktfanatiker und intellektueller Kreateur feinbeiniger und bodennaher Gerichte, als Küchendirektor die Geschicke im „Rutz". Es ist ein Hybrid aus Weinbar im Erdgeschoss und Fine-Dining-Restaurant im ersten Stock. Ganz gleich ob sternebehängt oben oder mit dem BiB Gourmand veredelter Teller unten – alles stammt aus derselben Küche im ersten Stock und hat denselben hohen Anspruch an Produkte und Zubereitung. „Wenn man so ein Objekt und Projekt wie das ‚Rutz‘ mitprägen kann, dann bleibt man auch gerne", sagt Müller. „So lange Familie Schmidt mich so erträgt, wie ich bin", ergänzt er lachend.
Lange dabei seien viele, sind sich alle an unserem Tisch einig: Restaurantleiter Falco Mühlichen seit acht, Souschef Dennis Quetsch seit beinah sieben Jahren. Auch wer wieder geht, hinterlässt in Berlin häufig eigene Spuren. Sophia Rudolph als Küchenchefin im „Panama" oder Andreas Saul im „Bandol sur Mer" beispielsweise. Sommelier Jürgen Hammer mit „Hammers Weinkostbar" oder Sommelier Billy Wagner als Wirt des „Nobelhart & Schmutzig". „Wir formen nicht unbedingt Köche, wir formen Küchenchefs", sagt Marco Müller. Müller hat freie Hand für seine Ideen und deren Umsetzung mit seinem Team. Bereits in einem frühen Stadium der Menü-Entwicklung kommt Chefsommelière Nancy Großmann hinzu. Es wird so lange gemeinsam gefeilt, bis Teller und Getränke zueinander passen. Ideen und Leere, die den Raum für Kreativität öffnen, sind mehr als genug vorhanden. „Mit 40 dachte ich, dass ich so viel weiß, aber im Grunde weiß ich heute noch genau so wenig." Müller ist 49. „Es gibt noch so viele Gerichte, die gefunden werden wollen."
Wir finden nach dem schon längeren Gespräch und Foto-Shooting, dass wir mit dem „Dankeschön-Menü für 18 Jahre Rutz" starten sollten. Vier Gänge wollen immerhin noch gegessen und durchtrunken werden. Erst einmal haben uns das selbstgebackene Weißbrot und das Roggensauerteigbrot mit Fenchel von der Pankower Bäckerei Pawlik plus Leinöl und leicht gesalzene Butter vor übergroßer Heiterkeit durch „Raumland"-Sekt bewahrt. Ein Tatar von der acht Stunden auf Meersalz gebackenen Rote Bete mit Forellenkaviar und geraspeltem sowie cremigem Meerrettich bekommt farbliche und geschmackliche Akzente am Tisch hinzugespritzt. „Hopfenschaum aus dunklem Bier von Thorsten Schoppe aus dem Prenzlauer Berg", erklärt Weinbar-Chef Felix Hocke. Einen Röstbrot-Chip für den Crunch, ein bisschen Kräuteröl dazu, und nach ein, zwei Bissen ist die Sache klar: Das ist ein Gang, der auf die Treppe nach oben verweist. In den ersten Stock, in dem sich das seit 2016 mit zwei Michelin-Sternen und 17 Punkten des Gault & Millau ausgezeichnete Fine-Dining-Restaurant befindet. Mit einer von der geschmorten und gezupften Ochsenschulter gefüllten Maultasche landen wir danach wohlig-seufzend wieder im Erdgeschoss. In Johannisbeersaft gegarter Radicchio in Rauchsud, Schnittlauchöl und Leinsaatcracker als Zugabe zeigen, wie „Herrgottsbscheißerle" aromatisch hochverdichtet werden können. Ausgerechnet Butterbrösel – und zwar viele davon! – lassen das Maultäschle ganz, ganz leicht im Mund erscheinen. Ein guter Trick und ein Hoch auf die Gourmandise in der Weinbar! Auf einem 2016er Muschelkalk, einer Cuvée von Weißburgunder, Welschriesling und grünem Veltliner vom Weingut Lichtenberger & Gonzaléz aus Breitenbrunn am Neusiedlersee, surft der komprimierte Ochse geschmeidig in uns hinein.
In der Feierstunde arbeitet das Rutz-Team
Ob das wohl ein Gericht ist, das am 1. September gereicht wird? Dann wird im „Säälchen" die Volljährigkeit richtig groß gefeiert. „Das Rutz-Team lässt sich nicht nehmen, selbst den Wein-Service zu machen", sagt Anja Schmidt. Das heißt: Nicht selbst oder zumindest nicht allzu ausufernd mitfeiern auf der eigenen Party, sondern sich um die Gäste kümmern. Also so wie bei jedem guten Familienfest. Nur dass am Holzmarkt ein paar Hundert Menschen mehr zum Feiern am gastronomiefreundlichen Sonntagabend erwartet werden. 18 Winzer werden dabei sein, damit die Gäste stilecht und abwechslungsreich aufs Wohl der „Volljährigen" anstoßen können – unter ihnen Raumland, von Hövel, Künstler, von Winning, Clemens Busch, Kühling und Battenfeld. „Richtiges Weinbar-Essen" bildet die substanzielle Grundlage: Pfälzer „Leberworscht"-Stullen, wohl eher kleine Burger als „Täschle" aus Zupffleisch, Tatar, Käse und Brot. Ein Dessert wie die Tom-Kah-Gai-Aromen mit Erdbeertee und Olivenöl muss dann leider zu Hause bleiben. Nicht nur, dass das Eis mit Koriander, Basilikum und Chili zu schmelzfreudig wäre. Auch das Anrichten mit Erdbeertee, Nusscrumble, Romanasalat und Olivenöltropfen wäre zu schwierig. Das Dessert habe den Weg „nach oben" nicht ganz geschafft, merkt Marco Müller an. Als Mitspieler im Sechs- oder Achtgang-Menü wäre es gewiss noch filigraner ausgearbeitet und in kleinerer Menge dargereicht worden. Uns soll’s nicht stören, wir sind ja unten.
Ich mag den kokossig-gewürzigen Schmelz der Süßspeise gewordenen thailändischen Suppe sehr. Der Riesling Kabinett „Trittenheimer Apotheke" von Eva Clüsserath-Wittmann von 2017 ließe das Dessert „nicht süß" erscheinen, findet Carsten Schmidt. Seine Frau und ich meinen: Doch, die feine Frucht hebe die Erdbeere erst so richtig hervor und zwar in die süße Richtung. So soll es sein: Die Weinauswahl von Nancy Großmann liefert Gesprächs- und Diskussionsanlässe. Die „Apotheke" erfreut auch die Gäste, die später noch an unserem hohen „Schaufenstertisch" dazukommen: Marcus Hees, gerade als „Winzer des Monats" im Weinladen Schmidt zu Gast, tut sich an einem Jungbullen-Tatar mit geflämmter Gurke und Speckstaub nach einem langen Tag gütlich. Ein Sommelier aus anderem Hause schaut zusammen mit einem Freund auf ein Glas herein.
Wunsch für die nächsten 18: „Immer ein volles Haus"
Die Wünsche für die nächsten, wenn nicht gleich 18, so doch zehn Jahre? „Immer ein volles Haus", sagt Carsten Schmidt. „Und das zu unseren Bedingungen." Also mit immer wieder frischen Ideen, Gerichten und Getränken in hoher Qualität, die bei den Gästen ankommen. Mit Küchenchef Marco Müller, dem die Kreativität nie auszugehen scheint, sowieso. Und mit der Superpower, die Anja Schmidt mehrfach im Gespräch erwähnt: „Wir sind mit viel Herzblut und langsam gewachsen. So kannst du zwar nicht reich werden, aber du kannst stolz auf das sein, was entstanden ist."