Jugendliche unterstützen Onlinepetitionen und versenden Protestmails, aber kann ein Mausklick wirklich die Welt verändern? „Es ist eine Art symbolische Partizipation", sagt Prof. Dr. Marianne Kneuer. Sie forscht zur Zukunft der Demokratie im Internetzeitalter. Dem deutschen E-Government stellt sie schlechte Noten aus.
Frau Kneuer, Sie haben mal von „Wohlfühlaktivisten" gesprochen – und dabei die Menschen gemeint, die das Gefühl hätten, Einfluss auszuüben, nur weil sie einer Facebook-Gruppe beitreten oder sich an einer Onlinepetition beteiligen. Handelt es sich dabei in Wirklichkeit nur um die Illusion politischer Beteiligung?
Nein, so war das nicht gemeint. Es ist unbestritten, dass es einen ganzen Strauß neuer Beteiligungsformen im Internet gibt, die ganz besonders auch von Jugendlichen genutzt werden. Innerhalb dieses Portfolios existieren allerdings deutliche Unterschiede, was Aufwand und Wirkung solcher Beteiligungsformen angeht. Jugendliche beteiligen sich eher selten an Formaten, die besonders zeit- und ressourcenintensiv beziehungsweise langfristig angelegt sind, wie etwa an einer Befragung zum Bürgerhaushalt teilzunehmen oder selbst eine groß angelegte Onlinepetition zu organisieren. Stattdessen bevorzugen sie niederschwellige Formate wie die reine Teilnahme an einer Onlinepetition. Es gibt bei jungen Menschen die Tendenz zur schnellen und einfachen Aktion per Mausklick. Die Jugendlichen suggerieren sich damit selbst, dass sie sich politisch beteiligen, auch wenn diese Art der Beteiligung eigentlich nur darauf ausgerichtet ist, ein Zeichen zu setzen. Das meinte ich mit Wohlfühlaktivismus. Es ist eine Art symbolischer Partizipation, ohne sich wirklich zu engagieren und politische Entscheidungsprozesse aktiv zu gestalten.
Erleben wir in der jüngeren Generation eine Verflachung des politischen Engagements?
Teilweise schon. Man kann zwar nicht behaupten, dass diese Generation insgesamt weniger an Politik interessiert ist, im Gegenteil. Bloß haben Jugendliche heutzutage ein anderes Verständnis von Politik. Für sie ist der Politikbegriff sehr viel weiter gefasst und schließt beispielsweise auch den Boykott bestimmter Marken oder Produkte mit ein, Stichwort Palmöl. Auch das empfinden Jugendliche bereits als eine politische Aktion. Sicher gibt es innerhalb der Jugend solche, die politisch sehr aktiv sind, sowohl im Internet als auch außerhalb. Aber es überwiegt die Zahl derer, die eher die niederschwelligen, schnellen und auch konjunkturellen Angebote annehmen. Das heißt: Wenn ein bestimmtes Thema aufkommt, lässt man sich kurzzeitig dafür begeistern, aber danach ist es auch schnell wieder vorbei mit dem Engagement.
Spielen für die Jugend im Internet andere Politikfelder eine Rolle als für Ältere? Diskussionen etwa zur Rentenpolitik findet man in den sozialen Medien ja eher selten.
Das gehört ebenfalls zu dem veränderten Politikbegriff der Jugendlichen: Für sie sind heute andere Dinge relevant. Soziale und ökologische Themen wie der Klimawandel stehen sehr stark im Vordergrund, wie man gerade am Schulstreik und den Demonstrationen unter der Führung von Greta Thunberg sehen kann. Auch wenn sich diese Aktionen offline abgespielt haben, spiegeln sie sich auch online wider. Ein anderes Beispiel wäre das Thema Netzpolitik und die Diskussion zur Reform des Urheberrechts. Für solche Dinge können sich Jugendliche sehr stark begeistern.
Sind es dann auch andere Akteure, für die man sich online engagiert? Also eher Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace als Parteien und staatliche Institutionen?
Parteien stehen für eine langfristige Verpflichtung und ein langfristiges Engagement – beides Dinge, die sich Jugendliche für sich selbst oft nicht mehr in dem Maß vorstellen können. Parteien sind Akteure, die nicht zu dem Verständnis von Partizipation und Politik passen, das Jugendliche heutzutage haben. Bei jungen Leuten erleben wir stattdessen häufig ein kurzfristiges, kurzlebiges, themengebundenes Engagement. Daher sind organisierte Kampagnen erfolgreich, die anstelle der Parteien von Nichtregierungsorganisationen wie Campact vorangetrieben werden, also von großen, professionellen Kampagnenmaschinen.
Aber wie könnten die Parteien die Jugendlichen im Netz besser erreichen?
Die Ansprache der Parteien an die Jugendlichen muss sich stärker an deren Kommunikationsbedürfnissen orientieren. Das heißt: sehr viel mehr Onlinekommunikation, ohne sich anzubiedern. Die Jugendlichen wollen ernst genommen werden.
Bei Facebook entscheidet ein Algorithmus darüber, welche laufenden Debatten auf der eigenen Seite überhaupt angezeigt werden. Niemand weiß so genau, wie das funktioniert. Bekommen dadurch neue Akteure eine ungeahnte Macht, den politischen Diskurs zu beeinflussen?
Ich sehe ganz generell ein Machtproblem im Netz. Lange Zeit wurde das Internet als hierarchiefrei dargestellt, doch inzwischen wissen wir, dass das nicht der Fall ist. Auch im Internet bilden sich Diskurshegemonien heraus, gibt es Meinungsführerschaft, wird die Kommunikation strukturiert. Das Netz ist nicht so flach, wie man anfangs angenommen hat. Jetzt geht es darum, herauszufinden, welche Auswirkungen das hat und wie man damit am besten umgeht. Was Facebook angeht, ist die Plattform mittlerweile allerdings nicht mehr das meistgenutzte Medium unter Jugendlichen. Das sind stattdessen Whatsapp für die reine Kommunikation sowie ansonsten Instagram, Snapchat und Youtube. Gerade bei jungen Konsumenten gibt es momentan eine unglaubliche Dynamik.
Betrifft all das wirklich nur die Jugend oder findet politische Beteiligung im Internet in gleichem Maß auch in den älteren Generationen statt?
Schwer zu sagen. Jugendliche und junge Erwachsene wurden bislang sehr viel genauer erforscht als die Über-40-Jährigen oder Senioren. Da haben wir momentan noch eine Lücke. Ganz allgemein kann man aber wohl sagen, dass sich die politische Beteiligung im Internet nur geringfügig davon unterscheidet, was offline passiert. Mit anderen Worten: Die Möglichkeiten von Onlinepartizipation haben nicht unbedingt dazu geführt, dass sich die Beteiligung erhöht hätte, wie man anfangs geglaubt hat. Es ist auch nicht so, dass das Internet in dieser Hinsicht andere Formen des politischen Engagements verdrängt hat. Beides findet vielmehr ergänzend statt, also beispielsweise eine Netzkampagne gekoppelt mit einer echten Demonstration auf der Straße.
Die ursprüngliche Annahme, das Internet könnte der Demokratie einen neuen Höhenflug bescheren, ist demnach falsch?
Ich halte jedenfalls nichts davon, das Netz als neuen Beteiligungsort überzubewerten. Ebenso falsch ist es aber, das Internet zu verteufeln. In der öffentlichen Debatte werden häufig dysfunktionale Elemente wie Flashmobs hervorgehoben, wohl auch aus Verunsicherung und weil solche Erscheinungsformen vielen von uns erst einmal fremd erscheinen. Aber es gibt auch viele sinnvolle Formate.
Die höchste Form wäre das E-Voting, also die Stimmabgabe per Internet, wie sie beispielsweise in Estland längst praktiziert wird. Halten Sie E-Voting auch in Deutschland für denkbar?
Was E-Government angeht, also von staatlicher Seite angebotene Formate, zu denen auch das E-Voting zählt, sind wir in Deutschland nicht gerade Vorreiter. Da gibt es andere Länder, die schon sehr viel weiter sind: Estland, Großbritannien, Südkorea. E-Voting ist zurzeit in Deutschland nicht denkbar, nachdem das Bundesverfassungsgericht Sicherheitsbedenken geäußert hat. Solange diese nicht ausgeräumt sind, wird es auch nicht dazu kommen. Grundsätzlich glaube ich, dass wir E-Government am ehesten auf kommunaler Ebene sehen werden, wo zum Teil jetzt schon Bürgerbefragungen im Internet stattfinden.
Meist sind die Ergebnisse solcher Befragungen allerdings nicht bindend. Besteht da nicht die Gefahr, dass man die Teilnehmer vergrault und dadurch gerade auch unter Jugendlichen Politikverdrossenheit fördert?
Diese Gefahr besteht durchaus, wenn vorab nicht deutlich gemacht wird, dass die Beteiligung lediglich konsultativ ist. Das wäre dann wirklich die Illusion politischer Beteiligung. Und dann kann genau das passieren, nämlich, dass die Teilnehmer am Ende frustriert sind.