Die kurze Antwort lautet: wegen des Austritts Großbritanniens aus der EU. Doch die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind viel komplexer, erfordern mehr politische Feinjustierung. Und die Frankreichstrategie biete hier zahlreiche Chancen, sagt Wirtschaftsstaatssekretär Jürgen Barke.
Laufen die beiden größten europäischen Volkswirtschaften Deutschland und Frankreich nicht einigermaßen im Takt, gerät die EU ins Schlingern. Doch nach dem Hickhack um den Brexit ist Frankreich nach Angaben des Statistikamtes sowohl beim Export mit 2,3 Milliarden und beim Import mit 2,34 Milliarden Euro längst wieder Wirtschaftspartner Nummer eins für das Saarland. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer gibt es rund 100 Unternehmen im Saarland, die Tochtergesellschaften oder Niederlassungen französischer Unternehmen sind. Indessen sind die saarländischen Exporte nach Großbritannien im vergangenen Jahr wegen der Brexitunsicherheit um 20 Prozent zurückgegangen. Umso wichtiger erscheint es, die Beziehungen zu den französischen Nachbarn auf allen Ebenen deutlich auszubauen.
Das will auch die Landesregierung. In Paris sprach FORUM mit Wirtschaftsstaatssekretär Jürgen Barke über die Entwicklung des Frankreichgeschäfts und der Frankreichstrategie für das Saarland.
Herr Barke, die „Mutter" der Frankreichstrategie, Annegret Kramp-Karrenbauer, ist in Berlin und seitdem scheint es ein wenig ruhiger um diese Strategie zu sein. Woran liegt’s? Ist die Luft raus?
Keineswegs. Frankreich hat und wird für das Saarland weiter an Bedeutung zulegen. Unser Bundesland grenzt an Rheinland-Pfalz, an Luxemburg und zum großen Teil eben auch an Frankreich. Es wäre grob fahrlässig für die Unternehmen, den Blick für Wirtschaftswachstum nicht auch in diese Richtung zu lenken. Knapp 15 Prozent der saarländischen Exporte gingen 2018 zu unseren französischen Nachbarn. Im Übrigen ist die Frankreichstrategie, was die wirtschaftlichen Beziehungen betrifft, keine Erfindung der ehemaligen Ministerpräsidentin. Viele saarländische Unternehmen hatten schon immer eine Frankreichstrategie, die es nun gilt, weiter auszubauen. Schon allein, um die drohenden Verluste des immer näher rückenden Brexits zu kompensieren.
Bürokratismus, Entsendegesetz, all das macht den Unternehmen aber nicht unbedingt mehr Lust auf Frankreich.
Aus meiner Sicht müsste das Entsendegesetz komplett gestrichen werden. Das kann ein Bundesland aber überhaupt nicht selbst entscheiden. Das wird auf EU- und Bundesebene verhandelt. Es wurde schließlich im Rahmen der EU-Osterweiterung eingeführt, um heimische Arbeitsplätze vor Billiglöhnen aus Osteuropa zu schützen. Im Übrigen gilt das Entsendegesetz auch für französische Unternehmen, die auf den deutschen Markt wollen. Das dürfen wir in der Diskussion nicht außer Acht lassen. Die an Frankreich angrenzenden Bundesländer haben ja vor geraumer Zeit bereits eine Initiative zum Entsendegesetz gestartet, über die in Frankreich allerdings noch nicht endgültig entschieden wurde. Außerdem wurde Anfang des Jahres der Elysée-2.0-Vertrag in Aachen unterzeichnet, der den deutsch-französischen Grenzregionen mehr Kompetenzen zugesteht.
Der allerdings auch noch nicht durch die jeweiligen nationalen Parlamente ratifiziert wurde.
Das ist aber nur Formsache.
Das Saarland leistet sich als einziges Bundesland eine Landesvertretung in Paris. Was bringt uns das?
Das Saarlandbüro ist in den Räumen der SaarLB untergebracht und zwar ganz zentral in der Nähe des Arc de Triomphe. Das Büro gehört zum Finanz- und Europaministerium und dient als wichtige Anlaufstelle für grenzüberschreitende Wirtschaftstreibende mit Blick auf das Saarland. Networking kommt dabei eine wichtige Rolle zu. So haben wir dort vor Kurzem ein Treffen der Logistikbranche organisiert. Für französische Partner war das sehr angenehm, sich dafür in Paris treffen zu können.
Im Übrigen befindet sich in den Pariser Räumen der SaarLB der Anfang des Jahres gegründete Pôle franco-allemand. Damit werden grenzüberschreitende Projekte in beiden Richtungen finanziert und zwar mit eigener Marke. Erste Projekte wie Firmenübernahmen durch deutsche Unternehmen sind bereits realisiert worden. Das Saarlandbüro ist eine erstklassige Adresse für saarländische Unternehmen, die nach Frankreich wollen und umgekehrt. Auch das Personal ist komplett zweisprachig und zum Teil mit Franzosen besetzt. Wir reden nicht nur, sondern wir leben die Frankreichstrategie.
Die Sprache ist aber nach wie vor der große Knackpunkt.
Das ist so, da müssen wir auch ein Stück weit ehrlich sein. Die französischen Sprachkenntnisse im Saarland waren sicher schon mal besser. Aber Sprachenlernen ist eine Generationenfrage. In rund 40 Prozent der saarländischen Kitas gibt es inzwischen französischsprachiges Personal; in knapp einem Drittel der Grundschulen wird Französisch ab Klasse 1 unterrichtet. Im Saarland gibt es mittlerweile vier Abi-Bac-Schulen, eine Fachstelle für grenzüberschreitende Ausbildung, vor dem Handelsgericht in Saarbrücken besteht die Möglichkeit, auf Französisch zu verhandeln. Es tut sich was, aber es ist noch Luft nach oben. Vielleicht haben wir einige Saarländer mit der kompletten Zweisprachigkeit bis 2043 auch ein wenig überrascht und überfordert. Aber wir sollten auch selbstbewusst genug sein, diese Herausforderungen anzunehmen und als Alleinstellungsmerkmal des Saarlandes verstehen.
Betonen möchte ich an dieser Stelle die Anknüpfung des Saarlandbüros an die Frankofonie. In 57 Ländern ist Französisch Amtssprache und das bietet sicher zusätzliche Chancen für die Wirtschaft.
Deutsch-französische Freundschaft hin oder her. Wenn es um Ansiedlungspolitik geht, werden aus besten Freunden beste Feinde. Warum sollte die Konkurrenz zwischen Lothringen und dem Saarland eine andere sein?
Von Feinden werde ich nie reden. Wir sind Wettbewerber. Das ist Fakt. Wettbewerb um die Gunst potenzieller Ansiedler gibt es bereits unter den Bundesländern genauso wie zwischen Regionen bis hin zu Kommunen. Sicher haben wir immer zuerst das Land im Vordergrund, aber die Region ist uns auch sehr nah. Das ist nichts Ehrenrühriges. Trotzdem arbeiten wir mit der Region Grand Est zum Beispiel in einer Bürogemeinschaft in Brüssel unter einem Dach zusammen. Gleichzeitig stärken wir unsere Beziehungen zu Metz, selbst wenn Straßburg die Hauptstadt von Grand Est ist. Und last but not least sollten wir auch eine Luxemburgstrategie anstoßen, denn das Saarland ist in der Großregion ein fester Anker für alle Partner. Abschotten und nur sein eigenes Ding machen, funktionieren im digitalen Zeitalter nicht. Die Internationalisierung ist elementar.
Wie ist das zu verstehen?
Das Saarland hat im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr schlechte demografische Prognosen. Für Wohlstand und Wachstum brauchen wir mehr Menschen. Irgendwann sind selbst Digitalisierungspotenziale aufgezehrt. Der Fachkräftemangel ist heute schon in zahlreichen Branchen ein drängendes Problem der saarländischen Wirtschaft. Aufträge können im schlimmsten Fall nicht mehr angenommen werden. Zusätzlicher Druck auf die Unternehmen entsteht durch die Digitalisierung, die ganze Branchen verändert oder gar verschwinden lässt. Unser Fokus sollte auch auf der Branchendiversifizierung liegen, um Abhängigkeiten von einer Branche zu reduzieren. Zudem hat das Saarland das Problem, dass gut ausgebildete Fachkräfte das Land anschließend verlassen. Viele Faktoren, die zusammenkommen und für die wir eine Lösung finden müssen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Der Standort Saarland muss noch attraktiver, die Vorteile stärker herausgestellt werden. Weltoffenheit, Internationalisierung der Wirtschaft, partnerschaftliche Ausrichtung und Sprachkompetenz sind wichtige Schlüssel, um drohende Verluste zu kompensieren. Frankreich ist für das Saarland der ideale Partner schon wegen der geografischen Lage und Verbundenheit sowie der vielen gewachsenen persönlichen Beziehungen. Nationale Abschottung wie es leider in vielen EU-Ländern und in den USA an der Tagesordnung ist, ist der falsche Weg. Letztendlich kaufen wir uns mit unserem Tun wichtige Zeit für den Strukturwandel.