Deutschland verfügt derzeit über viele gute junge Basketballer, und Franz Wagner gilt als größtes Talent unter ihnen. Alba Berlin hat das Tauziehen um den Youngster verloren.
Er hätte viel Geld verdienen können. Er hätte sich in der Euro-League mit den besten Basketballern Europas messen können. Er hätte in der Bundesliga (BBL) zum Nationalspieler reifen können. Doch Franz Wagner sucht das Abenteuer. Deutschlands größtes Basketballtalent verlässt Alba Berlin, um am US-College in Ann Arbor zu studieren und für die Michigan Wolverines zu spielen.
„Ich möchte gerne mehr von der Welt sehen und neue Eindrücke gewinnen", sagte der 17-Jährige. Für ihn ist die Entscheidung nur auf den ersten Blick ein Rückschritt in der Karriereplanung. Schließlich kennt er jemanden, der exakt denselben Weg von Berlin über Michigan in die nordamerikanische Profiliga NBA gegangen ist: seinen Bruder Moritz Wagner, mittlerweile Power Forward bei den Washington Wizards.
„Ich wollte schon immer machen, was er gemacht hat", sagte Franz einmal über seinen Bruder: „Er ist mein großes Vorbild." Deswegen fing der fünf Jahre jüngere Wagner-Sohn auch mit dem Basketballspielen an, deswegen trat er als Siebenjähriger auch Alba Berlin bei, wo Moritz seine Nachwuchsausbildung und später erste Schritte im Profibasketball absolvierte. Und deswegen wagt der Teenager nun auch den Sprung über den großen Teich. Aber er hat auch andere Gründe für den neuen Lebensabschnitt.
Folgt nach dem Studium die große Karriere?
Er freue sich, so Wagner, dass er „etwas Neues erleben kann. Dass ich neue Leute und auch basketballerisch eine neue Kultur kennenlerne". Die College-Spieler hätten „eine ganz andere Mentalität", findet der Berliner: „Man denkt aber nicht nur die ganze Zeit an Basketball. Das macht man ja noch genug in der Zeit danach."
Solche Sätze rufen bei den Alba-Verantwortlichen Skepsis hervor. Sie hatten alles versucht, den Rohdiamanten weiter in Berlin schleifen zu können. Sie hatten Wagner einen gutdotierten Vertrag zur Unterschrift vorgelegt. Sie hatten ihm mit der Aussicht auf mehr Spielanteile in der BBL und ab kommender Saison sogar in der Euro-League zum Bleiben überredet versucht. Vergeblich. Die Enttäuschung über die Absage können sie beim deutschen Vizemeister deswegen auch nicht ganz verbergen.
„Er gehört auf dieses Level und sollte nicht gegen Junioren in den USA spielen", sagte zum Beispiel Albas Sportdirektor Himar Ojeda. Wagner versteht den Frust, denn Alba hat viel Zeit, Mühe und indirekt auch Geld in seine Ausbildung gesteckt. Und nun verlässt der hochveranlagte Außenspieler, der zum besten Nachwuchsspieler der abgelaufenen BBL-Saison gewählt wurde und dem viele Experten eine internationale Top-Karriere prognostizieren, den Club zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Investment so langsam auszuzahlen beginnt.
„Ich verstehe deren Sichtweise und sehe es auch genauso, dass es für mich eine extrem gute Situation wäre, bei Alba zu bleiben", sagte Wagner der „Berliner Morgenpost": „Man hat dort alles, was man braucht in Europa als junger Spieler, wenn man große Träume hat." Aber Wagners Traum waren nun mal die USA und das College, wo er sich wie einst sein Bruder oder in den 80er-Jahren auch Detlef Schrempf den Weg in die NBA ebnen will. „Einige Sachen werden dort drüben auch besser gemacht, die man in Europa nicht hat", sagt Wagner und nennt die körperliche Ausbildung als Beispiel. In der Tat braucht der 2,04 Meter große Schlaks, dessen Körpergröße laut Vermessungen irgendwann 2,06 Meter betragen dürfte, noch mehr Muskeln und Masse, um in der besten Liga der Welt mitzuhalten.
„Die Beine müssen stärker werden und der Rumpf. Dann werde ich auch in der Verteidigung schneller", sagt er. Die Instinkte seien dagegen „schon da". Er spielt flink und schwer ausrechenbar, was für den modernen Basketball elementar ist. „Ich kann werfen, dribbeln und Entscheidungen treffen", sagt Wagner über sich selbst. Wolverines-Headcoach Juwan Howard schwärmte von Wagners „großartigem Basketball-IQ".
Dank seiner Größe und seines technischen Grundniveaus kann er schon heute in Profi-Männerteams problemlos mithalten. In der vergangenen Saison war der Youngster fester Bestandteil der Berliner BBL-Mannschaft, er absolvierte 59 Spiele mit einem Schnitt von über zehn Minuten auf dem Parkett. Seine Saisonbestmarke stellte er im April mit 16 Zählern im Spiel beim Mitteldeutschen BC auf.
Doch nicht nur das: Trainer Aito Reneses, der als ausgewiesener Förderer und Forderer von Talenten gilt, übertrug Wagner auch in entscheidenden Phasen des Spiels immer mal wieder Verantwortung. „Er lernt und spielt sehr clever. Er setzt die Dinge gut um, und er wird physisch stärker. Das ist sehr wichtig", lobte Reneses seinen ehemaligen Schützling.
Für Albas jüngsten BBL-Spieler der Clubgeschichte ist das neue Leben in den USA eine Umstellung. Geld bekommt er fürs Baskteballspielen keines mehr, das Amateurrecht bei Studenten ist in Amerika heilig. Durch das vierjährige Stipendium spart Wagner aber zumindest die sechsstelligen Studiengebühren.
Die Verantwortlichen könnten Enttäuschung nicht verbergen
Dass sich der junge Mann zu sehr den süßen Seiten des College-Lebens widmen wird, glaubt Thomas Päch nicht. Albas Co-Trainer kennt sowohl Franz als auch Moritz Wagner von klein auf und betont: „Beide haben von ihren Eltern Werte mitbekommen, die sie überall im Leben erfolgreich werden lassen." Dazu zählt eben auch Ehrgeiz.
Über allem steht nach wie vor das Ziel NBA. Die University of Michigan zählt im College-Basketball zu den Top-Adressen, die Trainingsbedingungen und die Qualität der Coaches werden hochgelobt. Wöchentlich werden die Scouts der NBA bei den Spielen vorbeischauen. Außerdem öffnet der Name „Wagner" Türen, sein Bruder Moritz ist wegen seiner erfolgreichen Zeit bei den Wolverines nach wie vor beliebt. Beim Draft 2018 wurde der ältere der Wagner-Brüder dann in der ersten Runde von den Los Angeles Lakers gezogen, der Center durfte an der Seite von Superstar LeBron James auflaufen. Nicht wenige glauben, dass auch Franz einen solchen Werdegang hinlegen kann. „Er hat eine unglaublich große Zukunft vor sich", sagt zum Beispiel Bundestrainer Henrik Rödl. Für die WM im September in China wurde Franz aber im Gegensatz zu Bruder Moritz nicht nominiert – zu groß ist die Auswahl für Rödl.
Bei Alba sind sie sicher, dass das größte deutsche Basketballtalent bei ihnen die richtige Balance aus Belastung und Erholung erfahren hätte. „Das ist sehr schade, wir hatten mit Franz noch viel vor und hätten gern mit ihm weitergearbeitet", sagte Sportdirektor Ojeda. Ein Grund, am Nachwuchskonzept zu zweifeln, ist die Absage von Wagner aber keineswegs.