Der Wanderzirkus Formel 1 gönnt sich derzeit eine Sommerpause. Nächster Auftritt ist im belgischen Spa am 1. September. FORUM zieht eine Bilanz der ersten Saisonhälfte, wobei der Deutschland-Grand-Prix, Mercedes-Superstar Lewis Hamilton und Red-Bull-Überflieger Max Verstappen die Höhepunkte darstellen.
In diesem Jahr geben die zehn Formel-1-Teams und ihre 22 Fahrer 21-mal auf vier Kontinenten einen Gastauftritt. Zwölf Vorführungen, zuletzt im staubigen Niemandsland der magyarischen Einöde in Ungarn, hat der schnellste Wanderzirkus absolviert. Neun Auftritte haben die rasenden Vierrad-Artisten noch vor sich. Derzeit sind sie irgendwo an einem weniger hektischen Flecken Erde, erholen sich, entspannen, tanken neue Kraft, laden ihre Batterien für den Rest der Saison auf oder lungern zu Hause bei Frau und Kind(ern) in den vier eigenen Wänden herum. Die vierwöchige Sommerpause haben sich alle, die mit dem Zirkus auf Wanderschaft sind, redlich verdient. Die zweite Hälfte beginnt auf dem belgischen Ardennenkurs in Spa-Francorchamps (1. September, 15.10 Uhr RTL/Sky). FORUM nutzt die Sommerpause um die erste Saisonhälfte Revue passieren zu lassen.
Auf einen ausführlichen Rückblick auf die ersten fünf Rennen können wir getrost verzichten. Fünfmal ein Mercedes-Doppelsieg durch die Sternfahrer Lewis Hamilton und Valtteri Bottas. Dreimal triumphierte der Brite (Bahrain, China, Spanien) zweimal der Finne (Australien, Aserbaidschan). Bei den Saisonläufen sechs (Monaco) und sieben (Kanada) verhinderte Ferrari-Pilot Sebastian Vettel als Zweiter bei jeweils einem Hamilton-Sieg den silbernen Doppelerfolg, wobei dem Deutschen in Kanada der Sieg am grünen Tisch aberkannt und zurückgestuft wurde. Grund: Nach einem wilden Ausritt fuhr Vettel bei seiner Rückkehr auf die Strecke Lewis Hamilton direkt vor die Nase. Die Rennkommissare stuften dieses Manöver als „gefährlich" ein, weil Vettel Hamilton gezwungen hat, die Strecke zu verlassen, um dem Ferrari auszuweichen. Der Ferrari-Pilot bekam für sein Verhalten eine Fünf-Sekunden-Strafe.
Viel Pech für Vettel
Im nächsten Rennen in Frankreich war die Erfolgsreihenfolge wieder hergestellt: Hamilton vor Teamgefährte Bottas. Die „Killerpfeile" fahren die Konkurrenz in Grund und Boden. Sie „fliegen" förmlich davon. Pessimisten und nicht wenige Optimisten befürchteten schon einen Durchmarsch des Weltmeisterteams. Fünffach-Champion Hamilton schien keiner das Wasser reichen zu können. Der Brite fuhr in einer eigenen Liga. Wie von einem anderen Stern. „Das war ein wunderbarer Tag in Frankreich", sagte Hamilton nach seinem sechsten Saison- und 79. Karriere-Erfolg, einem seiner leichtesten Siege überhaupt. Aber der Frankreich-GP war bisher auch der Ober-Langweiler. Eintönig und fad und ein an Höhepunkten armes Rennen. Auf den ersten vier Positionen änderte sich vom Start bis zum Rennende nichts. Auf Platz fünf betrieb Vettel Schadensbegrenzung. Lediglich beim Kampf um die weiteren Punkteplätze kam in der letzten Runde noch etwas Spannung auf. Zu wenig Aktion, um die Zuschauer zu begeistern und auf die nächsten Rennen einzustimmen. Bis auf die Hamilton-Fans will keiner mehr Hamilton-Siege sehen, der in 14 der letzten 18 Rennen ganz oben stand. Die Formel 1, immerhin die Königsklasse des Motorsports, schien vom rasenden Zirkus zur „Formel gähn" und „Formel fad" zu mutieren, sich mit den schnellsten Autos zu einer „lahmenden Rennserie" zu entwickeln. Doch diese „Entwicklung", bei der die Formel 1 auf einer Intensivstation lag, ging nach nur einer Woche völlig überraschend in eine andere Richtung.
Beim Großen Preis von Österreich schien der ganze Zirkus aus dem Sonntagnachmittagsschlaf in Südfrankreich erwacht zu sein. Der Red-Bull-Ring in der Steiermark, 670 Meter über dem Meer gelegen, war mit 34 Grad Außentemperatur ein Glutofen. Und 28.000 holländische Fans heizten zusätzlich die Stimmung an. Der Red-Bull-Ring ist Rennheimat des Bullen-Rennstalls. Und aus diesem Stall kommt „Jung-Bulle" Max Verstappen. Der Holländer bescherte bereits im vergangenen Jahr „Oberbulle" Dietrich Mateschitz, Big-Boss des Red-Bull-Imperiums, und dem Team den Heimsieg. Und dieses Jahr? Der 21-Jährige war erneut der Sieger. Es war eine faustdicke Überraschung, eine Sternstunde. Denn mit dem „fliegenden" Holländer als Sieger hatte keiner gerechnet. Und bis zur 42. von 71 Runden sah es auch nicht nach einem Verstappen-Sieg aus. Erst dann begann die eigentliche, wilde Aufholjagd, nachdem er von Platz zwei bis auf Rang sieben zurückgefallen war. Drei Runden vor Schluss erfolgte die Attacke auf Spitzenreiter Charles Leclerc im Ferrari, der von Startplatz eins (Pole Position) losgeprescht war. Den ersten Überholversuch konnte der Monegasse noch abwehren, den zweiten nicht mehr. Verstappen stieß in eine Lücke, die Leclerc offengelassen hatte, duellierte sich mit Radkontakt mit dem Ferrari und kegelte Leclerc neben die Piste in die Auslaufzone. „Das ist hartes Rennfahren am Limit, aber doch fair", verteidigte Verstappen sein Überholmanöver, das ihm den sechsten Saisonsieg brachte. Der wurde aber zu einer Zitterpartie, denn die Rennkommissare untersuchten den Vorfall. Erst nach drei Stunden wurde er bestätigt. Die Kommissare sahen keinen Handlungsbedarf. Endlich mal ein Rennen ohne Mercedes-Sieg. Bottas wurde Dritter hinter Leclerc und Hamilton Fünfter hinter Vettel. Der Alpen-GP lebte von einer Verstappen-Gala, großen Aufholjagden und insgesamt 43 begeisternden Überholmanövern. Von der Landidylle siedelte der Zirkus über auf die Insel. England ist eines von zwei Heimrennen für Mercedes. Und es wurde zum Kracher.
England wurde zum Kracher
Wer glaubte, Mercedes und Hamilton seien in Österreich in die Knie gezwungen worden, der irrte gewaltig. Eine rein silberne Startaufstellung mit Bottas auf der Pole Position und Hamilton auf Startplatz zwei versprach schon Spannung pur. Um es vorwegzunehmen. Der Zieleinlauf sonntags war ein Mercedes-Doppelerfolg, der siebte in der Saison, nur mit einem umgekehrten Ergebnis: Hamilton vor Bottas und Leclerc, der als Dritter hinter dem Mercedes-Duo gestartet war. Es war Hamiltons sechster Silverstone-Sieg. Der Lokalmatador fuhr vor heimischem Publikum mit mehr als 120.000 Zuschauern wie im Rausch. Mit seinem sechsten Sieg als Rekordhalter in seinem Wohnzimmer krönte sich Hamilton zum „König von England". Mitreißende Duelle an der Spitze und im Mittelfeld begeisterten die Zuschauer. Dabei war der packende Zweikampf zwischen Max Verstappen und Ferrari-Kronprinz Charles Leclerc, die sich sogar nach ihrem Boxenstopp in der Boxenstraße duellierten, das absolute Highlight. Sehenswert auch der Crash zwischen Verstappen und Vettel. Beide balgten sich um Platz drei. In der über 220 Stundenkilometer schnellen Stowe-Kurve trug es den Red Bull des Holländers etwas zu weit hinaus. Vettel witterte seine Chance, zu kontern und schoss mit Überschuss in die vermeintliche Lücke. „Doch die öffnete sich leider nicht. Da war ich schon zu nah an Lewis dran, die aber dann zu war", so Vettel. Er stieg in die Eisen, die Vorderräder blockierten, und der Ferrari nahm den Red Bull auf die Hörner. Vettel boxte Verstappen von der Strecke, beide sahen sich in der Auslaufzone wieder. Ein möglicher zweiter Platz auf dem Podest war somit für Verstappen dahin, aber immerhin rettete er mit seinem ramponierten Boliden noch Platz fünf ins Ziel. Vettel hingegen, der sich bei Verstappen entschuldigte und den Abschuss auf seine Kappe nahm, musste an die Box und die Nase (Frontflügel) wechseln. Zudem bekam er eine Zehn-Sekunden-Strafe und zwei Strafpunkte für die Sünderkartei aufgebrummt, was letztlich nur für Platz 16 reichte. Nicht gerade die beste Empfehlung für ein erfolgversprechendes Heimrennen in Hockenheim.
Der 28. Juli: Dieses Datum ist in der Formel 1 geschichtsträchtig. Es ist ein historischer Deutschland-Grand-Prix. Der Wanderzirkus gastiert zum 37. und wohl vorerst zum letzten Mal in Hockenheim – und überhaupt in Deutschland. In der Kurpfalz regierte ein irres Chaos-Rennwochenende. Dazu beigetragen haben jede Menge Faktoren. In der Kurzfassung: „Wettergott" Petrus verwandelte das Motodrom mit 40 Grad in einen Glutofen und ließ es wie aus Kübeln schütten, „Regengott" Sebastian Vettel machte nach einem Desaster in der Qualifikation im Rennen das Unmögliche möglich, 63 Überholmanöver und 78 Boxenstopps wirbelten das Fahrerfeld ordentlich durcheinander und sorgten für sensationelle Aufholjagden mit Ausrutschern, Pirouetten und sechs Ausfällen, Favoriten wurden gestürzt, viermal musste das Safety-Car ausrücken, und am Ende waren Fahrer von drei verschiedenen Teams auf den ersten drei Plätzen. Es war ein bunt gemischtes Podium wie man es nicht alle Tage sieht. Ein Podium ohne Mercedesfahrer. Und das auch noch beim Heimrennen. Unglaublich!
Verstappen behält Nerven
Nur einer behielt bei diesem Sonntagskrimi Nerven und Durchblick: Max Verstappen. Selbst nach einer 360 Grad-Pirouette und fünfmaligem Reifenwechsel steuerte er seinen Red Bull mit einer Galafahrt zum Sieg. Gefeierter Held des Tages aber war Sebastian Vettel. Der Ferrari-Star startete nach einer Technikpanne in der Qualifikation vom 20. Platz in dieses Chaos-Rennen. Mit einem wilden, irren Husarenritt mit einer atemberaubenden, grandiosen, furiosen Aufholjagd katapultierte sich der Lokalheld vor 61.000 Zuschauern vom letzten Platz auf Rang zwei – ebenfalls mit fünf Boxenstopps. Es war zwar wieder nicht der ersehnte erste Heimsieg des Heppenheimers im sechsten Anlauf, aber ein Befreiungsschlag und Balsam für die zuletzt arg geschundene Seele. Sensations-Dritter wurde der Russe Daniil Kvyat im Toro-Rosso. Es war für das Red-Bull-Schwesterteam aus Faenza das zweite Podium nach Vettels Sieg in Monza 2008. Wer hätte das gedacht: Mercedes ist doch nicht unschlagbar. Und da sag noch einer, Mercedes siegt die Formel 1 zu Tode, sie sei eintönig geworden. Aus der „Formel fad" ist seit Österreich eine „Formel furios" geworden. Der Deutschland-Grand-Prix war ein historischer Grand Prix, von dem noch Generationen später sprechen werden. Heute bezeichnet man dieses Irrsinnsrennen schon als „das beste Wagenrennen seit Ben Hur". Für andere Zeitgenossen war es das „Jahrhundertrennen von Hockenheim", in dem das Chaos und der Regen regierten. Was beim nächsten Rennen in Ungarn nicht der Fall war. Auf dem Hungaroring ging es weniger spektakulärer zu als in Hockenheim. Hamiltons siebter Ungarn-Sieg adelt den 34-jährigen Briten zum Puszta-König. Sein achter Saisonsieg war dank gewagter Reifenstrategie und taktischer Meisterleistung am Kommandostand hochverdient.
Hamilton ging mit 81 Karriere-Siegen (nur noch zehn fehlen, um mit Schumachers 91 GP-Siegen gleichzuziehen) und als Führender der Fahrer-Wertung mit 250 Zählern in den Urlaub, Bottas (188) bleibt Zweiter. Verstappen (181) ist Dritter vor Vettel (156).