Jahr für Jahr kommen neue Spieler aus Frankreich in die Fußball-Bundesliga. Die meisten sind kaum älter als 20, hochtalentiert und träumen von einer ganz großen Karriere. Dafür sehen sie die Bundesliga als ideale Durchgangsstation. Für beide Seiten ist das ein gutes Geschäft.
Es war im Oktober 2017, also schon fast ein Jahr vor dem WM-Triumph Frankreichs, als der ausgewiesene Fußball-Fachmann Ralf Rangnick die Welt nicht mehr verstand. Er glaubte, in Dayot Upamecano (damals 19) und Ibrahima Konaté (18) zwei der größten Abwehr-Talente Europas verpflichtet zu haben. Doch dann wurde Upamecano nicht für die U21 Frankreichs nominiert und Konaté nicht einmal für die U19. „Das heißt, dass sie offenbar vier bessere Innenverteidiger in dem Alter haben", meinte Rangnick, damals Sportdirektor von RB Leipzig spöttisch. „Das ist ja kaum zu glauben. Wir haben direkt unsere Scouts losgeschickt, um uns die vier mal anzuschauen."
Im Rückblick lässt sich nach zwei Jahren sagen: Konaté und Upamecano haben ihren Weg gemacht und ihre Klasse unter Beweis gestellt. Für Letzteren soll der FC Arsenal kürzlich 60 Millionen Euro geboten haben. Doch auch die fünf Innenverteidiger, die damals in der U21 vor ihnen standen, sind heute gewachsene Größen im Weltfußball. Mouctar Diakhaby spielt beim Champions-League-Teilnehmer FC Valencia, Issa Diop bei West Ham United in der Premier League, Abdou Diallo ging soeben für über 30 Millionen Euro von Borussia Dortmund zu Paris Saint-Germain, und die anderen beiden waren Lucas Hernández und Benjamin Pavard. Für diese beiden überwies der FC Bayern in diesem Sommer insgesamt 115 Millionen Euro.
„Direkt Scouts losgeschickt"
Das zeigt den Pool, den Weltmeister Frankreich an jungen Spielern hat – alleine in der Abwehr. Aber auch im Sturm. Wo zum Beispiel der in Köln fast als Volksheld geltende Anthony Modeste und der soeben für 50 Millionen Euro von Frankfurt zu West Ham gewechselte Sébastien Haller gar nicht erst zum Zug kommen. Weil die Konkurrenten zum Beispiel Antoine Griezmann und Kylian Mbappé heißen. Ersterer wechselte gerade für über 100 Millionen Euro zum FC Barcelona, Letzterer gilt für viele Experten als der potenzielle Thronfolger von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo als Weltfußballer.
Auch abseits der absoluten Spitze haben die Franzosen Top-Spieler, und die Reserve an Talenten scheint quasi unerschöpflich. Ebenfalls knapp ein Jahr vor der WM erkannte Bundestrainer Joachim Löw schon, dass die Franzosen „überall hin wechseln können, da kommt immer Weltklasse". Und Mats Hummels erklärte: „Auf dem Niveau habe ich so etwas selten gesehen."
Deshalb ist in der Bundesliga inzwischen ein echter Run auf die französischen Talente entbrannt. Mitte August spielten 27 Profis aus dem Nachbarland in der Bundesliga. Nur aus Österreich kamen mehr ausländische Spieler. Viele der 27 sind erst in jüngerer Vergangenheit in die Liga gewechselt. In der Saison 2012/13 spielten gerade einmal drei Franzosen in der Bundesliga. 2015/16 waren es acht, 2017/18 schon 20 und nun eben noch mal sieben mehr. Und es gibt zwar Vereine, die inzwischen fast eine halbe Mannschaft aus Franzosen stellen könnten wie RB Leipzig (fünf), Borussia Mönchengladbach oder der FC Bayern (je vier). Aber es ist auch ein Trend, an dem fast alle Vereine sich beteiligen. Bei elf der 18 Erstligisten steht in der kommenden Saison mindestens ein Franzose im Aufgebot.
Dabei ist für die Top-Stars des Weltfußballs wie Griezmann, Mbappé oder auch Paul Pogba die Bundesliga keine Adresse. Sie wollen zum FC Barcelona, Real Madrid oder in die Premier League. Doch eben auch ein Regal darunter oder auch zwei oder drei gibt es noch gute Spieler in Frankreich. Und das ist dann im Endeffekt eben der einfache Grund, warum sich dieser Run entwickelt hat. In Frankreich gibt es unzählige Talente, weil es noch zahlreiche Straßenfußballer gibt, gleichzeitig aber auch eine unglaubliche Ausbildung in den Leistungszentren. Die französische Liga ist aber nicht so stark, dass sie für Top-Spieler eine Erfüllung ist. Und die Ablösesummen sind daher moderat. Hinzu kommt für viele noch eine überschaubare Nähe zur Heimat. Und die Empfehlung, dass sich in der Bundesliga viele französische Jungstars entwickeln konnten. Wie Ousmane Dembélé, der nach einem Jahr in Dortmund für über 100 Millionen Euro nach Barcelona wechselte. Wie Pavard, der in Stuttgart zum Stammspieler des Weltmeisters wurde. Oder auch der schon erwähnte Haller, der über den Umweg Frankfurt in die Premier League kam. Für alle, die es nicht sofort dorthin schaffen oder eben nur mit begrenzter Chance auf einen Stammplatz, stellt die deutsche Liga also die ideale Zwischenstation dar.
Moderate Ablösesummen
„Die Jugendarbeit in Frankreich ist schon seit vielen Jahren sehr gut", sagt Gladbachs Manager Max Eberl der „Sport Bild". „Natürlich spielen auch die wirtschaftlichen Umstände eine Rolle. Wir haben Marcus Thuram aus Guingamp für eine einstellige Millionensumme verpflichtet. Ein vergleichbarer Spieler aus der Bundesliga kostet 20 Millionen Euro aufwärts." Thuram ist übrigens der Sohn von Lilian Thuram, dem Weltmeister von 1998. Und im Gegensatz zu diesem kein Verteidiger, sondern Mittelstürmer. In Gladbach, wo er gerade hinwechselte, trifft der 20-Jährige auf seine Landsmänner Alassane Pléa, Mickaël Cuisance und Mamadou Doucouré.
Und auch in München haben sie mit Franzosen meist gut gelegen. Beim Champions-League-Sieg 2001 bildeten Willy Sagnol und Bixente Lizarazu eine geniale defensive Flügelzange. Im vergangenen Jahrzehnt begeisterte Franck Ribéry die Bayern-Fans. Der 2015 verpflichtete Kingsley Coman gilt trotz vieler Verletzungen als sein legitimer Nachfolger. Corentin Tolisso wurde 2017 mit rund 40 Millionen zum teuersten Bundesligaspieler, ehe ihn sein Landsmann Hernández in diesem Sommer ablöste. „Wir haben mit französischen Spielern immer gute Erfahrungen gemacht", sagt Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge.
In Leipzig haben sie inzwischen sogar mehr französische als offiziell deutsche Spieler im Kader. Der 21 Jahre alte Mittelfeldspieler Christopher Nkunku, den RB gerade von PSG holte, ist der fünfte nach Konaté, Upamecano, Jean-Kévin Augustin und Nordi Mukiele. Augustin ist mit 22 übrigens der älteste aus diesem Quintett. Ähnlich sieht es auch in Gladbach aus, wo außer Pléa (26) keiner der Franzosen älter als 21 ist. Den für Ungarn spielenden Willi Orban nicht mitgerechnet, stehen aber nur vier deutsche Profis im RB-Kader. „Wir suchen nach Spielern, die Straßenfußball-Kultur haben, mit einer guten technischen und taktischen Ausbildung", sagt Rangnick, inzwischen „Head of Sport and Development Soccer" bei Red Bull. „Frankreich ist dafür ein guter Markt."
„Eine sehr gute Ausbildung"
Ähnlich sieht es Rouwen Schröder, Sportdirektor von Mainz 05. Der hatte in Jean-Philippe Mateta und Moussa Niakhaté schon zwei französische U21-Spieler im Kader und holte soeben mit Ronaël Pierre-Gabriel einen dritten. Der in Frankreich aufgewachsene und ausgebildete Jean-Philippe Gbamin, der für die Elfenbeinküste spielt, brachte beim Wechsel nach Everton gerade 25 Millionen Euro ein. „Die Franzosen haben eine sehr gute Ausbildung. Die Ligen sind körperlich sehr betont. Auch vom Budget sind die Spieler auf einem Level, um bei uns dann den nächsten Schritt gehen zu können", sagte Schröder. „Es ist wichtig, dass der Spieler sich sportlich und wirtschaftlich aufgehoben fühlt. Und Mainz hat mittlerweile auch ein gewisses Standing in Frankreich." Ausdrücklich lobte Schröder den FC Metz: „Sie haben eine starke Akademie, der Verein tätigt viele höherpreisige Transfers und bringt reihenweise gut ausgebildete Profis hervor."
Zu deren Ehrgeiz gehört es auch, die Sprache schnell zu lernen. So hat es Josuha Guilavogui beim VfL Wolfsburg inzwischen nicht nur zum Publikumsliebling und Führungsspieler, sondern sogar zum Kapitän gebracht. Im Vorjahr gewählt von der Mannschaft. Nun bestätigt vom neuen Trainer Oliver Glasner: „Er ist ein absoluter Leader." Und so ist Guilavogui einer derer, die jung kamen und trotzdem blieben. Mit 23 kam er nach Wolfsburg, mit 28 geht er nun in seine sechste Saison.