Kurz vor der Verjährungsfrist kommt es nun doch noch zu einem Prozess gegen drei WM-Macher von 2006. Es bleibt aber unwahrscheinlich, dass dabei das größte Rätsel gelöst werden wird.
Fast könnte man meinen, Theo Zwanziger habe nichts mehr zu verlieren – so wild wie der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) um sich schießt. Doch der 74-Jährige glaubt felsenfest daran, dass ihm die Ermittlungen der Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) im Zuge der WM-Vergabe für 2006 zumindest in der Sache nichts anhaben können. Doch weil Zwanziger seinen Ruf beschädigt sieht, holte er zum Gegenschlag aus – und über das Sommermärchen legte sich wieder einmal ein dunkler Schatten.
Zwanziger lud die Medien zu einer Pressekonferenz ins Hotel Wilhelm von Nassau in seiner Heimat Diez ein. Und der langjährige Top-Funktionär lieferte den anwesenden Journalisten reichlich Stoff und brisante Zitate für ihre Berichterstattung. Die Ermittlungen gegen ihn, seinen Nachfolger Wolfgang Niersbach und den ehemaligen DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt bezeichnete Zwanziger als „Märchen", die deutschen und die Schweizer Strafverfolgungsbehörden hätten „versagt".
Doch Zwanziger beließ es nicht nur bei der verbalen Verurteilung. Der Jurist stellte Strafanzeigen wegen „falscher Verdächtigungen" gegen die Ermittlungsführerin der Frankfurter Staatsanwaltschaft sowie den Ermittler der Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) und dessen Assistentin. „Das alles hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun", begründete der frühere CDU-Politiker: „Ich bin dreieinhalb Jahre wie eine Sau durchs Dorf getrieben worden."
Zwanziger reagierte damit auf die Anfang August öffentlich gemachte Anklage der BA gegen die damaligen WM-Macher. Zwanziger, Niersbach und Schmidt sowie der frühere Fifa-Generalsekretär Urs Linsi sollen „arglistig über den eigentlichen Zweck einer Zahlung in der Höhe von 6,7 Millionen Euro getäuscht" haben, so lautet die Auffassung der BA. Den Beschuldigten, die sich laut der Behörde des Betrugs der Mittäterschaft (Zwanziger, Schmidt und Linsi) und der Beihilfe zum Betrug (Niersbach) schuldig gemacht haben sollen, drohen Geldstrafen und bis zu fünf Jahren Gefängnis.
Nachdem das Verfahren bereits am 6. November 2015 eröffnet worden war, soll es nun einen schnellen Prozess im Bundesstrafgericht in Bellinzona geben. Denn auf Zeit spielen kann die Anklageseite nicht mehr: Im April 2020 greift die Verjährungsfrist. Bis dahin muss zumindest in erster Instanz ein Urteil gefällt werden.
Als Privatkläger tritt der DFB im Schweizer Strafverfahren auf, „um etwaige Ansprüche geltend zu machen und so seiner gesetzlichen Vermögensbetreuungspflicht zu genügen", teilte der Verband mit. Im Kern geht es um die nach wie vor ungelöste Frage: Was ist mit den ominösen 6,7 Millionen Euro (damals zehn Millionen Schweizer Franken) passiert? Die für ein später abgesagtes Kulturprogramm bereitgestellte Summe war vom WM-Organisationskomitee (OK) über den Fußball-Weltverband Fifa überwiesen worden – mutmaßlich an Robert Louis-Dreyfus, den ehemaligen Adidas-Chef und Besitzer des Fußballclubs Olympique Marseille. Weil exakt dieselbe Summe drei Jahre zuvor von Louis-Dreyfus und OK-Chef Franz Beckenbauer an den ehemaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohamed bin Hammam nach Katar floss, vermuten die Ermittler einen Zusammenhang in Form von Vorleistungen. Wofür? Das ist die Frage für die BA.
Die deutsche Staatsanwaltschaft interessiert sich derweil „nur" noch für die Verschleierung der Zahlung, weil sich der DFB dadurch zu Unrecht Steuervorteile verschafft haben soll. Anderen Vorwürfen geht sie nicht mehr nach, nachdem das Landgericht Frankfurt am Main Mitte Oktober vergangenen Jahres auf die Eröffnung eines Hauptverfahrens verzichtet hatte. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Berufung ein, nun muss das Oberlandesgericht entscheiden. Den Vorwurf der Steuerhinterziehung nennt Zwanziger jedoch „absurd". Noch deutlichere Worte findet der ehemalige DFB-Boss für die Anklage der Schweizer Bundesanwaltschaft, die Fifa mit Präsident Gianni Infantino und Skandalfunktionär Mohamed bin Hammam.
„Der Verwendungszweck der Zahlung an den Ganoven bin Hammam ist nicht geklärt. Das hätte zwingend die Einstellung des Verfahrens nach sich ziehen müssen", sagte Zwanziger bei seiner einberufenen Pressekonferenz. Bin Hammam hat zwar bereits bestätigt, dass die 6,7 Millionen „auf mein Konto geflossen" sind. Den Grund hat er aber bis heute nicht verraten. Bestechungsgeld im Zuge der Vergabe der WM 2006 schloss bin Hammam aber aus: „Warum hätte mich Deutschland bestechen sollen für etwas, was sie schon erhalten haben?" Außerdem sei das Geld erst lange nach der Vergabe auf seinem Konto gelandet. „Ich schwöre zu Gott", sagte der Katare, „es war nicht für die WM."
Ex-Präsident Zwanziger nennt „Steuer-Vorwurf" absurd
Aber wofür dann? Für lukrative Rechtegeschäfte, wie Insider vermuten? Die Fifa „könnte bin Hammam zur Aussage zwingen und Licht ins Dunkel bringen", sagte Zwanziger, „aber die Fifa und Infantino schweigen und kungeln mit der Schweizer Bundesanwaltschaft. Das ist Kumpanei auf höchster Ebene." Der Weltverband sei nichts anderes als ein „kommerzielles Zirkus-Unternehmen", und dass nun er und die anderen Beschuldigten die Suppe auslöffeln sollen, sei nichts anderes als „ein Skandal", wetterte Zwanziger.
Zwanziger ist sich sicher, dass ihm in der Sache nichts Belastendes nachzuweisen ist. „Die ganze Schweizer Kampagne", sagte er dem Sport-Informations-Dienst (SID), sei „desolat, bösartig und wird völlig scheitern, weil ich mir überhaupt nichts vorzuwerfen habe". Auf der Gegenseite seien in diesem „Justizskandal", so Zwanziger weiter, „unfähige Ermittler" am Werk, die „mit dem Kopf gegen die Wand rasen" würden, „und zum Schluss gewinnt immer die Wand."
Auch Niersbach betont, dass die Vorwürfe „völlig haltlos" seinen. Für ihn ist es ein „unsägliches Verfahren", in dem der Anstand längst als erster Verlierer feststehe. Er habe als Betroffener von der Anklage erst aus den Medien erfahren, berichtete der einstige DFB-Boss. Schmidt erreichte die Nachricht von der Anzeige in seinem Urlaub: „Ich bin überrascht, was da alles in der Schweiz abläuft."
Für viele überraschend war auch, dass die Schweizer Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen Beckenbauer von denen der anderen abtrennte. Der Grund: Angeblich würde der gesundheitliche Zustand des „Kaisers" eine „Teilnahme oder Einvernahme an der Hauptverhandlung vor dem Bundesstrafgericht" nicht zulassen. Zwanziger forderte eine unabhängige ärztliche Untersuchung, weil sich die Bundesanwaltschaft offenbar nur auf ärztliche Atteste der Beckenbauer-Partei stützt. Beckenbauer musste sich in der jüngeren Vergangenheit zwei Herzoperationen unterziehen, vor einem Jahr bekam er zudem eine künstliche Hüfte. Ein Augeninfarkt warf den Weltmeister von 1974 und Teamchef beim Titelgewinn 1990 gesundheitlich ebenso zurück. Der seit der „Spiegel"-Titelstory „Das zerstörte Sommermärchen" im Raum stehende Verdacht, die fröhlich-friedliche Heim-WM 2006, die Milliarden Menschen auf der ganzen Welt begeistert hatte, könnte gekauft gewesen sein, dürfte für den Zustand des 73-Jährigen sicher nicht hilfreich sein.
Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien „erstunken und erlogen", wehrte sich Beckenbauer vor einem Jahr, „man bildet sich sein eigenes Bild, da hast du überhaupt keine Möglichkeit dagegen vorzugehen, das habe ich dann auch aufgegeben". Er habe „all den Leuten Auskunft gegeben, die es von mir verlangt haben". Für eine tatsächliche Aufklärung sollen seine Aussagen nicht wirklich hilfreich gewesen sein. Beckenbauers Behauptung, er habe die 6,7 Millionen Euro von Louis-Dreyfus als Vorschuss für spätere Zuwendungen der Fifa an das deutsche WM-OK gebraucht, halten die Ermittler für falsch. Die Causa Beckenbauer wird mit großer Wahrscheinlichkeit verjähren und damit wohl nie endgültig geklärt werden. Dabei ist nach Aktenlage klar, dass der frühere Bayern-Präsident eine, wenn nicht gar die zentrale Figur in dieser Sache ist.
Beckenbauer nannte die WM einmal die nach der Wiedervereinigung „größte gesellschaftliche Veränderung der Nachkriegszeit" in Deutschland. Tatsächlich sorgte das Turnier für einen großen Sympathie-Schub im Ausland. Dass die Deutschen ein Turnier perfekt organisieren können, wurde im Ausland fast schon erwartet. Dass sie aber auch herzliche und fröhliche Gastgeber sein können, überraschte dann noch viele. „Das müsste doch jede Mühe wert gewesen sein", sagte Beckenbauer einmal: „Es war die richtige Entscheidung, mich dafür einzusetzen." Einen direkten Stimmenkauf halten die Ermittlungsbehörden mittlerweile für unwahrscheinlich. Doch das Rätsel um die ominösen 6,7 Millionen Euro ist auch deshalb noch nicht gelöst, weil Dinge verschleiert bleiben sollen. Über dem Sommermärchen liegen weiter dunkle Schatten.