Sie ist die erfolgreichste Violinistin der Gegenwart: Anne-Sophie Mutter, bereits viermal mit einem Grammy ausgezeichnet. Auf ihrem neuesten Album „Across The Stars" – eine Zusammenarbeit mit dem fünffachen Oscar-Preisträger John Williams – erkundet sie neues Terrain.
Frau Mutter, wie kam es zu der Zusammenarbeit mit John Williams, der zu den bedeutendsten Filmmusikkomponisten überhaupt zählt?
Ich bin John Williams in Tanglewood begegnet, der Sommerresidenz des Boston Symphony Orchesters. Und habe ihn gefragt, ob er mir nicht ein Stück schreiben könne. Er hat das lange Zeit nachvollziehbar zur Seite gerückt, aber vor drei Jahren komponierte er für mich schließlich das Konzertstück „Markings" – für Geige, Harfe und Kammerorchester. 2017 habe ich es in Tanglewood uraufgeführt. Ich habe aber nicht locker gelassen, weil ich auch in John Williams Filmmusik vernarrt bin, die ich seit Ende der 1970er-Jahre kenne. Seine Scores zu „Catch Me If You Can", „Superman" oder „Jurassic Park" sind alles wunderbare Blechbläserthemen.
Sind diese speziellen Themen auch für die Geige geeignet?
Diesen heroischen Touch hat die Geige nicht. So musste erst einmal herausgearbeitet werden, welche Themen sich denn überhaupt für Geige und großes Orchester eignen. Williams kam dabei auf 15 Titel – es wurde irgendwie immer mehr. Weder er selbst noch ich hätten je zu träumen gewagt, dass er am Ende tatsächlich auch alles selbst schreibt und das nicht sehr guten Arrangeuren überlässt. Williams hat nämlich durch die zweistündige Partitur, die er für den nächsten „Star Wars"-Film fertigschreiben muss, wahnsinnig viel zu tun. Unser Album „Across The Stars" ist eigentlich auch der Tatsache geschuldet, dass es bei „Star Wars" eine kurze Drehpause gab und er plötzlich vier oder fünf Wochen frei hatte. Das erlaubte ihm, weitere Titel für mich umzuschreiben.
Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an John Williams’ vielfach preisgekrönter Musik?
Wie bei jedem anderen großen Komponisten ist es die Unverkennbarkeit der Musik und die Eigenständigkeit der Themen; die zeitlose Brillanz von Filmmusik wie „Harry Potter". Wie viele Generationen haben sich schon von Williams’ Musik begeistern lassen! Das erinnert mich an die Zeit, als europäische Musiker wie Erich Wolfgang Korngold nach Amerika auswandern mussten und dort die Filmmusik auf ein anderes Level hoben. Es waren große sinfonische Komponisten, die sich aus dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs heraus in Hollywood ansiedelten und dann Filmmusik schrieben. Das ist nichts anderes als Programmmusik wie Strauss’ „Zarathustra" oder Rimski-Korsakows „Sheherazade". Denn sie hatte oft mit dem Film gar nichts zu tun, sondern war in sich geschlossen und stand für sich. Das macht auch einen großen Komponisten wie John Williams aus. Man darf nicht vergessen, dass er ein klassisch ausgebildeter Pianist ist, der zufällig durch Filmmusik bekannter wurde als durch seine unzähligen klassischen Stücke.
John Williams hat Musiken aus Hollywoodfilmen wie „Star Wars", „Schindlers Liste", „Jurassic Park", „E.T." und „Harry Potter" speziell für Sie umarrangiert.
Williams bezeichnet sie als Neukompositionen. Es sind natürlich die Themen von seinen Scores, die zu hundert Prozent wiedererkennbar sind. John Williams hat sie für mich zu sehr prägnanten, kurzen und in sich abgeschlossenen Werken umgearbeitet. Besonders spannend an dem Projekt sind die Geigen-Parts. Williams hat es geschafft, Themen so auszubauen, dass daraus kleine, virtuose Geigenwerke wurden. Das macht es für mich ungemein interessant. Die Scores von „Die Geisha", „Schindlers Liste", „A Prayer For Peace" oder „Star Wars" weisen sehr viele unterschiedliche Stimmungen auf. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar, weil ich mich da immer wieder neu reinleben muss. In dem Programm gibt es keine Uniformität.
Wie war es, das Album „Across The Stars" zusammen mit John Williams und dem Recording Arts Orchestra of Los Angeles in den Sony Pictures Studios in L.A. aufzunehmen?
Am dritten Tag hatte ich mich an diesen besonderen Ort gewöhnt und bin nicht mehr in Ohnmacht gefallen. Das Studio an sich ist gar nicht so spektakulär, aber seine Geschichte. Ich habe natürlich die großen Fred-Astaire- und Gene-Kelly-Filme gesehen, deren Scores in diesem Studio aufgenommen wurden. Ich habe mir vorgestellt, wie ein Spielberg-Film auf der riesigen Leinwand läuft, John Williams dabei das Orchester dirigiert und der Regisseur beschließt, dass der Komponist noch etwas kürzen oder eine Sequenz einfügen muss. Steven ist übrigens plötzlich bei einer Probe aufgetaucht.
Wie ist das, wenn Steven Spielberg auf einmal in der Tür steht? Kommt man da miteinander ins Gespräch?
Er kam ausgerechnet in dem Moment, als ich gerade „A Prayer For Peace" einspielte. Wir haben uns dann intensiv über sein aktuelles Filmprojekt „West Side Story" unterhalten. Er hat dafür die Zustimmung der engsten Verwandten von Leonard Bernstein bekommen. Spielberg wird einige musikalische Adaptionen vornehmen. Er versteht unglaublich viel von Musik. Er und Williams sind seit 40 Jahren befreundet und vertrauen sich blind. Es war eine großartige Begegnung für mich.
Wenn Sie sich im Kino einen Film von Spielberg mit einem Score von John Williams anschauen, achten Sie dann immer ganz genau auf die Musik?
Ja, ich höre hauptsächlich auf die Musik. An den Score eines Films kann ich mich auch Jahre später noch erinnern. Ich nehme einen Film immer mit den Ohren wahr.
Sie treten am 14. September auf dem Königsplatz in München auf – das wird das erste Open Air in Ihrer Karriere sein. Warum haben Sie sich bislang vor Freiluftkonzerten gescheut?
Vor allem als ich jung war, habe ich in Griechenland und anderswo durchaus in Amphitheatern gespielt. Das war zum Niederknien. Es gibt nichts Schöneres, als unter klarem Sternenhimmel aufzutreten. Die Hitze und die Feuchtigkeit in den amerikanischen Open-Air-Theatern finde ich weniger großartig, aber John Williams’ Musik ist nicht für den Konzertsaal komponiert. Sie ist komponiert für einen relativ kleinen akustischen Raum, den Surroundsound eines Kinos. Sie ist perfekt und farbig orchestriert, was ihren Reiz ausmacht. Ein einzelnes Soloinstrument wie die Geige würde ohne das kluge Ausbalancieren der musikalischen Struktur untergehen. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass ein Konzert unter den Sternen wunderbar funktioniert. Und dass dabei die Partnerschaft zwischen akustischen Instrumenten und Mikrofon eins zu eins aufgehen wird.
In München werden Sie vom Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von David Newman begleitet. Was schätzen Sie an diesem Dirigenten?
David Newman ist auch ein großartiger Komponist, zudem ein enger Freund von John Williams. Wir haben einen Musiker gesucht und gefunden, der Johns Werk sehr gut kennt. David Newman ist dafür die beste Wahl.
Im Juni haben Sie den renommierten Polar Music Prize bekommen. Bedeuten Auszeichnungen Ihnen heute noch genauso viel wie zu Beginn Ihrer Karriere?
Es ist immer großartig, wenn klassische Musik kurz im Mittelpunkt des Interesses steht und ich dann für musikalische Bildung werben kann. Preise sind für mich ein Mittel zum Zweck, mit denen ich klassische Musik in unser aller Bewusstsein rücken kann. Es ist eine wunderbare Sprache. Sie zu hören macht große Freude – und sie zu spielen noch mehr.
Zeitgenössische populäre Musik gilt als identitätsfördernd und prägt angeblich das Lebensgefühl. Hat Klassik einen ähnlichen Effekt auf junge Menschen wie Pop?
Das will ich doch schwer hoffen! Deshalb ist es wichtig, dass wir immer wieder das Feuer in einer neuen Generation von Zuhörern schüren. Aber auch junge Musiker stärken. So habe ich vor über 20 Jahren eine Stiftung gegründet, um junge Streicher zu unterstützen, damit sie in aller Individualität und in ihrer eigenen Geschwindigkeit zu professionellen Musikern werden können.
Glauben Sie, dass Musik für uns Menschen mehr ist als nur ein akustisches Phänomen?
Der Neurophysiologe und Musiker Eckart Altenmüller, dessen sehr interessantes Buch ich gelesen habe, stellt die Theorie auf, dass es vor der Sprachentwicklung des Menschen bereits Laute in der Art von Musik gab. Schon vor 40.000 Jahren existierten Instrumente aus Gebein. Zum Beispiel Flöten. Interessanterweise findet Musik an allen Schaltstellen des Lebens statt. Wir haben die passende Musik zu ekstatischen Freuden oder zum Innehalten. Das sagt einiges aus über dieses Bindeglied der Gesellschaft. Musik ist die einzige Plattform, auf der wir uns alle auf Augenhöhe begegnen dürfen. Sie will uns nicht wegen unterschiedlicher kultureller Wurzeln oder Religionen voneinander fernhalten, sondern sie ist einfach da. Wir Menschen empfinden letzten Endes alle das Gleiche. Vorausgesetzt, es handelt sich um Interpreten, die auch wirklich für die Musik brennen.
Können Sie sich vorstellen, in Zukunft weitere Freiluftkonzerte zu spielen?
2020 werde ich mich ganz Beethoven widmen und in San Francisco ein Auftragswerk von Jörg Widmann uraufführen. Es ist eine Studie über Beethoven. Und 2021 werde ich ein Sabbatjahr einlegen und mein Leben neu ordnen. So geht es nicht weiter! Ich denke, dass dies nicht mein letztes Konzert mit Musik von John Williams sein wird, aber es wird einige Jahre dauern, bis es damit weitergehen kann.