Fremd fühlt sich Dominik Köpfer nicht in den USA. Der spätentschlossene Tennisspieler, der sich an einem US College nach dem Abi schnell noch fit fürs Profitennis machte, zog aus dem Schwarzwald nach Florida. Eine von zahlreichen deutschen Hoffnungen.
Mal eben 50 Plätze in der Tennis-Weltrangliste nach oben schießen: Das funktioniert, wenn man strategisch geschickt zur rechten Zeit ein Turnier der Challenger-Tour gewinnt, eine Wildcard für Wimbledon bekommt und dort auch noch die erste Runde gewinnt. Kleine Jungs in süddeutschen Tennisvereinen schwärmen derzeit enthusiastisch von Dominik „Köpf(l)er", der sich quasi schwungvoll kopfüber in den ersten Grand Slam seines Lebens stürzte.
Den Top 100 der Tenniswelt ist der 25-Jährige durch seinen Coup beim englischen Traditionsturnier recht nah gekommen. Der „Überlebenszone" im Profisport. Dem Bereich, in dem beim Tennis als Beruf nicht noch draufgezahlt werden muss. Köpfer musste das nach seinem Collegeabschluss 2016 mit dem Bachelor im Finanzmanagement in der Tasche bereits. Jetzt sind Reisen und sogar Physio-Behandlungen im engen Feld der vorderen 100 bis 200 Profis, in dem jeder ganz schnell wieder fit sein muss, bis zum Jahresende erst mal finanziert.
Köpfer ist eine der großen Hoffnungen im deutschen Herrentennis. „2019 will ich die Top 100 knacken", sagte der Schwarzwälder, der 2015 Collegemeister in den USA war, dem „Tennismagazin" für dessen erste Ausgabe dieses Jahres. Die Hamburger Kollegen hatten einen Spieler zur rechten Zeit im Zoom, der erst mit 16 Jahren von Fußball und Golf auf Tennis einschwenkte, seine Athletik seither jedoch sehr gezielt einzusetzen weiß.
Erst mit 16 Jahren auf Tennis eingeschwenkt
Die Dichte an deutschen Top-100-Spielern ist überschaubar. Nur drei Profis halten sich dort aktuell: Philipp Kohlschreiber, der trotz eines starken Saisonauftakts jetzt um Rang 72 herumfechtet, Jan-Lennard Struff, der nach seinem Achtelfinale bei den French Open sein Karriere-Hoch mit Platz 33 erreichte, und – last but not least – ein Top-Ten-Spieler mit Namen Alexander, genannt „Sascha", Zverev: Immerhin ist die Nummer fünf der Welt ein Hamburger.
Sascha Zverev, der ATP-Weltmeister ist und 2017 bereits der drittbeste Spieler im tennisglobalen Ranking war, kämpft sich durch eine schwierige Saison. Immerhin sein zweites Viertelfinale bei den French Open in Folge, sein erstes Achtelfinale bei den Australian Open und sein Sieg beim 250er-Turnier in Genf trugen dazu bei, dass sich der 22-Jährige trotzdem hinter seinem Freund, dem Österreicher Dominic Thiem, und vor dem griechischen Aufsteiger Stefanos Tsitsipas auch im Juli noch in den Top fünf hielt. Achtmal gewann Sascha bislang Turniere auf Hartplatz. Kein Wunder, dass er bei den US Open am ehesten eine Chance für sich sieht, in ein Grand-Slam-Halbfinale vorzustoßen: „Wir werden sehen", sagte Zverev, der nach seinem Wimbledon-Erstrunden-Aus seinen Honorarcoach Ivan Lendl zu überzeugen versuchte, sich mehr auf Tennis zu fokussieren. Schüler tadelt Lehrer. Verkehrte Welt.
Vergangenes Jahr hatte Sascha Zverev die Tennis-Ikone aus Boris-Becker-Zeiten nach seinem Drittrunden-Aus bei den US Open in sein Team geholt. Viel zu sehen war von dem Ergänzungscoach zu Papa Alexander Zverev nicht. Nicht einmal bei Grand-Slam-Vorbereitungen. Nach der Verpflichtung des Amerikaners hatte der damals 21-Jährige gesagt: „Ich habe mich mit Lendl zusammengetan, um mit ihm die größten Turniere durchzukämpfen und zu gewinnen." Jetzt erzählte Sascha Zverev beim Turnier in Hamburg: „Manchmal gehen wir auf den Tennisplatz, du trainierst zwei Stunden lang, und eine halbe Stunde davon steht er mit dem Rücken zu mir und erzählt, wie er am Morgen davor Golf gespielt hat."
Endlich wieder einmal zwei Matches in Folge gewann jüngst Saschas Bruder Mischa auf der ATP-Tour. Ein knappes Jahr zuvor stand der 31-Jährige in Eastbourne auf dem Siegertreppchen, 2017 war er die Nummer 25 der Welt. Immerhin kehrte der Volley-Spezialist jetzt zurück in die Top 200. Dann holte das Verletzungspech den jungen Papa wieder ein: Mischa konnte in Hamburg nicht mitmischen, als Sascha erstmals seit 2016 wieder bei seinem Heimatturnier antrat. Sogar auf Sand, dort, wo Alexander intuitiv zuhause ist.
Jan-Lennard Struff, dessen Sohn zur Welt kam, als er gerade bei den BMW Open in München aufschlug, kämpft sich, seit er Vater geworden ist, mit dem Mut eines Herdenführers nach oben. Bei den French Open wäre locker auch das Viertelfinale für den Warsteiner drin gewesen, hätte er das Weiterkommen nicht ausgerechnet mit Novak Djokovic ausfechten müssen, der unerbittlichen Nummer eins der Weltrangliste, der gerade in einem epischen Match gegen Maestro Roger Federer Wimbledon gewann.
Aus Dummheit Wimbledon verpasst
Besonders dumm gelaufen ist es beim Rasen-Grand-Slam für Rudi Molleker: Der 18-Jährige hatte sich Respekt bei Boris Becker erfochten, als er erstmals sowohl bei den Australian Open, als auch bei den French Open, über die Qualifikationsrunden ins Hauptfeld der wichtigsten Turniere einzog. Doch dann passierte das Unglaubliche: Molleker vergaß, sich rechtzeitig für die Qualifikation in Wimbledon anzumelden. Ein Frevel in den Augen von Rasenenthusiasten. In der vorletzten Juli-Woche stand der Oranienburger so auf Position 150 der weltweiten Zählung. Einen Platz vor Dustin Brown, der kurz vor Wimbledon Sascha Zverev in Stuttgart besiegt hatte und weiterhin eine große Hoffnung und Bereicherung für jeden Grand Slam ist, bei dem es der Tennisakrobat ins Hauptfeld schafft.
Zu schnell hoch gestiegen ist vergangenes Jahr Maxi Marterer. Der Nürnberger war 2018 bei den French Open erst gegen den Sandplatzkönig Rafael Nadal ausgeschieden – mit einem starken Match. Marterers Selbstvertrauen und seine Form erinnerten an die aktuellen Auftritte von Struff. Maxi – plötzlich in den Top 50 – musste nachfolgend in den ganz großen 500er- und 1000er-Turnieren gegen ausbalancierte Spitzenspieler ran. Dort verlor er gegen die willensstarken Gladiatoren unter den ersten 20 und 30 der Welt rapide seine Zuversicht. Gepaart mit körperlichen Problemen folgte der bittere Absturz aus den Top 100 und fast noch aus den Top 200.
Sogar von Rang 39 fiel der Münchner Peter Gojowczyk seit 2018 aus den Top 100 heraus. Seit dem Ende der Sandplatzsaison ist der 30-Jährige ohne Trainer unterwegs. Über Qualifikationsrunden oder Wildcards muss er sich in Grand Slams wie die US Open hineinarbeiten.
Neustart für Angelique Kerber nach ihrer frühen Wimbledon-Pleite: Der ehemalige ATP-Profi Rainer Schüttler und die Queen des legendären Grand Slams von 2018 trennten sich „in Freundschaft". Angie, die 34 Wochen lang Nummer eins war und 2016 sowohl die Australian Open als auch die US Open gewann, ist aktuell ebenso aus den oberen Zehn herausgefallen wie Julia Görges.
Nach ihrem Erstrunden-Aus in Paris wechselte auch „Jule" den Trainer. Michael Geserer hatte die Wahl-Regensburgerin bis auf den neunten Weltranglistenplatz geführt. Doch als wichtige Vertreterin der erfolgreichen Ü30-Generation will die gebürtige Bad Oldesloerin noch mehr erreichen. Vielleicht schon bei diesen US Open, nach ihrer zweiten Runde im vergangenen Jahr. Zuzutrauen ist es der klugen Taktikerin.
In den Top 100 sucht man eine deutsche Spielerin, die jünger als 30 Jahre ist, derzeit vergeblich. Entschlossenen Nachwuchs, wie die 17-jährige Amerikanerin Amanda Anisimova, die erst im Halbfinale der French Open gegen die spätere Siegerin Ashleigh Barty ausschied, findet man hierzulande momentan nicht.
Nur wenige gute Nachwuchsspieler
Carina Witthöft beispielsweise, die im vergangenen Jahr noch gegen Serena Williams bei den US Open antrat, nahm eine Auszeit. Sie trainiert jetzt selbst Nachwuchs und stürzte indes aus den Top 50 in die untersten Regionen der Top 400 ab. „Du bist die ganze Zeit umgeben von Menschen, die dir gar nichts gönnen. Man hat die ganze Zeit diese negative Energie", begründete die Hamburgerin ihre aktuellen Probleme mit der Profi-Welt-Tour gegenüber dem „Spiegel".
Umso mehr Hoffnungen dürfen die deutschen Fans allerdings auf drei Ü30-Damen setzen, die alle um Platz 70 der WTA-Wertung kreisen: Die Metzingerin Laura Siegemund, Ex-Top-Ten-Spielerin Andrea Petkovic und Tatjana Maria sind derzeit hoch motiviert und geben alles. Besonders viel ist Laura zuzutrauen, die nach überstandenem Kreuzbandriss heuer dreimal in die zweite Runde eines Grand-Slam-Turniers einzog und 2016 die US Open im Mixed gewann. Die agile Spielerin mit einem Abschluss in Psychologie hat in Wimbledon ihr erstes Match beim Traditionsturnier überhaupt mit einer Aufholjagd gegen die Lokalmatadorin Katie Swan gewonnen. Danach twitterte die 31-Jährige: „Happy smiles", quasi: „Ich lächle glücklich". Siegemund arrangierte sich beim Mixed in Wimbledon sogar gutgelaunt mit durchgedrehten Rasensprengern und schaffte es ein paar Wochen später in Bukarest im Einzel bis ins Halbfinale. – Fortsetzung all der Happiness soll im Big Apple folgen!