Ihr Traum, ihr Ziel: Sie wollen in alle Turniere rein. Jetzt haben sie das Ticket dafür: Andreas Mies und Kevin Krawietz sind das erste deutsche Doppelsieger-Duo in der Offenen Ära des Profitennis.
Vor ihnen gab es erst eine erfolgreiche Kombi: Noch in der Amateurzeit, 1937, siegten Gottfried von Cramm und Henner Henkel als Doppel in Paris und bei den US Open. „Das bedeutet uns die Welt". Wahrscheinlich orientierten sich der Coburger Kevin Krawietz und der Kölner Andreas Mies am Eiffelturm, der stoisch am Himmel zu kratzen scheint. Ganz cool schossen die vorher Unbekannten zu den Sternen des ersten doppelten deutschen Doppelsieges bei einem Grand Slam im Profizeitalter, das seit 1968 zählt. Weich gelandet auf den Plätzen 21 und 22 der Weltrangliste, bleibt ihnen keine Tür zu Wettkämpfen mehr verschlossen, durch die das Duo, das pure Unbeschwertheit ausstrahlt, hindurchwill. Nach ihrem Finalsieg bei den French Open hagelte es Einladungen für die zwei Doppelspezialisten, die als Bundesligaspieler von Rot-Weiß Köln und des Münchner TC Großhesselohe auch mal gegeneinander antreten. Als Grand-Slam-Sieger im Doppel dürfen sie als Duo seit ihrem geschmeidigen Titelgewinn in Paris von nun an überall auf der großen ATP-Profitour, ohne Umwege über die Qualifikation, direkt im Hauptfeld antreten.
Keine Tür bleibt mehr verschlossen
Bester Laune waren der Rheinländer und der Bayer bei ihrer Pressekonferenz nach dem Finalsieg. Sie frotzelten übers Preisgeld, wer wieviel von den 580.000 Euro bekommt. Der Franke Kevin: „Was kaufste Dir, Andi, was kaufste?" – Darauf der Rheinländer Mies: „Ich spar’ erst mal ein bisschen." Seine Begründung: „Wir haben die letzten Jahre viel draufgezahlt bei den Futures und Challengers nach meiner Knie-OP."
Denn es ist es noch gar nicht so lange her, dass Mies fürchtete, nach einem Knorpel- und Meniskus-Schaden, Operation und zehn Monaten Reha, könnte es vorbei sein mit seinem Traum, jemals in einem Grand Slam anzutreten. Das war 2016, als der Kölner gerade so richtig mit seiner Einzel-Karriere durchstarten wollte. Der Mitt-Zwanziger hatte damals am College seinen Abschluss geschafft und beim Uni-Sport staunend kennengelernt, welch großen Stellenwert Doppel-Wettkämpfe in den USA einnehmen. Doppel-Partien sind eine Sache für gute Strategen. Sie machen Spaß und sind fürs Publikum extrem unterhaltsam. Daran erinnerte sich der junge Mann. Mies analysierte, ob sein Körper dazu taugte, in die Top 30 der leistungsdichten Doppel-Weltrangliste zu kommen und dort auch durchzuhalten.
Fürs Doppel brauchte Mies einen Partner. Einen, der ebenfalls den Willen hatte, sich von ITF-Future-Turnieren mit 49 Euro Preisgeld für den Sieg in der ersten Runde und 200 Euro für den Titel, über die Challenger-Tour mit immerhin 1.100 Euro für den Turnier-Triumph, hin zu großen ATP-Profi-Turnieren und sogar in die zweite Woche von Grand-Slams zu arbeiten.
Und das mit Tempo. Die Zeit drängt, wenn man als Tennisspieler in seinen Zwanzigern ist. Der Gelddruck wächst. Happy End der Suche: Der Legende nach fanden Mies und Krawietz ihren jeweiligen Traumpartner auf der Flirt-Plattform Tinder. Der Coburger Krawietz hatte keine Lust mehr, mit einer 200plus-Position im Einzel um sein Glück zu kämpfen.
Finanziell ein schöner Bonus
Sein Ausweg waren sein Talent fürs Doppel und die Erinnerung an seinen Wimbledon-Titel: Noch bei den Junioren, zehn Jahre zuvor, zusammen mit dem Franzosen Pierre-Hugues Herbert. Ende 2017 kamen Krawietz und Mies zu einem ersten Challenger zusammen. Die Abstimmung klappte, sie ergänzten sich, harmonierten. Sie lernten die idealen Reaktionen kennen, wenn der andere gerade mal schwächelt. Als Doppel gewannen die spritzigen Spieler sechs Futures und Challengers, ebenso das ATP-Turnier in New York. Zwischenzeitlicher Höhepunkt der erfolgreichen Verbindung: Achtelfinale in Wimbledon 2018. Ein prima Vorspiel auf ihrem Weg zum Titel bei den French Open 2019. Und für ihren ersten gemeinsamen Auftritt bei den US Open. Auf dem Centre Court, dem Court Philippe Chatrier, hatten die 27- und 28-jährigen Sonnyboys ihre große Bühne im Endspiel des fabulösen Grand Slams in der französischen Hauptstadt. Sie spielten gegen Fan-Chöre an, die für ihre französischen Kontrahenten sangen. Das motivierte die beiden Deutschen umso mehr. Sie wussten: „Wir müssen locker bleiben, wir müssen cool bleiben", erklärte Krawietz nach dem Sieg auf Eurosport. Doch auch für das deutsche Duo wurde gejubelt. Immerhin hatten Krawietz und Mies 50 Tickets für ihre Anhänger besorgt. Hammerharte Aufschläge, gewitzte Returns, perfekte Positionierungen, wohldurchdachte Taktik, hinter vorgehaltener Hand geflüstert, atemberaubende Ballwechsel in perfektem Zusammenspiel. Und jede Menge gute Stimmung: vorne am Netz und bei jedem Abklatschen. Wenn zwei so Doppel spielen, scheint alles möglich. Krawietz: „Er räumt vorne die Sachen ab. Da kannste eine Kanonenkugel draufschießen, dann räumt er die weg. Das ist ihm völlig wurscht." Der so beschriebene Andreas Mies hielt eine sehr emotionale kleine Rede, nachdem er sich mit Krawietz auf eine 50:50-Verteilung des Preisgeldes während der Pressekonferenz „geeinigt" hatte: „Das könnt Ihr mir wirklich glauben, mir ist der Titel wichtiger als Geld oder was auch immer. Und solche Momente zu erleben, wie wir gerade eben auf den Boden gefallen sind und uns in den Armen lagen. Wir hatten beide Tränen in den Augen. Wir schauen beide in die Box, alle haben Tränen in den Augen. Meine Eltern sind am Weinen … Das sind die Momente, für die wir spielen, nicht fürs Geld. Es ist natürlich ein schöner Bonus, man hat finanziell mal Ruhe und kann schön planen. Man kann jetzt alles etwas lockerer und entspannter angehen, aber wie gesagt: Wir genießen den Sieg." – Kevin nickte zustimmend.
Nach ihrem Sieg gegen die Favoriten aus Frankreich, Jeremy Chardy und Fabrice Martin, mit 6:2, 7:6 in Paris, feierten die beiden mit Familie, Freundin und Freunden lang und intensiv. Danach waren sie erst mal neben der Spur, abgelenkt durch sehr viel Aufmerksamkeit. Mit dem Druck der frisch polierten Grand-Slam-Sieger-Trophäen auf ihren Rücken, als sie auf den kleinen Rasenplatz in Wimbledon marschierten und in der ersten Runde verloren. Doch irgendwann werden sich diese beiden klugen Strategen wieder frei fühlen zu siegen. So locker wie im Grand-Slam-Finale in Frankreich im Frühsommer. Bei den US Open gibt es für die Doppel-Champions übrigens 740.000 Dollar zu gewinnen. So viel wie noch nie bei den US Open oder bei einem Grand Slam überhaupt. Da müssten Mies und Krawietz wieder anfangen zu rechnen und zu planen …