Die Digitalisierung stellt den Mittelstand vor immense Herausforderungen. Konzerne sind dagegen schon weiter. Peter Herweck ist Vorstand der Industrie des milliardenschweren französischen Automatisierungskonzerns Schneider Electric. Digital unterstützte Jobs konzentrieren sich nur noch auf das Wesentliche, sagt er.
Herr Herweck, Sie kennen die landläufigen Befürchtungen vieler Arbeitnehmer: Hat Schneider Electric schon einmal jemanden entlassen müssen, weil sein Arbeitsplatz durch einen Roboter oder eine Software ersetzt wurde?
Wir arbeiten natürlich wie jedes andere Unternehmen an unserer Produktivität. Wir wachsen, es gibt Veränderungen durch die Digitalisierung, vor allem auch innerhalb der Jobs. Jemanden entlassen mussten wir aber wegen der Digitalisierung meines Wissens nach noch niemanden.
Schneider Electric ist, gemessen am Umsatz, einer der fünf größten Automatisierungskonzerne weltweit. Sie spüren daher auch den größten Veränderungsdruck der Konkurrenz. Wie gehen Sie innerhalb des Konzerns damit um?
Schneider Electric transformiert sich auch innerhalb seiner Strukturen, ganz klar, und wir schauen uns an, welche Prozesse im Unternehmen digitalisiert werden können. Zum Beispiel setzen wir Software ein, die uns hilft, intelligent mit den Kundenbedürfnissen umzugehen und neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Das treiben wir nach vorne, um wettbewerbsfähiger zu sein.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir sind Weltmarktführer bei Produkten wie Schaltern, die man an Maschinen betätigen muss. Die Herstellung dieser „Pushbuttons" geschieht schon seit geraumer Zeit in zwei Fabriken vollautomatisiert mit einem Ausstoß von einer zweistelligen Millionenzahl im Jahr. Nun haben wir uns gefragt: Wie könnten wir dem Kunden ein möglichst personalisiertes, auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Produkt anbieten? Das kennen Sie zum Beispiel aus dem Handel. Dort können Sie sich auf einer Webseite den eigenen Turnschuh konfigurieren, der ihnen Stunden später geliefert werden kann. Das haben wir für unsere Kunden ebenfalls ermöglicht. Sie können sich auf einer Webseite einloggen, ihre Produkte so modifizieren, dass es ihrem Anspruch genügt. Texte oder Bilder auf oder rund um den Schalter, all dies kann individuell konfiguriert werden. Dieses Einzelstück durchläuft dann die gleiche Produktion wie jeder andere Schalter „von der Stange" und wird im letzten Schritt individualisiert und versendet. So schaffen wir es, aus einem recht einfach herzustellenden Serienprodukt ein individualisiertes Einzelstück zu fertigen.
Das Product Customizing ist das eine, wie schaffen Sie es, Ihre Mitarbeiter im Konzern auf die neuen Anforderungen digitalisierter Produktion einzustellen?
200 Fabriken weltweit, davon auch eine große Anzahl in Deutschland, werden derzeit auf die „Supply Chain 4.0" vorbereitet und umgestellt. In über 60 davon setzen wir bereits Technologie ein, um produktiver zu werden. Ein ganz einfaches Beispiel aus einer unserer Fabriken in Le Vaudreuil im Nordosten von Paris: Wir setzen dort Augmented Reality ein, das heißt, es werden Zusatzinformationen zur realen Welt eingeblendet. Was kann er damit tun? Nun, Maschinen, die in Betrieben rund um die Uhr laufen, haben gelegentlich Fehlfunktionen. Es leuchtet ein Warnsignal, der Wartungsmitarbeiter kommt und schaut sich die Maschine an. Um zu identifizieren, was genau kaputt ist und was getan werden muss, mussten diese Mitarbeiter früher durch die halbe Fabrik laufen und sich das Dokumentationshandbuch der Maschine schnappen. Dann erst konnte er sagen, was es für ein Fehler ist und wie man damit umgeht. Mit Augmented Reality sieht dies anders aus: Der Wartungsmitarbeiter macht nun mit einem Tablet ein Bild von der Maschine, die Software erkennt, welches Modell es ist und welchen Fehler sie hat, ruft die entsprechende Dokumentation auf. Und wenn der Fehler schon einmal aufgetreten ist, kann sich der Mitarbeiter vielleicht sogar ein Video von Kollegen anschauen, die diesen Fehler schon einmal behoben haben. Damit haben wir es geschafft, die Wartungszeiten zu halbieren. Denn Wartungszeit bedeutet auch immer Produktionsausfall, das heißt, es geht Geld verloren, und der Mitarbeiter kommt sehr einfach an die Dokumentation heran.
Sie haben nicht besonders anspruchsvolle Arbeit eliminiert.
Ja, der Mitarbeiter muss nicht mehr die Dokumentation holen. Dafür ist der Mitarbeiter nicht im Unternehmen, sondern er ist dafür da, hochqualifizierte Wartungsarbeiten durchzuführen. Mit dieser Lösung ist es uns gelungen, nicht-anspruchsvolle Arbeit zu eliminieren und die Arbeit des Einzelnen auf seinen eigentlichen hochqualifizierten Kern zu reduzieren. Die Mitarbeiter haben das selbst erkannt und mit ihrer Hilfe und den französischen Gewerkschaften, die ja einen nicht gerade niedrigen Stellenwert haben, haben wir es eingeführt. Und die Mitarbeiter fanden es so gut, dass sie sich jeden Freitagnachmittag in einer „Digitalen Runde" die Kenntnisse und den Umgang mit Augmented Reality gegenseitig beigebracht haben. Sie haben sich überlegt, wo man es noch überall einsetzen kann, um die Arbeit aufs Wesentliche zu reduzieren. Natürlich wissen sie, dass sie auch im Wettbewerb mit anderen Unternehmen weltweit stehen. Je produktiver sie sind, desto wettbewerbsfähiger ist das Unternehmen, desto sicherer der Job.
Ein weiteres Beispiel ist die Stromversorgung unserer Fabriken. Mithilfe von intelligenter Automatisierung haben wir den Energieverbrauch um 15 Prozent reduziert. Dies reduziert unsere Kosten, verbessert den CO2-Ausstoß und den „Carbon Footprint" unserer Produkte. Und dies sind nur zwei von einer Vielzahl von digitalen Transformationsprozessen in unseren Fabriken.
Studien gehen davon aus, dass etwa 15 Prozent der heutigen Jobs „hochgradig automatisierbar", also vollends durch Maschinen ersetzbar sind – auch bei Schneider?
Eine genaue Zahl haben wir nicht. Produktivität kann über drei Stellschrauben verändert werden: Material, Kapital und Arbeitsleistung. Wir versuchen einen gesunden Mix dieser drei Produktivitätsfaktoren zu halten.
Digitalisierte Jobs bedingen, dass sich das Wissen Ihrer Mitarbeiter ständig weiterentwickelt. Wie bilden Sie Ihre Mitarbeiter weiter?
Hier geht es um drei Aspekte, Umschulung, Ausbildung und Weiterbildung. Bildung heißt, dass wir mit lokalen Institutionen zusammenarbeiten, um potenzielle Mitarbeiter, die ins Unternehmen eintreten, gut vorzubereiten. In der Aus- und Weiterbildung geht es darum, dass sich die Mitarbeiter im Unternehmen immer wieder mit der neuesten Technologie beschäftigen. Einer unserer Unternehmenswerte ist, dass wir jeden Tag lernen. Personalisierte Traininigs, Mentorings und Coachings stehen dafür zur Verfügung, erfahrene Mitarbeiter geben ihr Wissen an die nächste Generation weiter. Es gibt Online-Kurse sowie weltweiten Austausch der verschiedenen Standorte über „Best Practice". Dann gibt es auch Mitarbeiter, die schon länger dabei sind und von denen wir wissen, dass deren Tätigkeiten in Zukunft nicht mehr gebraucht werden. Hier entwickeln wir mit den Mitarbeitern einen Umschulungs- und Weiterbildungsplan, um sie auf neue Tätigkeiten vorzubereiten. Wir identifizieren die Tätigkeiten, die sich am stärksten verändern, egal ob im Kundenservice, im Einkauf, in der Produktion oder der Planung und bereiten unsere Leute gezielt darauf vor.
Der Transformationsatlas der IG Metall in Deutschland sagt, dass über die Hälfte der Jobs in Fertigung, Montage und Logistik von der Digitalisierung betroffen sind. Weniger als die Hälfte der befragten 2.000 Betriebe hatten überhaupt eine Strategie, wie sie damit umgehen sollen. Was heißt das für den Standort Deutschland?
Das zeigt uns, dass es erst einmal noch viel Potenzial für Firmen wie unsere in Deutschland gibt. Nicht, indem wir den Firmen, die sich automatisieren, irgendein Produkt verkaufen. Sondern es geht darum, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und die Frage zu beantworten, wie wir in dieser Prozesstransformation helfen können. Es ist nicht so, dass man sagt, hier ist die neue Software, und damit ist die Transformation abgeschlossen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir setzen uns also zusammen und fragen uns: Wie ändern sich Arbeitsabläufe und Berufsbilder? Was können wir tun, um uns darauf vorzubereiten? Denn davon betroffen sind ja nicht nur Fertigung, Montage oder Logistik, sondern die Digitalisierung reicht bis ins Entwicklungslabor oder die Planung. Selbst Führungskräfte werden sich verändern müssen.
Wie hat die Digitalisierung Sie denn verändert?
Früher haben wir viele Analysen in Auftrag gegeben, um gute Entscheidungen treffen zu können. Heute sind diese Analysen weitgehend automatisiert, also schneller, und die Daten sind besser als damals, also sind hoffentlich die Entscheidungen auch besser. Das wäre sicherlich noch zu beweisen. Aber ich glaube, dies wird sich zum Positiven ändern.
Und Ihr Arbeitsalltag? Hat er sich dadurch vereinfacht? Oder ist er komplexer als noch vor zehn Jahren?
Im Alltag eines Vorstands gibt es heute Arbeit, wie im Übrigen auch in der Produktion, auf deren Automatisierung man sich verlässt. Zum Beispiel die Analysen. Aber dadurch wird nicht alles einfacher, sondern komplexer. Denn, wie ich schon geschildert habe, fallen viele einfache Tätigkeiten weg, aber neue Jobs und Berufsfelder entstehen. Und das wird eine Herausforderung, wenn man die richtigen Initiativen als Unternehmen ergreift.