Die Bundesregierung ist bei der Klimarettung auf der Zielgeraden. Der Klimaschutz soll zum Staatsziel erklärt, entsprechende Maßnahmen am 20. September beschlossen werden. Nur welche, bleibt unklar.
Wochenlang ließ die Kanzlerin die Klimadebatte im Land einfach mal laufen, verzichtete weitestgehend auf eigene allzu konkrete Positionen, lobte dafür das Engagement von „Fridays for Future". Auch Umweltaktivistin Greta Thunberg kam bei der Kanzlerin gut weg.
Mitte August war dann Schluss mit Zurückhaltung. Die Klima-Kanzlerin kehrte gut gelaunt aus ihrem Urlaub in Österreich zurück. Aber nicht ins Kanzleramt nach Berlin, sondern erst mal in ihre Heimat, nach Stralsund in Vorpommern. Bei einem Bürgerforum ließ sie dann die Katze aus dem Sack. Generell ist sei sie zwar für eine Bepreisung von Treibhausgasen. Allerdings sieht sie „die Pläne für höhere Energiesteuern sehr skeptisch". Gemeint war die von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) favorisierte CO2-Besteuerung von Benzin, Diesel und Heizöl. Angela Merkel will dagegen „den Handel mit Emissionszertifikaten auf Verkehr und Wohnen ausdehnen". Also das, was derzeit schon in der Industrie an der Tagesordnung ist. Das habe den Vorteil, „dass man über die Menge der Gutscheine auch die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase steuern könne". Deshalb findet die Kanzlerin „von der Theorie her den Zertifikate-Handel besser als eine Preiserhöhung über Steuern". Der Einschub „von der Theorie her" ist als kleines Debattenangebot an die Umweltministerin zu verstehen.
Es zeichnet sich ab, dass eine CO2-Steuer auf Verkehr und Wohnen wohl nicht wie vorgeschlagen kommen wird. Allerdings hat Svenja Schulze noch einen Trumpf im Ärmel. Sie hat Wert auf Sozialverträglichkeit ihrer CO2-Steuer gelegt, was sie mit einer Umweltprämie erreichen wollte. Diese jährliche Einmalzahlung zwischen 80 und 120 Euro sollen alle Bundesbürger am Anfang des Jahres erhalten. Bei niedrigen CO2-Emissionen würden die Bürger dann am Ende des Jahres sogar weniger CO2-Steuer zahlen als sie per Umweltprämie bekommen haben. Eine wahre Win-win-Situation für die Bürger und die Umwelt, so Schulze.
Zertifikathandel ausdehnen?
Derzeit wird im Umweltministerium eine weitere Studie vorbereitet, die die sozialen und klimatischen Auswirkungen der CO2-Steuer und des Zertifikathandels gegenüberstellt. Diese Studie soll logischerweise erst kurz vor dem Klimagipfel offiziell vorgestellt werden.
Was auch immer dabei herauskommt, in einem sind sich alle namhaften Umweltverbände von WWF über Naturschutzring, BUND, Greenpeace bis Deutsche Umwelthilfe unisono einig: Es geht nicht schnell genug. Vor allem beschleicht die Umweltschützer das ungute Gefühl, dass es derzeit einem größeren Teil der Regierenden um Schaufensterpolitik geht. Diesbezüglich lieferte die gerade erst frische gekürte Verteidigungsministerin in ihrer Funktion als CDU-Chefin eine Vorlage. Schlagzeilenträchtig forderte Annegret Kramp-Karrenbauer eine „Abwrackprämie für Ölheizungen". Tolle Idee, aber nicht ganz bis zu Ende gedacht. Denn ihr Parteifreund und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier fördert bis heute den Einbau von genau diesen Ölheizungen. Also heute einbauen und morgen dann gleich abwracken lassen und zweimal kassieren, für die gute Sache, versteht sich?
Für die Co-Geschäftsführerin beim BUND, Antje von Broock, ein Beleg, dass die Bundesregierung aus Rücksicht auf die Wirtschaft sehr zurückhaltend mit ihren Vorschlägen ist. Viele Maßnahmen ließen sich „sehr schnell ohne großen Aufwand umsetzen", so von Broock, „aber dazu fehlt offenbar der Wille" (siehe Interview). Doch nicht nur die Unionsseite in der Regierung kommt bei den Umweltschützern nicht so gut weg. Auch bei der SPD hat der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert, den Eindruck, dass zu viel Rücksicht auf autofahrende Wähler genommen wird. Wobei auch Niebert klar ist: „Bei den Emissionen gibt es im Bereich der Mobilität zwei Realitäten, die auf dem Lande und die in den Ballungsräumen." Der Präsident des Naturschutzrings ist aber auch mit der politischen Realität sehr vertraut. Niebert selbst hat ein SPD-Parteibuch und war Mitglied in der Kohlekommission, die den Ausstieg aus der Kohleverstromung für 2038 vereinbart hat. Aus seiner Sicht war das für die Umwelt keine gute Entscheidung, trotzdem hat er zugestimmt. „Selbst schlechter Klimaschutz ist besser als kein Klimaschutz", so sein Credo. Damit hat er wahrscheinlich auch schon den Kompromiss des Klimakabinetts am 20. September zum Klimaschutz im Kanzleramt vorweggenommen. Ein generelles Tempolimit auf den deutschen Straßen um die Treibhausgase zu senken: undenkbar. Eine Besteuerung von Kerosin ist bereits jetzt auf die lange EU-Bank nach Brüssel verschoben worden. Eine „normale" Besteuerung von Dieselkraftstoff: mit der Autoindustrie nicht zu machen. Ein Verbot von Flügen unter 600 Kilometer: Arbeitsplätze in Gefahr. Über eine Sonderbesteuerung der extrem energieintensiven Tiefkühlprodukte in den Supermärkten wird schon gar nicht mehr gesprochen. Es wird wohl auf irgendetwas zwischen kurzfristiger CO2-Besteuerung und angestrebtem Zertifikathandel für den Verkehrs- und Wohnsektor hinauslaufen.