Acht Flug-Teilstrecken – allein das genügt, um meinen letzten Urlaub vor dem Hintergrund der Klimadebatte als total unkorrekt und mich als ignorant, unsensibel und egoistisch abzustempeln. Und doch waren die zwei Wochen nicht nur schön, sondern auch gesund und lehrreich – kurzum: ich bereue nichts.
Das ist natürlich erklärungsbedürftig. Also: Eine Wanderreise führte uns auf sechs der insgesamt neun Azoreninseln. Anflug über Lissabon auf die Hauptinsel, Rückflug ebenso, macht schon mal vier Flugstrecken. Hinzu kamen weitere vier Teilflüge und ebenso viele Bootsfahrten.
Was läge näher, als auf solche Unternehmungen zu verzichten und stattdessen in der Eifel die Maare zu umrunden oder in den Alpen die Berge zu erklimmen? Wenn ich mal die wunderbaren Natureindrücke außen vor lasse, bleibt ein wichtiges Gegenargument: mir wären eine Reihe von Erkenntnissen versagt geblieben.
Wir haben gelernt, dass auf den Azoren etwa 50 Prozent der Arbeitsplätze vom Mutterland Portugal oder einer EU-Förderung abhängen. Der Rest verteilt sich auf Rinder und ihre Erzeugnisse (ja, wir haben überall reichlich pupsende Kühe und Bullen gesehen – fürs Klima natürlich Mist), auf Fischerei und auf den überwiegend sanften Tourismus einschließlich vieler Flüge von ausgewanderten Insulanern in ihre alte Heimat.
Besonders krass ist es auf der kleinsten Azoreninsel Corvo. Dieses etwa auf halber Strecke zwischen Europa und Amerika liegende Eiland zählt in der einzigen Stadt rund 400 Einwohner, verfügt aber über eine komplette Infrastruktur bis hin zu Tankstellen, Hafen und Flughafen. Ansonsten besteht Corvo aus einem riesigen Vulkankrater mit Seen, Wiesen und – Sie ahnen es – einigen Kühen. Ökonomen haben errechnet, dass es kostengünstiger wäre, alle Einwohner bis zum Lebensende in guten Hotels am Festland unterzubringen statt die wirtschaftlich und ökologisch eigentlich unsinnige Besiedlung aufrechtzuerhalten.
Klimawandel fordert jeden von uns
Damit ist das Dilemma klar: Dürfte man wegen der ökologischen Ratio jahrhundertelang besiedeltes Kulturland verwüsten und die Bewohner entwurzeln? Soll man zumindest den zwar geringen, aber doch die CO2-Bilanz belastenden Tourismus denunzieren und damit den dort lebenden Menschen diese bescheidene Einkommensquelle vermiesen?
Klar, der Kampf gegen menschengemachte Klimaerwärmung muss – schon wegen der Kipppunkt-Problematik – rasch und entschieden geführt werden und fordert jeden Einzelnen von uns. Also beispielsweise: auf Kurzstreckenflüge und Kreuzfahrten verzichten, auch bei der Nutzung digitaler Technik abzuwägen (sei es beim unterschätzten Energieverbrauch durch Datentransfer oder beim ressourcenbelastenden Kauf ständig neuer Handys) und auch nicht vorschnell gegen steuernde Steuern polemisieren. Aufforderungen zu einem generellen Flugverzicht, wie ihn ja auch Greta Thunberg, die Ikone der Klimaaktivisten, vorlebt, sind aber ein Irrweg. Reisen heißt andere Kulturen zu begreifen, mit Vorurteilen aufzuräumen und im doppelten Wortsinn seinen Horizont zu erweitern. Flugreisen haben mir die Chance zu einer gelungenen interkulturellen Ehe eröffnet, Toleranz gelehrt, aber auch geholfen, das eigene, heimatliche kulturelle Erbe zu schätzen.
Ohne Wenn und Aber: Ich freue mich, dass sich heute viele junge Menschen endlich wieder politisch engagieren. Ich freue mich, dass sie über grundlegende Fragen nachdenken, etwa über Nachhaltigkeit, gesellschaftliche und globale Solidarität und auch über bewussteres Leben in unserer scheinbar heilen Konsumwelt. Aber ich freue mich auch über jeden, der dabei keinen asketischen und angstgetriebenen Blickwinkel einnimmt, sondern es schafft, mit Ambivalenzen zu leben.
Dazu gehört für mich, sich dem Rückzug in den Nahbereich zu verweigern. Reisen bildet und verbindet. Trotz Skype und Co: Gerade in der globalen Welt sind persönliche Begegnungen und Erfahrungen nötiger denn je. Deshalb: Lasst Euch Flugreisen (nicht die zum Ballermann, sondern die in ferne Welten) nicht vermiesen!