Im Atomstreit erhöhen die USA und der Iran ihre Drohkulissen
Der Atom-Konflikt zwischen den USA und dem Iran hat ein gefährliches Stadium erreicht. Beide Seiten drohen unausgesprochen mit einem Szenario, das sie eigentlich vermeiden wollen. Washington baut auf die Angst der Mullahs vor einem Militärschlag der Amerikaner. Die Regierung in Teheran spielt hingegen mit der Furcht der anderen vor iranischen Nuklearwaffen.
Die Geschichte des Streits zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran ist eine Geschichte von sich gegenseitig hochschaukelnden Eskalationen. US-Präsident Donald Trump war das Nuklearabkommen, das sein Amtsvorgänger Barack Obama mit ausgehandelt hatte, von Beginn an ein Dorn im Auge. Er gibt sich nicht zufrieden mit einem auf mindestens zehn Jahre befristeten Vertrag. Er will die Mullahs durch harsche Sanktionen in die Knie zwingen. Also: Kernwaffenverzicht für immer, Stopp des Raketenprogramms und Einstellung der Hilfe für schiitische Milizen zwischen Libanon und Jemen.
Das Problem besteht darin, dass Trump Drittstaaten in Mithaftung nimmt. Fast alle europäischen Firmen haben den Iran verlassen, weil sie ihr US-Geschäft nicht verlieren wollen.
Teheran fühlt sich durch diese Sanktionskeule verraten. Die Rechnung der Regierung – Rücknahme der Strafmaßnahmen gegen Absage an Atomwaffen – ging nicht auf. Der Handelsboykott der Amerikaner erstickte jegliche wirtschaftliche Erholung im Keim. Insbesondere die drastische Reduzierung der Öl-Exporte trifft den Iran hart; sie machen bis zu 90 Prozent der staatlichen Einnahmen aus. Die Führung versuchte im Gegenzug, durch dosierte Nadelstiche ihr Vergeltungspotenzial aufblitzen zu lassen. Die Angriffe gegen Tanker im Persischen Golf tragen die Handschrift der iranischen Revolutionsgarden oder verbündeter Kräfte.
Die nächste Stufe ist eine vorerst begrenzte Verletzung des Nuklearvertrags. Seit Montag reichert das Regime in Teheran Uran über den erlaubten Grad von 3,67 Prozent an. Wird das Metall um weniger als fünf Prozent angereichert, gilt es noch als ungefährlich. Das Material taugt zum Betrieb von Kernkraftwerken oder zu medizinischen Zwecken wie Strahlentherapie gegen Krebs. Geht die Anreicherung auf 90 Prozent hoch, könnte damit eine Atombombe gebaut werden.
Der Iran bestreitet eine militärische Absicht. Doch das Uran-Kalkül ist riskant, weil es die Gegenseite – die USA, Israel oder Saudi-Arabien – zu Fehlannahmen und Fehlreaktionen verleiten könnte. Teheran will damit vor allem die Europäer unter Druck setzen, die sich im Gegensatz zu Trump an das Atomabkommen gebunden fühlen. Sie sollen weichgeklopft werden und für eine Kompensation der US-Sanktionen sorgen.
Man darf annehmen, dass der Iran den Kurs der sukzessiven Verschärfung nicht überreizt. Die Regierung müsste bei einem eklatanten Verstoß des Nuklearvertrags damit rechnen, dass der UN-Sicherheitsrat in voller Breite Strafmaßnahmen verhängt. Andererseits sitzt die Führung in Teheran in der Eskalationsfalle. Die Talfahrt der eigenen Wirtschaft, die galoppierende Inflation könnten die Hardliner zu unüberlegten Handlungen treiben. Wer mit dem Rücken zur Wand steht, hat nichts mehr zu verlieren.
Auch Trump ist in der Konflikt-Mechanik gefangen. Er hat die Mullahs mit seinem in letzter Minute abgeblasenen Militäreinsatz einschüchtern wollen. Der Chef des Weißen Hauses liebt den Auftritt als Muskelmann. Er mag an einem gewissen Punkt den Zwang spüren, nicht nur zu drohen, sondern zu liefern. Nicht auszuschließen, dass er dann Luftschläge auf einzelne Ziele im Iran anordnet.
Einstweilen baut Trump jedoch auf wirtschaftlichen Druck und das Apokalypse-Szenario. Sollte sich die iranische Wirtschaft dem Kollaps nähern, wird sich die Regierung schon bewegen, denkt er. Zwischen Berlin, Paris und London sieht man das mit großer Skepsis. Im ökonomischen Chaos könnten die Revolutionsgarden in Teheran das Ruder übernehmen, wird befürchtet.
Die Aussichten sind düster. Die Akteure in Washington und Teheran sind derart ineinander verbissen, dass nur eine dritte Kraft für eine neue Dynamik sorgen könnte. Europäer, Russen und Chinesen müssten den Iran über die Atom-Frage hinaus zu Zugeständnissen bewegen – und zwar mit üppigen wirtschaftlichen Anreizen, die dieser nicht ablehnen kann. Warum nicht eine diplomatische Großoffensive?