Die grüne Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae übernimmt einen Schlüsselposten in der Energiewirtschaft. Manche sehen das als Hinweis auf eine künftige Regierung.
Die Union mittelständischer Unternehmen verleiht einmal im Jahr den „Deutschen Elite-Mittelstandspreis". Zu den Preisträgern der vergangenen Jahre zählen verdienstvolle Namen wie Stephan Weil, Volker Kauder, Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz. Gerhard Schröder bekam den Preis ein Jahr, bevor er Bundeskanzler wurde. 2013 erhielt ihn Kerstin Andreae, eine Bundestagsabgeordnete der Grünen. Wirkte der Name Andreae damals neben all den Ministerpräsidenten und Ministern noch etwas verloren, so war schon zu ahnen: Da könnte noch was kommen.
Die Ahnung war nicht verkehrt: Ab 1. November wird die 50-jährige Hauptgeschäftsführerin des einflussreichen Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW. Traditionell ist der Hauptgeschäftsführer des BDEW jemand mit guten politischen Verbindungen, denn der Job ist ein Scharnier zwischen Politik und Wirtschaft, schaut also in beide Richtungen. So hat der Hauptgeschäftsführer traditionell ein Parteibuch. Die erste, die den Job hatte, war von 2008 bis 2016 Hildegard Müller, CDU-Mitglied, damals Staatsministerin im Kanzleramt und enge Merkel-Vertraute. Der Ausstieg Müllers aus der Politik beim Antritt ihres Wirtschaftsjobs schien damals vielen überraschend. Sie verkannten die politische Natur des neuen Jobs. Seit drei Jahren hatte ihn der FDP-Mann Stefan Kapferer inne, davor Staatssekretär im Wirtschaftsministerium.
Scharnier zwischen Politik und Ökonomie
Nun also die Grüne Andreae: Seit 2002 im Bundestag, kommt sie aus der grünen Hochburg Freiburg, wo sie Volkswirtschaft studiert hat. Als wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion hatte sie einen Beirat ins Leben gerufen, in dem sich Grüne und Wirtschaft näherkommen sollten.
In Baden-Württemberg stellen die Grünen mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten und sitzen längst mit Unternehmen des Landes an einem Tisch. Lange abgebaut sind die einstigen gegenseitigen Vorbehalte. Andreaes Ehemann Volker Ratzmann ist Leiter der Vertretung des Ländles in Berlin und damit ganz nah am Landesvater.
Dass die Ober-Reala Andreae nun „in die Wirtschaft geht", wird von den meisten Grünen für gut befunden. Seit Jahren bereitet sich die Partei darauf vor, auch im Bund wieder Regierungsämter zu übernehmen. Doch Ministerämter à la Joschka Fischer oder Jürgen Trittin sind nur das eine. Vielleicht noch wichtiger sind all die halb-politischen Jobs im Hintergrund, oft auch Lobbyisten-Jobs genannt, wie etwa der des BDEW-Geschäftsführers. Auch Wirtschaftsverbände wie Unternehmensgrün (siehe Interview) setzen auf den grünen „Marsch durch die Institutionen". Dazu passt der Aufstieg Andreaes als Zeichen dafür, dass auch die deutsche Wirtschaft zunehmend in diese Richtung tendiert. Der gesellschaftliche Druck, lange vor den „Fridays" begonnen, erlebt gerade einen neuen Höhepunkt. Wie ehrlich es die Industrie meint und wie nachhaltig die deutsche Industrie wirklich wird, ist angesichts von Dieselskandal und Glyphosat eine andere Frage. Aber dass die Wirtschaft die Grünen umgarnt, ist offensichtlich. Und das Interesse beruht durchaus auf Gegenseitigkeit.
Der fliegende Wechsel in die Wirtschaft wird natürlich auch kritisch gesehen, etwa von Lobbycontrol, einem Verband, der die Verquickung von Politik und Wirtschaftsinteressen beobachtet. „Solche Seitenwechsel von Politik in die Wirtschaft empören die Menschen oft sehr", sagte eine Sprecherin. Der Wechsel aus dem Bundestag sei zwar nicht so kritisch zu sehen wie ein Wechsel aus einem Ministerium, wo es ja eine gesetzliche Karenzzeit gebe. Der nahtlose Wechsel zum Energielobbyverband BDEW sei aber enttäuschend, vor allem deshalb, weil die Grünen ja eigentlich sonst für mehr Distanz und Transparenz stehen würden. Es schade dem Ansehen von Politikern und Demokratie, so die Sprecherin.
Aber geht Andreae wirklich in die Wirtschaft? Der Job als Chefmanager des BDEW ist ein sehr politischer Job. So könnte man den Wechsel auch ganz anders sehen: Die Energiewirtschaft sichert ab, dass bei einem möglichen Ende der großen Koalition spätestens in zwei Jahren gute Kontakte zu den Grünen da sind. Das könnte dann extrem wertvoll sein.
Energieunternehmen sichern sich ab
Die sogenannte Energiewende, also Atom- und nun auch Kohleausstieg, sowie der Umstieg auf Erneuerbare ist eine Riesenaufgabe. In dessen Zentrum steht der BDEW und schon seit Jahren ist zu beobachten, wie der Verband mit der Zeit geht. Die über 1.900 Mitgliedsunternehmen stehen für rund 90 Prozent des Strom- und des Erdgasabsatzes in Deutschland. Auch innerhalb des Verbandes gilt: Vorbei sind die Zeiten, als die reinen Atom- und Kohlestromerzeuger allein das Sagen hatten. Erstens steigen auch diese großen Konzerne inzwischen Stück für Stück auf Erneuerbare um – selbst RWE wird zum großen Windkraftanbieter mit riesigen Offshore-Windparks. Zweitens sind in den letzten Jahren viele neue Unternehmen hinzugekommen, die ganz auf Erneuerbare oder neue Dienstleistungen setzen und etwa Schnelladestationen an Autobahnen anbieten. Selbst der deutsche Ableger des E-Auto-Herstellers Tesla ist Mitglied.
Dass nun eine Grüne Chefmanagerin des BDEW wird, ist aus Verbandssicht ziemlich schlau. Die Personalie repräsentiert den Wandel des Verbands, der sich inzwischen als Gestalter der Energiewende sieht. Aber natürlich kann man so auch besser auf die Politik einwirken, wenn es mal nicht ideal läuft und man Regelungen verhindern will, die unangenehm sein können.