Influencer sind für Jugendliche Vorbilder und werben in sozialen Medien offen für Produkte. Doch wo verläuft die Grenze zwischen witzigen Geschichten und Schleichwerbung? Ein Influencer-Gesetz soll Spielregeln vorgeben. Und geht, so die Kritik, an der Realität vorbei.
Miryam Lill, 33, hat vor zwei Jahren ihren Job als Redakteurin bei einem nordrhein-westfälischen Radiosender gekündigt. „Seitdem kümmere ich mich nur noch um meine Onlineaktivitäten", sagt die Kölnerin. Und sie hat Erfolg damit: „Meine Reise- und Modeblogs laufen gut." Immerhin habe sie rund 280.000 Follower. „Damit bin ich zu einer Influencerin geworden." „Influencer" – der Begriff kommt aus dem Englischen und bedeutet, jemanden zu beeinflussen („to influence"). Kinder, Jugendliche und natürlich auch Erwachsene folgen ihnen auf Instagram, Youtube und Facebook, also in sozialen Netzwerken. Sie schauen sich deren Fotos und Videos an, finden ihre Hashtags, also die Schlagworte und Themen, cool und hätten am liebsten einen ähnlichen Lifestyle wie ihre Idole. Klar, man sieht Miryam Lill an, dass sie auf ihr Auftreten achtet, sie ist sportlich-gepflegt und trägt stets modische Kleidung. Dennoch: „Als Idol habe ich mich so gar nicht gefühlt", erzählt sie. Allerdings sei ihr ohnehin klar gewesen: „Wenn ich ein Reiseziel oder eine Modemarke in die Kamera halte oder in meinen Blogs erwähne, hat das eine enorme Werbewirkung, mit der ich Geld verdienen kann." Wenn sie also auf Einladung von „Visit Spain" nach Barcelona reiste, sei ihr bewusst gewesen, dass sie das als Werbung kennzeichnen muss. „Was aber, wenn ich dabei ein Marken-T-Shirt anhabe, das ich mir selber gekauft habe – und erzähle, wo ich es erworben habe?"
Ein Problem, mit dem Miryam Lill nicht allein dasteht. Bekannte Größen der Influencer-Szene wie Cathy Hummels oder Pamela Reif mussten sich bereits deswegen vor Gericht verantworten. Beide wurden vom Berliner Verband Sozialer Wettbewerb erst abgemahnt und dann verklagt. Der Vorwurf: Schleichwerbung. Beide hätten in ihren Beiträgen auf Webseiten von Herstellern verwiesen. Im Fall von Cathy Hummels wies das Münchener Landgericht die Zivilklage gegen ihren Instagram-Kanal ab: Informierte Internetnutzer wüssten, dass Hummels mit ihrem Instagram-Profil kommerzielle Interessen verfolge. Insofern handele es sich auch nicht um unlautere Werbung.
Verunsicherung bei den Internet-Stars
Die für Laien schwer zu durchschauenden juristischen Zusammenhänge haben nicht nur Folgen für die Influencer. Abmahnungen und Klagen gegen die erfolgreichen unter ihnen sind längst zum Geschäftsmodell für große Anwaltskanzleien in ganz Deutschland geworden. Dem will die Bundesregierung nun einen Riegel vorschieben und Klarheit schaffen. „Werbebotschafter im Internet können künftig auf eine eindeutige Rechtslage hoffen", betont Gerd Billen, Staatssekretär im Justizministerium. „Dass Beiträge, die bezahlt werden, als Werbung gekennzeichnet werden, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber wenn Dinge gepostet werden, für die es keine Gegenleistung gibt, können wir Rechtssicherheit schaffen, indem nicht alles und jedes schon aus Angst vor einer Abmahnung als Werbung gekennzeichnet wird."
„Das hört sich erst mal gut an", sagt Heike Schulz (Name von der Redaktion geändert), Geschäftsführerin einer international arbeitenden Werbeagentur. „Aber eigentlich geht dieses Gesetz völlig an der Realität vorbei. Manipulation und Schleichwerbung gibt es längst nicht nur im Netz, sondern bei allen – auch den klassischen Medien – wie Radio, Fernsehen und Zeitungen. Davon redet hier niemand." Die Lage sei dramatisch. „Nehmen wir den Bereich Radio und Fernsehen. Da gibt es Agenturen, die sich seit Jahrzenten darauf spezialisiert haben, Firmen und Marken jenseits der Werbeblöcke im redaktionellen Programm zu platzieren." Das Prinzip funktioniere sehr einfach und fast immer gleich. „Im Radio werden den Sendern gut gemachte Beiträge oder interessante Interviewpartner vermittelt, zum Beispiel zu Gesundheitsthemen. Die Themen laufen immer, da sie einen hohen Servicecharakter haben." Doch hinter dem Beitrag oder dem interessanten Interview steckten häufig Pharmakonzerne, Krankenkassen oder Versicherungen. „Das gleiche gibt es beim Fernsehen. Da produzieren Flugunternehmen zum Beispiel tolle Luftaufnahmen ihrer Flotte. Die Jets fliegen dann zur besten Sendezeit in den Hauptnachrichten samt Airline-Logo durchs Bild. Man braucht ja Filme, um die Nachrichten zu bebildern."
Zurück zum Thema Influencer im Netz. Kernproblem ist hier vor allem, dass durch die Schleichwerbung vor allem Kinder und Jugendliche angesprochen werden sollen. Dafür gibt es allerdings bereits jetzt klare Spielregeln. Grundlage ist das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. In Paragraf 5a, Absatz 6, heißt es: „Unlauter handelt, wer den kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung nicht kenntlich macht, sofern sich dieser nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und das Nichtkenntlichmachen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte." „Eigentlich regelt das ja alles", sagt Heike Schulz. „Aber Werbung ist eben weit weniger sexy als authentische Information, ganz egal, ob sie von einem Reporter im Fernsehen oder einem bekannten Influencer kommt."
Information ist versteckte Werbung
Genau deshalb habe die Agentur von Heike Schulz maßgeblich zum Boom der Influencer beigetragen. „Die sind ja nur zum Teil aus sich selbst heraus gekommen. Die ganze Entwicklung ist von uns bewusst gesteuert worden." Die Agentur hätte schon vor mehr als 15 Jahren erkannt, dass sich das Internet – mit all seinen frei zugänglichen Kanälen – immer mehr in den Alltag schieben werde. „Das hat für uns auf allen Ebenen völlig neue Wege eröffnet. Und uns war klar: Wer da nicht mitmischt, hat irgendwann verloren." Es habe damals eine regelrechte Goldgräberstimmung geherrscht: „Egal, ob Seife oder Politik – wir konnten auf einmal völlig neue Markenbotschafter, eben die Influencer, für wenig Geld etablieren. Die waren froh, wenn sie überhaupt ein paar Euro verdient haben. Die Politik hat davon erst Mal überhaupt nichts mitbekommen. Schleichwerbung, obwohl es eigentlich immer welche war, war kein Thema." Mittlerweile gibt es wahre „Internet-Berühmtheiten". Dazu zählen etwa die Zwillinge Lisa und Lena (über 11,8 Millionen Follower auf Instagram), Bibi (über 4,5 Millionen Abonnenten auf Youtube), Die Lochis (über 2,4 Millionen Abonnenten auf Youtube) und Caro Daur (über 1,2 Millionen Follower auf Instagram).
Werberin Schulz und Influencerin Lill sind sich einig, das man das Thema Schleichwerbung im Netz oder in den klassischen Medien nicht politisch oder durch neue Gesetze lösen kann. Lill: „Das Problem ist ja, dass da niemand unsere Sprache spricht und oft gar keiner versteht, was sich da Neues entwickelt." Heike Schulz ergänzt: „Denen ist ja nicht mal klar, was Influencer wirklich sind. Ist eine Bloggerin nicht immer auch eine Influencerin? Ist ein Podcast nicht auch immer Werbung?"
Wie schwer sich die Politik mit dem Thema „Neue Medien" insgesamt tue, sehe man am Beispiel von Influencer Rezo. Der hatte im Netz zu einem Rundumschlag gegen die etablierten Parteien, vor allem gegen die CDU, ausgeholt. Schulz: „Mit Werbung hatte das jetzt nichts zu tun, aber da hätte man sofort reagieren müssen, viral Gesprächsbereitschaft signalisieren müssen. Da zeigt sich, dass das Establishment keine Ahnung vom Netz hat. Nix ist passiert." Und dies sei nur ein Beispiel von vielen. Miryam Lill bringt es auf den Punkt: „Wenn ich auf meinen verschiedenen Blogs nicht die Sprache von heute sprechen würde, hätte ich keine Follower und würde kein Geld verdienen."