Braunkohlegruben werden zu Badeseen, Industriedenkmäler zu Besucherattraktionen: Mit dem Lausitzer Seenland in Sachsen wächst Europas größte von Menschenhand geschaffene Wasserlandschaft heran.
Auf dem 30 Meter hohen Aussichtsturm am Sedlitzer See in der Lausitz hat man die Idylle gut im Blick. Die untergehende Sonne spiegelt sich rötlich-schimmernd auf der glatten Wasseroberfläche. Kaum ein Laut stört die Ruhe.
Noch vor 40 Jahren bot sich hier ein ganz anderes Bild: Braunkohlebagger brachen in dem Gebiet, das sich über Brandenburg und Sachsen erstreckt, den Brennstoff aus der Erde. Doch 2005 begann die Flutung des stillgelegten Tagebaus, bis 2023 soll sie abgeschlossen sein. Dann wird der Sedlitzer See der größte im Lausitzer Seenland sein – und eine zentrale Rolle für den Wassertourismus dort spielen.
Der Bergbau hat die Gegend bei Cottbus seit Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt. Im Lausitzer Revier wurden mehr als zwei Milliarden Tonnen Braunkohle aus bis zu 60 Metern Tiefe geholt. Durch die Flutung der früheren Tagebaue entsteht nun eine Urlaubsregion mit mehr als zwei Dutzend Gewässern, zehn davon über schiffbare Kanäle verbunden. Eine Art Mecklenburger Seenplatte auf sächsisch.
Noch sind nicht alle Seen vollständig geflutet und auch nicht an allen Stellen darf geschwommen werden – doch schon heute locken Uferwege zum Radfahren, Strände zum Sonnenbaden sowie Häfen und Segelschulen zum Bootfahren.
Unterwegs locken kleine Badestellen
Der älteste in der Palette der Lausitzer Wasserlandschaft ist der Senftenberger See. Bereits 1973 wurde er als Naherholungsgebiet für die Braunkohle-Bergleute eröffnet. „Das war damals ein totales Kuriosum", sagt der Reiseveranstalter Sören Hoika, der die touristische Entwicklung der Region seit Jahren intensiv begleitet. „Niemand konnte sich vorstellen, dass das funktioniert."
Doch es funktioniert: Mit dem Rad lässt sich der Muttersee bequem umrunden. Unterwegs locken kleine Badestellen, mal mit, mal ohne Sand. Der breite Strand in Großkoschen ist bei Familien mit kleinen Kindern beliebt, Buchwalde ist das Surferparadies. An der Südsee bei Niemtsch finden Naturliebhaber Ruhe und naturnahe Badestellen. Fast mediterran wirkt das Ambiente am Senftenberger Stadthafen.
Am Bärwalder See fühlt man sich fast wie an der Ostsee: Strandkörbe laden am Boxberger Ufer zum Ausruhen ein, der weitläufige Strand fällt flach ab. Im klaren Wasser toben Kinder mit Luftmatratzen. Derzeit ist der Bärwalder See Sachsens größter Binnensee, der dank guter Windverhältnisse auch bei Seglern und (Kite-)Surfern gut ankommt. Der asphaltierte Seerundweg bietet Radfahrern, Skatern, Läufern und Spaziergängern auf 21 Kilometern den besten Ausblick.
Auch Gerhard Stübner, Hafenmeister in der Marina Klitten, ist von der Region überzeugt. „Der See ist noch nicht überlaufen", sagt er. „Wenn Sie in der Woche hier sind, denken Sie, hier ist überhaupt nichts los. Und dann entdecken Sie doch überall am Ufer weiße Punkte." In den „Kuschelecken" des Sees, wie Hübner sie nennt, ist individuelles Baden möglich.
Stübner muss nun wieder ran: Ein Motorboot kommt zurück, gefahren werden darf hier ohne Führerschein. Der Hafenmeister hilft einem Großvater mit Enkel beim Anlegen. „Der Kapitän geht immer als letzter von Bord", sagt er, lacht, und reicht dem Teilzeitkapitän die Hand.
Wer lieber auf die eigene Muskelkraft setzt statt auf PS, ist bei Manuela Zahn in Großkoschen richtig. Seit dem Jahr 2004 verleiht die gebürtige Gubenerin am Senftenberger See fahrbare Untersätze aller Art: Segelboote, Kajaks, Kanadier, Tret- und Ruderboote, ein Floß für eine Nacht – und seit einiger Zeit auch Stand-up-Paddling-Bretter. Für Neueinsteiger bietet sie ein- oder zweistündige Kurse an, Gäste mit Erfahrung können zu einer Tagestour mit wasserdichter Tasche aufbrechen. „Es ist noch Luft nach oben", sagt Manuela Zahn im Hinblick auf die vergangenen 15 Jahre am See.
Das scheint auch die Devise auf dem Board zu sein. Mit schnellen Paddelstößen gleitet Manuela Zahn von der Anlegestelle weg, bis das Brett ungehindert auf dem Wasser treibt. Dann heißt es Gleichgewicht halten. Immer neue Übungen lassen das Brett erzittern und bedenklich wackeln. Es kommt, was kommen muss: Die Fahrerin verliert das Gleichgewicht und landet im Wasser. Bei schwül-warmem Wetter eine dankbare Abkühlung.
Noch mehr Sommergefühle kommen abends am Leuchtturm des Geierswalder Sees auf. Wieder ein romantischer Sonnenuntergang. Die Füße im Sand der Beachbar, im Hintergrund leise Lounge-musik. An einem der Tische sitzen zwei ältere Paare und genießen die Atmosphäre: „Wir kennen aus unserer Kindheit noch die Kumpel und den Tagebau", sagt Romana Schumacher, die heute mit ihrem Mann Heino in Bremen lebt. „Die Region ist zu einem echten Urlaubsparadies geworden."
Stundenlanges Radeln auf guten Wegen
Den Startschuss für den Neuanfang als Reiseziel gab unter anderem die Internationale Bauausstellung (IBA) im Jahr 2010, wie Sören Hoika beim Treffen in Großräschen erläutert. Der Touristiker konnte die Umbrüche direkt vor seiner Bürotür verfolgen. Vor seinem Büro in den IBA-Terrassen, als Besucherzentrum der Bauausstellung gebaut, lag bis vor wenigen Jahren noch der brache Boden des ausgekohlten Ilse-Tagebaus. Heute schlagen hier sanft die Wellen des Großräschener Sees ans Ufer. 2017 floss das erste Wasser ins neue Hafenbecken.
Das Projekt sei für die Region ein „ziemlich großer Schub", sagt Hoika. „Das Tolle ist, dass ich hier stundenlang auf gut ausgebauten Wegen radeln kann, ohne jemanden zu treffen und dann an Orte komme, an denen ich etwas erleben kann." Damit spreche die Lausitzer Seenplatte viele Familien an, die ihren Urlaub gern aktiv gestalten. Gleichzeitig sei die Vergangenheit ständig präsent.
Am Bergheider See schafft sie das besonders imposant. Dort ragt die ehemalige Förderbrücke F60 in den Himmel, ein Besuchermagnet aus Stahl. Stufe um Stufe geht es die riesige Arbeitsmaschine bis in knapp 80 Metern Höhe hinauf. Nicht umsonst ist die Brücke als „liegender Eiffelturm" der Lausitz bekannt. Doch auch vom Boden aus ist der Koloss mit 502 Metern Länge, 204 Metern Breite und einem Gewicht von mehr als 11.000 Tonnen ein Anblick, der lange nachwirkt.
Die Förderbrücke im Rücken, führt der Weg durch sandigen Untergrund ans Ufer des Bergheider Sees. Sanft wiegt sich der Strandhafer auf den Kämmen kleiner Dünen im Wind, weiße Schäfchenwolken ziehen über den blauen Himmel. Am Strand steht noch eine der bizarr zusammengezimmerten Bühnen des jährlichen „Feel-Festivals", ein viertägiges Spektakel mit Indie-Musik, Pop und Electronic sowie wogenden Menschenmassen, die unter dem Sternenhimmel tanzen. Das Kopfkino läuft, während man die Einsamkeit im Hier und Jetzt genießt.