Als er seine erste Lederhose bekam, trug Michael Thalhammer noch Windeln. Mit 18 Jahren erblühte dann das erste Tattoo auf seinem Oberarm. Und als Enddreißiger führte er beide Leidenschaften zusammen. Seitdem entstehen tätowierte Lederhosen. Glauben Sie nicht? Stimmt aber.
m Grunde ist sein Opa schuld. Der brannte diese Sprüche in Holzbrettchen. „Kaffee am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen", „Gott schütze dieses Haus" oder „Vorsicht vor dem bissigen Hund". Solche Sachen halt. Das großväterliche Handwerk kam Enkel Michael Thalhammer wieder in den Sinn, als er vor einem ungelösten Kreativ-Problem stand. Lange brachte der gelernte Sozialpädagoge als Gitarrist und Akkordeonist der bayerischen Party-Band Wuidara Pistols die Bierzelte zwischen Freising und Flachau zum Beben. Arbeitskleidung: Lederhose. „Unser Band-Logo, ein Totenkopf mit Gamsbart, habe ich mir mal auf die Lederhose sticken lassen. Das hatte nur leider zur Folge, dass die Hose an der Stelle hart wie ein Brett wurde", erzählt Thalhammer. „Das musste irgendwie bequemer gehen." Ging es. Thalhammer besorgte sich ein Brandmalgerät, wie sein Opa es einst hatte, und bastelte so lange daran herum, bis es seinen Ansprüchen genügte. Will sagen: bis er damit Lederhosen tätowieren konnte. Bei 1.000 Grad in sämisch gegerbtes Leder von Hirschen, die zuvor durch die heimatlichen Gefilde streiften und deren Haut Thalhammer mit ausgekochten Hölzern färbt.
Weil das Ergebnis seiner Bastelarbeit erfolgversprechend wirkte, legte sich der heute 42-Jährige einen coolen Internet-Auftritt zu und einen eigenen Laden in Sauerlach, einer 8.000-Einwohner-Gemeinde mit S-Bahn-Anbindung nach München. Nah genug an Glockenbachviertel, Schwabing und Co., damit die Großstadt-Hipster den Weg zu ihm finden.
Seit März 2015 lassen sie sich röhrende Hirsche, Hopfendolden, Löwenköpfe oder den Münchener im Himmel ins Leder brennen. „Ich hatte auch schon einen Arzt, der den Äskulapstab wollte, einen Landwirt mit seinem Lieblings-Traktor und einen Vater, der uns Bilder seiner Kinder als Vorlage gab", verrät Thalhammer. Für Wacken-Gründer Holger Hübner brannte er gar das Festival-Logo ins linke Hosenbein. Links, weil rechts traditionell die Messertasche sitzt.
Lederhosen für Freigeister und Individualisten
Traditionell – ein Wort, mit dem der Mann mit den tätowierten Gliedmaßen, den Silberkettchen, Holzkugel-Armbändern und dem rotbraunen Vollbart so seine Probleme hat. Zumindest dann, wenn Tradition bemüht wird, um Kleingeist und Rückwärtsgewandtheit zu kaschieren. „Ich mache echte bayerische Lederhosen ohne Scheuklappen – modern und individuell", betont Thalhammer, der als selbst ernannter Mode-Rebell ausgezogen ist, seine Heimat wieder ein Stückchen bunter zu machen.
Dazu passt auch der Name seines Labels, der auf zwei berühmte bayerische Freigeister zurückgeht: „Brandner und Kneißl". Für die „Preußen" unter den Lesern: Der Brandner Kaspar, eine jenseits des Weißwurstäquators äußerst bekannte literarische Gestalt, springt dem Tod mit List und Kirschgeist von der Schippe, während der Kneißl Mathias Räuberhauptmann war und als Robin Hood der Voralpen gilt – von Thalhammer hätte er sich wahrscheinlich sein Arbeitswerkzeug, ein paar Pistolen, in die hellbraune Hirschlederne brennen lassen.
Apropos brennen: Um den genauen Herstellungsprozess macht Thalhammer ein großes Geheimnis. Zu viele versuchen bereits, ihn zu kopieren – mehr schlecht als recht. Deshalb lässt er sich seine Methode gerade patentieren. „Wir entwerfen eine Vorlage, die wie beim Tätowieren gepaust wird. Mehr sag’ ich dazu nicht!", erklärt er bestimmt, verschränkt die Arme über der Brust und wacht mit Argusaugen darüber, dass niemand Unbefugtes den hinteren Teil seines Ladenlokals betritt. Zu dem haben nur er selbst, seine Tätowiererin Marion und Mama Bärbel sowie Papa Michael Zugang. Letzterer kümmert sich um die Webseite, hütet zuweilen Kasse und Laden und trägt stolz einen gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart, aber keine Lederhose des Sohnes. „Ist das nicht peinlich?", fragt Michi Thalhammer mit gespielt schmerzverzerrtem Gesicht.
Von Bayern nach Hawaii
Die „mangelnde" väterliche Unterstützung kann er gut wegstecken. Mittlerweile hat Thalhammer Kunden aus der ganzen Republik. Seine Lederhosen werden auf der Hamburger Reeperbahn getragen, auf dem Berliner Ku’damm, der Düsseldorfer Kö und auf der Münchener Theresienwiese sowieso. Kürzlich schickte ihm ein Kunde ein Bild von sich und seiner „Brandner und Kneißl" auf der Zugspitze – womit die Wandertauglichkeit auch bewiesen wäre. Ein anderer ließ sich mit hawaiianischen Hula-Schönheiten auf Maui ablichten. Während die Damen kurze Röcke und Blumenkränze trugen, zeigte das Mannsbild kernige Waden in graphitfarbener Lederhose mit Wellen-Branding.
Thalhammer geht bei dem Anblick das Herz so richtig auf, schließlich ist der bayerische Querdenker bekennender Surfer. Darum hat er auch seine Boardshorts als Vorlage genommen, um den richtigen Schnitt für die „Brandner und Kneißls" hinzubekommen: Die rutschen nämlich lässig tief auf die Hüften und sitzen nicht spießig-altbacken in der Taille.
Neuerdings liefert er auch die passende Oberbekleidung zur Krachledernen. Unter dem Label „Aloha Bavaria" vertreibt er T-Shirts, Hoodies, Taschen, Caps und Gürtel im Surf-Style. Thalhammer wäre aber nicht Thalhammer, wenn er damit nicht auch ein politisches Statement verbinden würde. „Aloha heißt für mich Leben ohne Ausgrenzung, Berge und Wasser ohne Besitzanspruch, Traditionen ohne Engstirnigkeit", erklärt er und kann sich einen kleinen Seitenhieb auf die Seehofer-/Söder-Fraktion nicht verkneifen: „Jeder soll das Recht haben, hier sein Leben zu genießen." Freiheitlich, lässig und modern.
Ein Traum bleibt Thalhammer noch. Irgendwann will er einen Laden in Kalifornien eröffnen. Hirschlederne, Surf-Shirts, Chucks und bayerisches Lebensgefühl für die Jungs von der amerikanischen West Coast. Wahrscheinlich wird ihm auch das noch gelingen.
Die hochwertigen Lederhosen von Michael Thalhammer kosten pur 1.200 Euro. Wer ein individuelles Branding dazu wählt, muss noch mal 250 bis 350 Euro draufschlagen. Seit einiger Zeit führt er auch Lederhosen für Frauen. Weitere Infos: www.brandner-kneissl.bayern.