Im südlichen Afrika ist eines der größten Naturschutzgebiete der Welt entstanden. Die grenzübergreifende Zone soll als Ziel für Touristen vermarktet werden, was sowohl der Bewahrung des Ökosystems als auch den Menschen zugutekommt.
Im angenehm temperierten Pool treten wir Wasser, kleine Fische stupsen sanft an unsere Waden – es könnte ganz idyllisch sein. Der Puls rast trotzdem, denn wir stecken nicht in irgendeinem Pool. Wenige Zentimeter Abbruchkante trennen uns vom sicheren Tod beim Bad im „Devils Pool" – dem wohl gefährlichsten Pool der Welt an den Victoriafällen in Sambia. Eine Armlänge entfernt tosen Tausende Kubikmeter Wasser pro Sekunde 110 Meter in die Tiefe. Eine unachtsame Bewegung und die Strömung wäre gnadenlos. Das blenden wir aus für den Moment und lassen die atemberaubende Aussicht auf uns wirken.
Eine Fläche von 520.000 Quadratkilometern
So oder so ähnlich könnte eine Reise am „Hub" Victoria Falls in eines der schönsten und vielseitigsten Gebiete des südlichen Afrikas beginnen. Das Weltnaturerbe ist nicht nur eine wichtige Tourismusdestination für die Länder Sambia und Simbabwe. Es ist Bestandteil einer länderübergreifenden Strategie und liegt im größten zusammenhängenden Naturschutzgebiet des südlichen Afrikas: der Kavango-Zambezi Transfrontier Conservation Area (KAZA TFCA). Das grenzübergreifende Schutzgebiet erstreckt sich auf einer Fläche von 520.000 Quadratkilometern und ist damit größer als Spanien. Es beherbergt etwa 2,7 Millionen Menschen. Die Länder Angola, Botswana, Namibia, Sambia und Simbabwe unterzeichneten 2011 ein Abkommen zum Schutz ihrer natürlichen Ressourcen in diesem Gebiet. Es bildet die Grundlage für die Zusammenarbeit und setzt neben dem Schutz der meist über Grenzen hinweg zusammenhängenden Ökosysteme auf weitere Säulen: die Harmonisierung der jeweiligen Gesetzgebung und Infrastrukturmaßnahmen in den beteiligten Ländern sowie nachhaltige Entwicklung für die Bevölkerung in diesen Gebieten. Damit letztere einen großen Schritt vorankommen kann, soll die KAZA TFCA weltweit als touristische Destination vermarktet werden. Vom Ausbau des Tourismus und steigenden Besucherzahlen versprechen sich die Beteiligten wachsende Einnahmen und Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung, was letztendlich zu einem zunehmenden Verständnis für Naturschutz und zum Erhalt natürlicher Ressourcen führen soll. Die Hoffnung: Wenn die Bevölkerung nicht nur bei den Kosten mit im Boot ist, sondern auch profitiert, kann Naturschutz gelingen. Schließlich trägt gerade die lokale Bevölkerung einen großen Anteil der Lasten, die beispielsweise durch Mensch-Wildtier-Konflikte entstehen können. Das klingt alles in allem nach einem komplizierten Ansatz, doch Dr. Nyambe Nyambe, Direktor des KAZA-Sekretariats in Kasane (Botswana) versichert: „KAZA ist nicht kompliziert, es ist komplex." Mit der Komplexität hat er auf jeden Fall Recht, denn neben entsprechenden Behörden der fünf Länder sind an dem Großprojekt zahlreiche Organisationen und Geldgeber beteiligt. Allein von der Bundesregierung flossen bereits über 35 Millionen Euro in das Programm.
Auch Deutschland unterstützt das Schutzgebiet
Bekannt ist seit Jahren, dass der Druck auf natürliche Flächen durch das Bevölkerungswachstum weiter wächst, Rückzugsmöglichkeiten für Wildtiere schwinden. Als Folge davon geht die Artenvielfalt zurück. Deshalb ist der TFCA-Ansatz interessant. Er setzt auf Zonen mit unterschiedlich gestaffelter Nutzungsweise und -intensität: von strengstem Schutz in Nationalparks, die kaum oder gar keine menschliche Nutzung natürlicher Ressourcen erlauben, über private Wildreservate, Waldschutzgebiete, Gemeindeland und Dörfer, Gebiete für touristische Nutzung und landwirtschaftliche Nutzflächen. Mit geschützten Stätten für touristische Nutzung ist die KAZA-Region reich gesegnet. In ihrem Einzugsgebiet liegen zwei weitere Weltkulturerbestätten in Botswana – Tsodilo Hills, eine archäologisch bedeutsame Stätte mit uralten Felsmalereien und das Okavangodelta – sowie 36 Nationalparks, darunter Chobe, Hwange, Kafue, und die Makgadikgadi Pans. Die vor dem Abkommen wie Naturschutz-inseln verstreut gelegenen Schutzgebiete können durch den grenzübergreifenden Schutz ganzer Ökosysteme wieder miteinander verbunden werden. Das hilft den Tieren, sich über jahrhundertealte Korridore in andere Gebiete zu bewegen. Etwa 29 Prozent der KAZA-Landflächen sind nicht für Wildtiere geschützt. Dort lebt die Mehrheit der Menschen. Aber eben nicht alle. Durch die wachsende Bevölkerung nimmt auch der Druck auf die geschützten Gebiete zu. Wenn Nutzflächen in die Schutzgebiete wachsen, nehmen auch die Nutzungskonflikte zu. An dieser Stelle soll der integrierte Naturschutz helfen, dass Mensch und Tier trotz unterschiedlicher Interessen miteinander leben können.
Über eine haarsträubende Sandpiste rumpeln wir im Allradfahrzeug von Kongola in Namibia in den Luengue Luiana Nationalpark in Angola. Hier soll der TFCA-Ansatz im Südosten des Landes möglichst schnell Erfolge bringen, damit das Gebiet wirtschaftlich den Anschluss an die Nachbarländer findet. Die Folgen des 27 Jahre währenden Bürgerkriegs sind gerade im KAZA-Gebiet noch deutlich zu sehen – auf der Piste kommen wir immer wieder an still vor sich hin rostenden Militärwracks vorbei. Das Gebiet gilt zwar als entmint,, und die entsprechenden Zeichen sind an den Bäumen auch immer wieder zu sehen –, doch ein gewisses Restrisiko hängt dennoch in der Luft. Durch die Folgen des Kriegs kommt die Wirtschaft in der ländlichen Region nicht in Schwung, die Bevölkerung ist arm. Lange Zeit war Wilderei ein Problem. Für Safari-Tourismus bedarf es aber einer gesunden Wildpopulation. Die Wildbestände erholen sich langsam wieder, versichert uns Rui Lisboa vom Ministry of Hotels and Tourism, nicht zuletzt auch dank der wieder etablierten Parkranger. Paul Funston, Direktor der Nichtregierungsorganisation (NRO) Panthera, denkt über die Wiederansiedlung von Löwinnen nach, um so eine neue Population zu etablieren. Derzeit leben im gesamten Gebiet des Nationalparks zwei männliche Tiere. Während unseres Besuchs entdeckten wir die Spur eines Neuankömmlings. Nur ein kleiner Grund zur Hoffnung, denn um wirklich eine gesunde Population aufzubauen, bedarf es weiblicher Tiere, die aber wahrscheinlich – so Funston – nicht von alleine in das Gebiet einwandern werden. „Ich möchte nachts wieder Löwen hier brüllen hören", sagt er. Das Brüllen zeige an, dass sie ihr Territorium gegen andere Rudel verteidigen. Dazu muss die Population aber groß genug sein. Hört man keine Löwen brüllen, sind entweder keine da oder es besteht kein Grund für sie, ihr Territorium zu markieren. Doch selbst wenn die Population stabil wäre, müsse man mit Widerstand aus der Bevölkerung rechnen. Ähnlich wie das Thema Wölfe in Deutschland ist die Ansiedlung von Löwen ein höchst emotionales Thema. Da das Gebiet lange Zeit fast frei von Löwen war, müssen sich die Menschen erst wieder an ihre Anwesenheit gewöhnen und entsprechende Maßnahmen zu ihrem und dem Schutz von Nutztieren etablieren.
Die wachsende Bevölkerung ist ein Problem
Die Nachbarschaft zu Löwen ist nicht die einzige Quelle für Konflikte. Damit das Zusammenleben von Mensch und Tier möglichst konfliktfrei funktionieren kann, propagieren NROs wie die Associação de Conservação do Ambiente e Desenvolvimento Integrado Rural (ACADIR) im Umland von Jamba, dem ehemaligen Hauptquartier der einstigen Rebellenorganisation UNITA, „Conservation Agriculture" oder umweltverträgliche Landwirtschaft. Jamba heißt in Umbundu, der lokalen Sprache, Elefant und bezieht sich auf den früheren Elefantenreichtum in der Region. Trockener Elefantendung zeigt an, dass diese kürzlich in der Nähe waren. Die Riesen kehren langsam wieder zurück. Für die Naturschützer ist das erfreulich, für die Landwirte ein Grund zur Sorge, denn über Nacht können die Dickhäuter ganze Ernten vernichten.
ACADIR unterstützt die Menschen dabei, ihre Felder zu schützen. Abstand zu traditionellen Wanderrouten ist ein erster effektiver Schritt. Zusätzlich nutzen sie geschickt ein paar Schwachstellen der sonst so unbezwingbar wirkenden Tiere. Chili Bombs sind dabei sehr effektiv. Sie bestehen aus Elefantendung vermengt mit Chilis. Angezündet entwickelt das Gemisch Rauch, sein Geruch verjagt die Tiere. An Zäune gehängte Bienenstöcke haben einen ähnlichen Effekt. Berührt ein Elefant den Zaun, fängt der Stock an zu schwingen, und der Schwarm schreckt auf. Das Summen schlägt die Elefanten in die Flucht. Gleichzeitig lernen die Bauern, wie sie ihre Felder umweltschonend bewirtschaften. Sie erhalten die Bodenfruchtbarkeit, nutzen Fruchtfolgen und bauen auf Sorten, die sich gegenseitig unterstützen. Sie setzen auf Bio und kommen ohne Umweltgifte aus. Die Ernte ist nicht nur für die lokalen Märkte gedacht, sondern auch für Hotels und Lodges. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg in Angolas KAZA-Region.
Bienenstöcke gegen elefanten
Anders als die anderen beteiligten KAZA-Länder tut sie sich noch schwer, obwohl gerade der Nationalpark mit seiner ursprünglichen, wilden und bezaubernden Landschaft bereits interessierte Investoren hätte. Doch aus verschiedenen Gründen wird die Region in unmittelbarer Zukunft noch ein Paradies für enthusiastische und abenteuerbereite Selbstfahrer bleiben. Bis der Mainstreamtourismus bedient werden kann, müssen noch einige Hürden fallen. Die Grenzübergänge sind noch nicht voll funktionsfähig. Es gibt noch kein Mobilfunknetz auf angolanischer Seite, und selbst mit Allradfahrzeug können sich die sandigen Fahrrillen quälend lange hinziehen. Die einzige Lodge befand sich Ende 2018 noch im Aufbau. Sanitäre Anlagen fürs Camping gibt es noch nicht. An sich ein traumhafter Zustand – Wildnis pur und noch nicht von Touristen überlaufen. Doch gerade für die Bevölkerung ist es wichtig, ihren Lebensunterhalt zu sichern – und zwar nicht durch illegale Aktivitäten sondern am besten durch Einkommen. Dazu könnte ein gut florierender und trotzdem nachhaltiger Tourismus sicherlich beitragen.
Touristen finden Wildnis pur
Am Ende unserer Reise durch die KAZA-Region stehen wir – reich an neuen Eindrücken – noch einmal an den Victoriafällen. Dieses Mal beobachten wir die in die Tiefe tosenden Wassergewalten vom sicheren Boden auf simbabwischer Seite. Wir schauen zu, wie andere Wagemutige ihr Bad vorm Abgrund im Devil’s Pool nehmen und halten die Daumen, dass auch für sie das Abenteuer gut ausgeht.
Diese Pressereise fand mit freundlicher Unterstützung des KAZA-Sekretariats, Boundless Southern Africa, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GiZ) GmbH, South African Airways und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) statt.