Schnelle Flitzer erobern die Städte. Aber sind die dafür geeignet und darauf vorbereitet? Stadtplaner Heiner Monheim weiß, warum deutsche Kommunen mit der Verkehrswende Probleme haben, während andere Länder uns um Jahre voraus sind.
Herr Monheim, zurzeit ist der E-Scooter ein großes Gesprächsthema in unserer Gesellschaft. Da stellt sich die Frage, ob E-Scooter und andere Formen der Mikromobilität derzeit ein Hype sind oder eine langfristige Veränderung der Verkehrsgewohnheiten darstellen.
Zurzeit sind E-Scooter zwar in aller Munde, man hat es aber in den meisten deutschen Städten schwer, einen zu bekommen. Es gibt ein paar große Zentren, mit Stückzahlen von etwa 600 bis 1.000 Scootern, und die Medien sind voll davon, aber in den meisten deutschen Städten gibt es keine, und viele Fahrradhändler haben sie nicht. Also hat das zurzeit ein bisschen was von einer Blase, deren Relevanz aktuell noch unklar ist. Fakt ist, dass diese ganz überwiegend von jungen Leuten benutzt werden und sicherlich in hohem Maße für den Spaßfaktor, also nicht als Ersatz für ein anderes Verkehrsmittel. Von der verkehrspolitischen Bedeutung würde ich es deutlich unterscheiden von den Leihfahrrad-Systemen, die es zwar auch noch nicht überall in Deutschland gibt, aber in sehr viel mehr Städten. Diese haben eine wirklich beachtliche verkehrspolitische Bedeutung und werden oft auch bewusst an Haltestellen positioniert, sofern sie stationsgebunden sind. Auch in der Benutzung gibt es einen Unterschied, da diese viel mehr von einem normalen Durchschnittspublikum benutzt werden, nicht nur von den Jungen.
Wenn es da also eine gewisse Veränderung gibt, welche Städte sind denn gut auf die Verkehrsbedürfnisse der Zukunft vorbereitet?
Eigentlich keine. Wenn man sich anschaut, wie mit den E-Scootern umgegangen wird, dann gibt es da eine gewisse Hilflosigkeit bei den Rahmenbedingungen. Schon bei der Frage, wo diese abgestellt werden sollen. Die Kommunen, die wenigen, die überhaupt solche Roller haben, sind da mehr oder weniger überrascht worden, und die E-Roller stehen halt jetzt irgendwo herum und sind ein Ärgernis für Fußgänger. Die abgestellten E-Roller sind ja auch nur bedingt stabil und kippen sehr leicht um, weil sie nur einen winzigen Ständer haben. Ich würde sagen, im Moment gibt es keine wirklichen Planungskonzepte, wie man das angehen sollte. Es gibt Ideen, wie man das Problem angehen könnte, also beispielsweise Standplätze mit den Haltestellen des ÖPNVs zu verbinden und durch das Ausweisen eigener Abstellbereiche. Aber davon ist im Moment nicht viel in Sicht.
Die Frage ist ja auch, ob diese Veränderungen in Richtung Mikromobilität in einem Autoland, wie Deutschland, überhaupt gewollt sind?
Ja, natürlich. Wenn man Leihfahrräder als Teil der Mikromobilität betrachtet, dann hat es, mit regionalen Schwerpunkten, durchaus verkehrspolitische Konzepte gegeben. Im internationalen Vergleich muss man sagen, dass Deutschland da sicherlich nicht führend, sondern eher im Mittel- oder im Schlussfeld ist. Andere Länder haben in ganz anderen Dimensionen Leihroller im Umlauf, führend sind da China und Frankreich mit großen Systemen, die im Bereich von mehreren Zehntausend E-Scootern liegen. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied. Man kann sich vorstellen, dass es ein Problem ist, wenn es bei uns immer nur um die 1.000 Roller sind, mit denen wir ja nie Hunderttausende von Autofahrern erreichen können. Mit 1.000 Rollern erreicht man ein sehr begrenztes Publikum, was auf diese Angebote konditioniert ist. Von daher sind wir da Entwicklungsland.
Das schließt ja direkt an die Frage an, was denn Kommunen machen könnten, um kurz- oder mittelfristig einen gefahrlosen Verkehr zu gewährleisten.
Bei den E-Scootern stellt sich da zunächst die Frage, wie sie benutzt werden dürfen. Da hat der Gesetzgeber, nach langem Zögern, die Entscheidung gefällt, dass sie als Fahrzeuge zu klassifizieren sind und deshalb auf Fahrbahnen beziehungsweise Radwege gehören, wie das bei Fahrrädern der Fall ist.
Wenn die E-Roller den Fahrrädern gleichgestellt sind, dann haben wir das Problem, dass es auf den Radwegen noch enger wird. Viele Städte haben auch fast keine Radwege und wenn, dann nur relativ schmal markierte Schutzstreifen, da wird es zusätzliche Konflikte geben. Das mit den Unfällen empfinde ich als überdramatisiert im Augenblick: Wenn die täglichen Unfälle mit Autos genauso viel Aufmerksamkeit erregen würden, dann kämen die Zeitungen überhaupt nicht mehr dazu, etwas anderes zu schreiben. Da stürzt man sich zurzeit mit einer gewissen medialen Fokussierung auf die ersten schwereren Unfälle. Logisch, wenn man damit umfällt, dann kann das zu Arm- oder Beinbrüchen führen, oder, im schlimmsten Fall, wenn sie mit dem Kopf auf den Boden aufschlagen, eine schwere Verletzung nach sich ziehen. Aber im Grunde ist das vergleichbar mit den Sicherheitsrisiken, die der Radverkehr hat.
Was Städte selber realisieren können? Es gibt Städte, die bei den Leihfahrrädern sehr offensiv vorgegangen sind. Die erste, die das gemacht hat, ist Mainz mit dem Mainrad, mit einem eigens vom Verkehrsbetrieb entwickelten System, was München später kopiert hat. Ein Teil des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg und Rhein-Ruhr haben kommunale und interkommunale Leihfahrradsysteme eingeführt. Die Anzahl der Räder ist verkehrspolitisch zwar eher marginal, wenn man es mit der Zahl der Autos vergleicht. Aber immerhin, es gibt Städte, die sich da Gedanken gemacht haben.
Sind solche Initiativen für einzelne Kommunen nicht mit sehr hohen Kosten verbunden? Sollte das nicht eigentlich etwas sein, wobei Bund und Länder die Kommunen in größerem Maß finanziell unterstützen?
Also grundsätzlich: Ja. Wenn man einfach mal vergleicht, was eine durchschnittliche niederländische Kommune, eine Provinz, das entspricht einem unserer Bundesländer, und der niederländische Staat insgesamt dafür ausgeben, dann ist das um den Faktor zehn- bis 30-mal mehr als bei uns. Der Radverkehr hat dort eine hohe Priorität, und die Lösungen sind darüber hinaus sehr viel mutiger, weil auch die Autolobby in den Niederlanden oder in Dänemark einsieht, dass Fahrräder Platz brauchen, und kein großes Aufhebens darum macht, wenn eine Fahrspur verengt wird oder einer vierspurigen Straße eine Spur genommen wird. Vergleichbares wird bei uns immer als Angriff auf verbriefte Autorechte gesehen; die ganze Diskussion um Fahrradwege wird sehr ideologisch geführt und nicht nüchtern und rational.
Die Kosten sind bei dem, was derzeit im Radverkehr gemacht wird, gerade bei den Markierungen für Radwege, kein zentraler Faktor. Diese sind eine sehr kostengünstige Lösung. Wir haben davon nicht so wenig, weil es zu teuer ist, sondern weil den Kommunen der Mut oder die fachliche Kenntnis fehlt, was eigentlich alles möglich ist. Ein Element, was seit 20 Jahren Teil der Straßenverkehrsordnung ist, aber so gut wie nicht von den Kommunen genutzt wird, ist die Fahrradstraße. Da müssten wir Hunderttausende in Deutschland haben, aber die Kommunen wissen mit dem Instrument einfach nicht sinnvoll umzugehen. Hier und da entsteht eine Fahrradstraße als Alibi, aber nie ein System. Das ist in den Niederlanden und in Dänemark völlig anders, in aller Regel wird dort systematisch ausgebaut. Das hat dementsprechend auch viel mehr Erfolg, was die Akzeptanz der Verkehrsteilnehmer angeht.