Open Air und mitten im Kiez – in Charlottenburg etabliert sich eine neue Spielstätte: das Globe Theater Berlin. Noch geben sie nur den „Prolog". Richtig losgehen wird es erst 2020.
Muss ein Shakespeare-Theater rund sein? Nicht unbedingt, würde Christian Leonard wahrscheinlich antworten, aber es wäre halt viel besser so. Leonard ist Schauspieler, Regisseur, Gründer der Shakespeare Company Berlin – und durchdrungen von dem Wunsch, in Charlottenburg ein neues Globe Theater nach Londoner Vorbild zu errichten. Also ein Rundbau mit einer Bühne in der Mitte, die direkt an die steil ansteigenden Zuschauerplätze grenzt und das Volk mit den Schauspielern verbindet. Stadttheater haben im Gegensatz dazu „Guckkastenbühnen": vorne die beleuchtete Spielfläche, im abgedunkelten Saal das zahlende Publikum, schön getrennt, jeder Bereich für sich.
Shakespeare kannte nur den runden Raum mit der Spielstätte in der Mitte – und genau dafür sind, so Leonard, seine Stücke gemacht. Spielfreudige Spektakel, nie ohne komödiantischen Witz, auch wenn es mal tragisch wird, zeitlos, bewegend, aus dem Leben gegriffen. Nicht umsonst ist Shakespeare der meistgespielte Autor auf deutschen Bühnen. „Seine Themen – Liebe, Macht, Verrat – und seine Figuren: die haben eine so große Bandbreite, dass sie Jung und Alt, unerfahrene und Kenner zum Zuschauen verführen", sagt der Regisseur.
Kein Wunder, dass Leonard zugriff, als in Schwäbisch-Hall ein Theater in der Tradition des Globes frei wurde. Als man dort beschloss, ein neues, festes Haus zu bauen, eröffnete sich die einmalige Chance, den bis dahin bestehenden Holztheater-Bau mit einer Kapazität von 600 Plätzen zu übernehmen. Leonard erwarb das Theater, finanzierte den Abriss und den Transport nach Berlin auf eigenes Risiko und begann, seine Vision in die Tat umzusetzen. Das Haller Globe wurde in Modulbauweise von zwölf Architekten geplant und gebaut. Abriss und Neuaufbau sind deswegen relativ einfach zu bewerkstelligen.
Die Anwohner im Kiez haben sie adoptiert
„Noch sind nicht alle Teile hier", sagt er. „Es fehlen auch noch der Bebauungsplan und die Baugenehmigung." Aber da ist er optimistisch: In der für Kultur zuständigen Charlottenburger Bezirksstadträtin Heike Schmitt-Schmelz hat er eine starke Verbündete, Monika Grütters, die Staatsministerin für Kultur, und Kultursenator Klaus Lederer befürworten sein Projekt. Im Charlottenburger Österreich-Park steht erst mal nur ein roh gezimmertes halbrundes Theater mit sechs aufsteigenden Reihen roter Plastikschalensitze, wie man sie aus Fußballstadien kennt. Ein Bauwagen, ein Toilettenhäuschen, ein Getränkekiosk mit ein paar Tischen und ein Kassenhäuschen gruppieren sich um das Theater herum. Auf dem Sportplatz daneben wird trainiert. Im Hintergrund erheben sich einige Bäume. „Hier im Mierendorfkiez ein Theater aufzubauen", sagt Leonard, „das stieß auf größtes Interesse der Anwohner. Sie kamen nicht nur gucken, sie halfen mit, den Platz hier zu säubern, Unkraut zu jäten und tranken auch mal ein Bier mit uns. Die Leute haben uns adoptiert." Noch gibt es kein Dach für das Theater, man sitzt im Freien und ist froh, dass es Wolldecken gibt, wenn die Vorstellung um 21 Uhr in die Pause geht.
Provisorisch bleibt es auch noch in diesem Jahr. Deswegen nennen sie diese Spielzeit auch „Prolog". Ab Juni 2020 rechnet Leonard damit, dass alle Bauteile da sind und das Globe als geschlossenes kreisrundes Theater aufgebaut ist. „Dank der Modulbauweise schätzen wir, dass wir das in drei Monaten hinbekommen." Dann sind auch die zugesagten Lottomittel fällig, die den Geldbeutel des Regisseurs entlasten können.
An diesem lauen Abend im August steht „Romeo und Julia" auf dem Programm. Statt einer Theaterklingel rufen drei Gitarristen auf der Treppe am Eingang mit englischen Liedern zum Spiel. Drinnen eine fast leere Bühne, ein Holzkasten ist mal Bett, mal Barriere. Lautes Gepolter auf den Holzstufen im Zuschauerbereich, Rufen, Lachen. Montagues und Capulets, die verfeindeten Familien, liefern sich mit langen Stangen hitzige Gefechte. Das Spiel beginnt.
Leben in Echtzeit ohne vor- oder zurückspulen
Die acht Schauspieler sind durchweg jung, jeder spielt mehrere Rollen. Mercutio, Balthasar und Romeo führen sich anfangs auf wie verliebte Teenager mit viel Testosteron im Blut. Ihre Sprache ist durchweg gegenwartsnah, kein Slang, aber zwischendurch fällt auch mal ein Wort wie „Warmduscher" oder „Mit-Socken-Schläfer". Auch was den Austausch körperlicher Säfte angeht, wird durchaus Tacheles geredet. Das kommt daher, dass Christian Leonard alle Texte der 36 Shakespeare-Stücke neu für die Bühne übersetzt hat. „Mit der Sprache von Schlegel/Tieck, die vor 200 Jahren Shakespeare eingedeutscht haben, gewinnen Sie heute kein Publikum mehr, schon gar kein junges", sagt er. Er wollte verständliche Texte, treffende und auch mal humorvolle Formulierungen – und keine verschämten Floskeln. „Tieck hat ganze Passagen von Shakespeare nicht übersetzt und einfach weggelassen, weil sie ihm zu anstößig waren", sagt Leonard.
Das Spiel nimmt seinen Lauf, wird nach der Pause ruhiger, die großen Monologe von Julia und dann von Romeo kommen eindringlich herüber, und unerbittlich treibt das tragische Schicksal die beiden Liebenden in den Tod. Obwohl es jeder längst zu kennen glaubt, bleibt es doch immer rätselhaft, weshalb die Menschen sich verhalten, als hätten sie keine Wahl. Leben und lieben in Echtzeit, leibhaftig und wirklichkeitsnah – das will der Regisseur seinem Publikum zeigen. Christian Leonard: „Stellvertretend für viele oder symbolisch für einzelne spielt sich ein Drama vor unseren Augen ab, und wir können nicht vorspulen oder zurückblenden, wir müssen, dürfen, können und sollen das aushalten, was uns das Schauspiel spiegelt." Und gibt es das Drama heute nicht mehr? Zwei Liebende aus zwei verfeindeten Familien, ein junger Mann, der ein muslimisches Mädchen heiraten möchte, ein Vater, der seiner Tochter vorschreibt, wen sie heiraten muss?
Das Ensemble verbeugt sich, Mercutio kündigt an, dass dasselbe Stück am nächsten Abend in englischer Sprache aufgeführt wird, und Lady Capulet verweist auf den Spielplan, der noch bis Mitte September ausgefüllt ist. Neben „Romeo und Julia" stehen noch „Nach dem Kuss" von Oliver Bukowski und „Phaidon", ein Gastspiel aus Wien, auf dem Programm. Christian Leonard setzt auf ein festes Ensemble aus 16 Akteuren, die er aus rund 100 Bewerbern ausgewählt hat. Bedingung: Sie müssen singen, ein Instrument spielen und gut Englisch können. Sie werden auch im nächsten Jahr auf der Bühne stehen, wenn das „Globe Berlin" fertig ist. Eröffnen will Leonard die Spielzeit mit „Ende gut – alles gut", ein Stück, das so viel mit Liebe und Tod spielt, dass es als dunkle Komödie gilt. Typisch Shakespeare also.