Berührende Szenen, schlüpfrige Anspielungen gepaart mit einer ehrlichen, schauspielerischen Glanzleistung. Das Musical-Drama „End of the Rainbow" zeichnet die letzten Monate im Leben des einstigen Kinderstars Judy Garland nach. Das Publikum im Zeltpalast Merzig feierte die Premiere mit Standing Ovations.
Was Amy Winehouse für die heutige Jugend ist, Kurt Corbain für die heute 40-Jährigen und Jimi Hendrix für die 60-Jährigen, das ist Judy Garland für die mittlerweile 70- bis 80-Jährigen: Ein Star der Extraklasse. Eine Projektion für Erfolg, Ruhm, Reichtum. Und ein gefallener Engel. Eine schutzbedürftige, verlorene Seele.
Denn wie auch Amy Winehouse, Kurt Corbain oder Jimi Hendrix, so war auch Judy Garland dem Glamour und dem Rummel um ihre Person nicht gewachsen.
Auf nie gekannte Erfolge folgten Abstürze in Alkohol, Drogen, Depressionen und am Ende der hoffnungsvoll gestarteten Karrieren stand der allzu frühe Tod. Oft Selbstmord, vielleicht auch nur ein ungewollt tödlicher Mix aus Schlaftabletten, Aufputsch- und Schmerzmitteln.
Was über diese menschlichen Tragödien schon in Zeitungen, Fernsehen und neuerdings sozialen Medien vielfach ausgetreten wurde, lässt nur erahnen, welch schmerzliche Gefühlstiefen die zerstörten Seelen durchlebt haben.
Selbst hautnah mitzufühlen, sozusagen unmittelbar als Zaungast einzutauchen in diese Krisensituation, das ermöglicht das Musical „End of the Rainbow", das vor etwa einer Woche im Merziger Zeltpalast furios Premiere feierte. Am Beispiel von Judy Garland thematisiert das 2005 in Sydney uraufgeführte Stück das harte, mitleidslose Leben im amerikanischen Jetset.
Die amerikanische Sängerin und Schauspielerin Judy Garland ist vielen als Dorothy in „Der Zauberer von Oz" bekannt. Eine Rolle, die sie mit 16 Jahren schlagartig weltberühmt machte. Vor allem ihren Song „Over the Rainbow" können viele wohl bis heute problemlos mitsummen. In den 30er- und 40er-Jahren war sie einer der größten Hollywoodstars der Filmgeschichte. Als Sängerin füllte sie weltweit in den 50er- und 60er-Jahren zahlreiche Konzerthallen. Sie sang mit Dean Martin und Frank Sinatra. Ihr Privatleben war turbulent und von vielen Enttäuschungen geprägt. Sie heiratete insgesamt fünfmal.
Das intensive Spiel reißt alle mit
Das Musical-Drama zeichnet die letzten Monate im Leben des einstigen Kinderstars nach. Der Autor Peter Quilter mischte hierbei die selbstzerstörerischen und zugleich anrührenden Seiten ihres Privatlebens mit ihren weltberühmten Songs zu einem packenden Musik-Schauspiel.
Musik- und Theatermacher Joachim Arnold brachte das Stück nun ins Saarland. Der mittlerweile international gefragte Regisseur Andreas Gergen – ein Multitalent mit saarländischen Wurzeln –
inszenierte das Stück mit grandiosen Schauspielern und Sängern, mit einer fulminanten Sechs-Mann-Kapelle und einem hintersinnigen Bühnenbild.
Leichtfüßig schlüpfte die griechische Schauspielerin und ausgebildete Musicalsängerin Vasiliki Roussi in die Rolle der aufgedrehten Judy, die sich euphorisch freut, wieder vor großem Publikum zu singen, und im nächsten Moment flehentlich um einen Schluck Whiskey bettelt, um ihre Angst vor dem Publikum runterzuspülen. Ihr intensives Spiel reißt das Publikum von Anfang an mit, glaubhaft lässt die auch aus deutschen Krimiproduktionen bekannte Schauspielerin das exzessive Leben von Judy Garland Revue passieren. Mal wehrt sie arrogant und großkotzig Geldforderungen des Hotelchefs ab, mal sucht sie weinerlich und unterwürfig nach Tabletten unterm Flügel oder im Spülkasten der Toilette. Dass sie dabei auch mal Tabletten für den Hund gegen Krätze schluckt, sorgt zwar für Erheiterung, zeigt aber auch die ganze Härte der Selbstentwürdigung.
Alexander Lutz – ausgebildeter klassischer Pianist und Schauspieler – überzeugt in seiner hingebungsvollen Rolle als Anthony, der „ehrliche" Freund, der Judy aus der bedrohlichen Abwärtsspirale retten will.
Auch Peter Lewys Preston, der den undurchsichtigen Verlobten Mickey spielt, lässt das Publikum lange rätseln, ob er es nun gut meint mit Judy, sie also wirklich liebt, oder es doch nur auf ihr Geld abgesehen hat. Sowohl als Liebhaber als auch als eiskalter Manager, der Judy am Schluss mit Pillen füttert, wirkt er authentisch.
Der Schluss mit Videoanimation geht richtig unter die Haut
Wortspiele, oft mit schlüpfrigen Anspielungen, lassen das Publikum immer wieder laut lachen, bei den Musikeinlagen swingt und summt es im Zeltpalast aus vielen Kehlen mit. Ein Flügel und drei glänzende Würfel, umrahmt von einem Vorhang, reichen, um das Londoner Hotelzimmer widerzuspiegeln, in dem Judy, Mickey und ihr engster Vertrauter Anthony zusammentreffen. Von hier startet Judy jeden Abend zu ihren Auftritten, von denen sie sich das große Comeback erhofft und genügend Geld, um ihre Schulden zu bezahlen.
Den Konzertsaal lässt Regisseur Gergen durch die Band lebendig werden, die immer dann auf die Bühne gefahren wird, wenn Judy vor ihrem begeisterten Publikum steht. Mancher mag das für eine spärliche Kulisse halten. Doch zusammen mit dem intensiven Spiel der drei Akteure im Hotelzimmer bewirkt gerade dieser szenische Wechsel, dass das Publikum im Zeltpalast zum Publikum im Londoner Konzertsaal wird. Die Ansprachen und Liebesbezeugungen von Judy an ihre Londoner Fans werden postwendend vom Merziger Publikum frenetisch beklatscht. Eine geniale Verquickung – die perfekte Verschmelzung!
Kein Wunder, dass am Ende des zweieinhalbstündigen Spektakels das Merziger Publikum stehend den Akteuren applaudiert, wie wohl einst in London, kurz bevor Judy Garland im Jahre 1969 an einer Überdosis Schlaftabletten starb.
Gerade für diesen Schlussakt hat Andreas Gergen eine sehr berührende Inszenierung gefunden, die zusammen mit der Videoanimation von Sönke Feick, der zu dem Titelsong „Over the Rainbow" Fotos von Judy mit alten Zeitungsartikeln aufblitzen lässt, richtig unter die Haut geht.
Annemarie Tripp zeigte sich am Ende der Vorführung begeistert von dem Stück. „Mit meinen 24 Jahren bin ich zwar zu jung, um die Lieder von Judy Garland zu kennen, aber ihr Schicksal berührt mich sehr. Bis zum Schluss war ich mir nicht sicher, ob der Verlobte es nur auf ihr Geld abgesehen und der Pianist es wirklich ehrlich mit ihr gemeint hat. Das war von beiden klasse gespielt", sagte die St. Ingberterin. Die 71-jährige Saarbrückerin Brigitte Reppert kann sich nun viel besser vorstellen, wie sich Judy Garland gefühlt hat. „Das Musical hat mir das sehr drastisch vor Augen geführt."
Hedwig Gross aus Mechern schwärmte in den höchsten Tönen. „Genau so etwas habe ich erwartet: eine gute Story, super Schauspieler und tolle Lieder." Für den 56-jährigen Dyck Martin aus Merzig war es das erste Musical, das er gesehen hat. „Und sicherlich nicht das letzte. Ich mag diese Musik. Einfach spitze!"