Im „Šljiva" in der Arminiusmarkthalle zeigt der Balkan, was er kulinarisch kann. Chefin Cathleen Potter lernte in Serbien die Küche der Region kennen und schätzen. Sie setzt sie nun in ihrem Lokal mit einfachen und frischen Zutaten zeitgenössisch um.
So mag selbst ich Fleisch", befindet die kulinarische Begleiterin. Sie ist zweifellos eher vegetarisch orientiert. Aber gut gewürzte Cevapcici und ein „serbisches Cordon Bleu" entlocken ihr während unseres Essens im „Šljiva" mehrfach am Abend wohliges Seufzen − und höchstes Lob: „Du isst das und weißt: Mama hat dich lieb." Was ist geschehen, dass ausgerechnet in dem kleinen Restaurant in der Arminiusmarkthalle jede aus den Fugen geratene Welt mit einer frittierten Schnitzelrolle und Ajvar-Paprikatunke wieder ins Lot kommt? Dass die Gemüseversteherin zur „fleischfressenden Pflanze" mutiert?
Es werden wohl die Kochkünste von Cathleen Potter sein, die seit Mai 2018 in ihrer Markthallen-Kombüse herumwirbelt, vor- und zubereitet, was die Küche Serbiens und der benachbarten Balkanländer hergibt. Ich hatte behauptet: „So was wie die ‚Balkanplatte‘ mit Reis, Pommes und Fleischgebirgen gibt’s doch gar nicht mehr!" „Doch, in den Außenbezirken!", hatte die Begleiterin, die aus Zehlendorf kommt, entgegnet. Eine aus Serbien stammende Bekannte wiederum hatte in einem ähnlichen Gespräch das „Šljiva" in Moabit parat. Dort erlebe die einfache, ländlich geprägte Küche des ehemaligen Jugoslawiens sehr wohl eine gut gemachte Renaissance.
Ein Glück also für die Gäste, dass Cathleen Potters Berufsleben vor einigen Jahren einen deutlich anderen Abzweig nahm als geplant. „Ich habe meine Kreativität im Kochen gefunden", sagt die 42-Jährige. „Ich habe immer gern gekocht und gebacken, aber nie gedacht, dass ich das so machen würde." Die studierte Wirtschaftsgeografin arbeitete dreieinhalb Jahre lang in Belgrad für die Deutsche Bahn International. Ganz nebenbei fand sie dort auch ihren Mann. „Ich war mit Geschäftspartnern von der mazedonischen Bahn in Vlados Restaurant essen", erzählt sie.
Der Rest ist eine klassische Geschichte: 2013 kehrte Cathleen Potter nach Berlin zurück, Vladimir Kosic entschied sich, mitzugehen. Er tat in Berlin das, was er am besten kann: Er eröffnete mit dem „Lesendro" am Kollwitzplatz 2014 wieder ein Fischrestaurant. Eines kam zum anderen: Cathleen Potter lernte vom Fachmann an ihrer Seite im „Lesendro" „so richtig das Kochen" und machte ein Praktikum bei Chefkoch Ivan Arić im „Kovacs" – „einem der besten Restaurants Belgrads". Die ehemalige Managerin hatte sich gut gerüstet für den Start mit dem eigenen 35-Plätze-Lokal in der Arminiusmarkthalle. „Vlado hat mir viel über Fisch beigebracht."
Fischeintopf und Grill-Oktopus
Fischeintopf und gegrillter Oktopus stehen nun auch im „Šljiva" auf der Karte. Der Eintopf ist mit 18 Euro eines der teureren Hauptgerichte, die bei 12,50 Euro starten. Die Vorspeisen, die durchaus als Gericht für den kleinen Hunger oder zum Teilen geeignet sind, kosten zwischen sechs und elf Euro. Auf den Fisch verzichten wir dieses Mal, obwohl das Metallgebilde mit langem Haken und Kupfertopf dafür beeindruckend aussieht.
Wir dürfen einen Bestandteil separat kosten: „Mlinci", serbische Plattennudeln aus Mehl und Wasser, die vor dem Kochen wie dünnes Knusperbrot aussehen, aber nicht so schmecken. Gebrochen und gekocht bekommen sie die Konsistenz von Lasagnenudeln. Sie werden pur als Beilage zum Fischtopf oder mit Sahne, Salz und Pfeffer zubereitet zu Truthahn vom Grill gereicht. Sehr lecker – sind wir uns nach dem sahnigen Probierportiönchen einig. Dafür gibt’s einige Punkte auf der nach oben offenen Wohlfühlskala.
Die Kreativität kommt vor allem bei Cathleen Potters eigenen Kreationen zum Zug. Sie verpackt cremigen, eher kräftigen Ziegenkäse, Rote Bete und Walnüsse in Filoteig und verwandelt das Ganze im Ofen in einen „Sexy Pie". Das feine, splitterige Äußere dieses Knuspergebirges umhüllt eine kompakt cremige und herzhafte Füllung mit leicht süßer Note. Der „Sexy Pie" ist ein gemütlicher, warmer Einstieg in einen nicht ganz so warmen Abend. Auf einem weiteren Teller warten schon „Balkan-Meze" auf uns: Rinderschinken, Speck, Schafskäse, Pflaumen im Speckmantel, Ajvar und Kajmak – ein gesalzener serbischer Schmand – sowie filetierte, gebackene, milde rote Paprika möchten aus der Vorspeisen-Kollektion probiert werden. Ich mag den gut gewürzten und geräucherten Rinderschinken sehr. Auf dem Weißbrot machen sich die Paprikapaste Ajvar und der kompakte, an gesalzene „Clotted Cream" erinnernde Kajmak-Schmand prima. „Wenn die Spitzpaprika-Saison bald so richtig beginnt, machen wir den Ajvar selbst", sagt Potter. Noch wird er aus Serbien importiert und ist schon in dieser Form sehr köstlich. „Wir" sind in diesem Fall sie und Roland Ostojic, der als ausgebildeter Koch und Restaurantfachmann im „Šljiva" als „zweiter Mann" in der Küche einspringt und sonst den Service macht.
Ostojic schenkt uns vom Wein ein, den er lieber gleich in der Flasche für uns bereithält. Wir trinken einen serbischen Weißen. Der „Arno", ein Sauvignon Blanc, einer für Serbien typischen Rebsorte vom Weingut Aleksić, verhält sich mit seiner Fruchtigkeit standfest, aber elegant zur Deftigkeit der Speisen. Doch das geht, gut sogar – mit einer Flasche für zwei – und ist mit 25 Euro pro Flasche oder vier Euro für 0,1 Liter angenehm bepreist. Serbische, georgische und slowenische Weine sollen demnächst schräg gegenüber eine große Rolle spielen: Direkt am Markthallen-Eingang Richtung Bugenhagenstraße wird Cathleen Potter demnächst die „Markthallenbar" mit „europäischen Tapas", einer kleinen Laden-ecke und einem Mittagstisch eröffnen.
Die Lokale auf der nordöstlichen Seite der Halle vernetzen sich ohnehin gerade enger, um gemeinsam größere Events durchzuführen: Mit dem „Šljiva," „Rosa Lisbert", „Poutine Kitchen", „Naninka", „Schmarrnkaiser", „Tastavin" und „Tankbar", „Mangiare" und der neuen „Markthallenbar" reicht dann das kulinarische Spektrum von Peru bis Österreich, von Kanada bis zum Elsass und von Frankreich und Italien bis zum Balkan. Ab Januar können zudem nicht nur alle sangesfreudigen Serben so richtig losschmettern: An den Mittwochabenden wird es Jamsessions geben. Im Normalbetrieb in der offenen Halle müssen sich die Nachbarn eng abstimmen, wer wann „seine" Musik spielen darf. „Wenn wir hier eine Feier haben, dann geht’s so richtig los", weiß Cathleen Potter.
Zum Abschluss einen Šlivovica
Bei uns geht’s erst mal mit Röllchen und Rollen so richtig weiter: mit Cevapcici, den Röllchen aus Rinderhack, die mit frittierten Kartoffelstücken, Zwiebeln, Ajvar und Kajmak gereicht werden. Große Fleischeslust pur! Balkan-Kebap, frisch vom Grill und mit rohen Zwiebeln – einfach, deftig, köstlich. Auf der Karte ist es ohne Häkchen und Akzente geschrieben, die nicht eingedeutschte, ganz korrekte Schreibweise wäre Ćevapčići. „Die Leute aus Serbien nehmen mir das nicht übel", sagt Potter. „Sie wissen, dass ich keine Muttersprachlerin bin und keine entsprechende Tastatur habe." Hauptsache, das Essen schmeckt!
Das tut es zweifellos. So auch die große Rolle auf dem zweiten Teller als Hauptgericht. Karadjordjeva wird uns als „Mädchentraum" auf Serbisch angekündigt. Uns wird eine mit Speck, Schmand und Mascarpone gefüllte, frittierte Schnitzelrolle vom Schweinefilet serviert. Die Begleiterin und ich sind uns einig, dass es sich in der Sache um das „serbische Cordon Bleu" und in der Bezeichnung um eine ausgewachsene Männerfantasie handelt. Das hält uns nicht davon ab, die zum fleischgewordenen Herrenwitz mutierte knusprige Rolle in Scheiben zu schneiden und mit sauren Gurkenscheiben und Tatarsauce genüsslich zu verzehren. Bald stehen auch Sarma und Kapama wieder auf der Karte, verrät Cathleen Potter. Noch wären Krautwickel mit Schweinehack und geschmortes Lamm zu wuchtig in der Wärme. „Außerdem hat das Sarma-Kraut im Sommer keine gute Qualität."
Wir müssen erst einmal eine Pause einlegen, bevor wir uns einem Zwetschgenknödel zum Dessert widmen. „Möchtet ihr jede einen oder zwei?", fragt die Chefin. Der Geschmack würde eine ganze Portion für jede rechtfertigen, das Fassungsvermögen unserer Mägen leider nicht. Es ist an dieser Stelle kurz zu bedauern, dass wir Bürojobs haben und keine schwere Feldarbeit verrichten. Dann könnten wir den regelmäßigen Verzehr solch substanzieller, rasch Energie spendender Gerichte einfach rechtfertigen. Mit der Pflaume im Quarkknödel, Butterbröseln, Krokant und Pflaumen in Karamellsauce findet ein großes, herzhaftes Mahl sein angemessen üppiges Ende.
Der Bogen zum Restaurantnamen schließt sich beim Einschenken der wohl bekanntesten Spirituose des Balkans: „Šljiva" heißt „Pflaume" auf Serbisch, entsprechend der Pflaumenbrand. Wir beenden unseren Abend zunächst mit einem ins Likörige spielenden Orahovača-Walnussbrand. Anschließend stoßen wir mit einem Šlivovica und dem traditionellen Trinkspruch noch einmal und mehr als gerne an: „Ževeli! Auf das Leben!"