Nach den Landtagswahlen im Osten stehen in der Berliner Politik eine Reihe offener Themen auf der Agenda. Zugleich sind die Parteien bemüht, die neue Unübersichtlichkeit zu sortieren und Personalfragen zu klären.
FDP-Chef Christian Lindner erinnerte nach den Landtagswahlen die Groß-Koalitionäre in Berlin daran, es doch mal einfach wieder mit dem „Regieren" zu probieren. Ausgerechnet Christian Lindner, der selbst die Verantwortung dazu vor gut anderthalb Jahren, als er die Möglichkeit dazu hatte, abgelehnt hat, beklagt sich heute: „Bis zum heutigen Tag warte ich auf eine Einladung zu den Gesprächen zum überparteilichen Klimakonsens." Das gelte auch für das Thema Migration. Die Schlussfolgerung des Oberliberalen: Hätte die Regierung diese beiden Themen längst abgeräumt, hätte sie nicht eine solche Klatsche von den Wählern in Brandenburg und Sachsen bekommen. Nutznießer davon sei eindeutig die AfD, die zwar in keinem der Länder stärkste Kraft wurde, aber historisch einmalige Ergebnisse einfuhr. Nach diesem Erfolg droht nun allerdings der AfD ein parteiinterner Machtkampf (siehe Interview).
CDU und SPD sind mit einem tiefblauen Auge davongekommen, doch über das Warum und Wieso wurde gar nicht lange debattiert. Beide Regierungsparteien brachen bereits einen Tag nach den Landtagswahlen in hektische Betriebsamkeit aus. Die Spitzen der Koalition trafen sich bereits am Montagabend und besprachen schon mal die großen Themen bis Weihnachten. Da ging es um die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Grundrente, mit oder ohne Bedarfsprüfung, und vor allem um Klima, Klima und noch mal Klima. Ein Klimagesetz soll noch bis Ende des Jahres unter Dach und Fach sein. Die Streitfrage, CO₂-Steuer oder Ausweitung des Zertifikate-Handels auf Wohnen und Verkehr, soll bis Ende des Monats geklärt werden. „Wir müssen jetzt liefern", hatten unisono Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier ihre Kabinettskollegen erinnert.
Die CDU legte gleich mit einem Werkstattgespräch zum Klima nach, um noch mal die Unionskompetenz bezüglich des Klimas und der dazugehörigen Weltrettung zu untermauern. Mittwoch und Donnerstag der Woche nach der Landtagswahl waren dann die Fraktionsspitzen von CDU/CSU und SPD dran, in getrennten Sitzungen. Führende Vertreter beider Seiten wiesen gebetsmühlenartig darauf hin, wie viel es noch zu tun gibt in der großen Koalition. Die eigentliche Botschaft dahinter: jetzt auf jeden Fall weiterregieren.
Kräfteverhältnisse im Bundesrat werden sich verschieben
Bei der SPD scheint die Bundestagsfraktion während der parlamentarischen Sommerferien ein Eigenleben entwickelt zu haben. Interims-Fraktionschef Ralf Mützenich leitet die Fraktion mehr oder weniger abgekoppelt vom Parteivorstand. Im Willy-Brandt-Haus ist man mit der Suche nach der ersten Doppelspitze ausgelastet. Inhaltlich machte SPD-Co-Interims-Chef Torsten Schäfer-Gümbel die Debatte um die Wiedereinführung der Vermögenssteuer auf, was sich bei den Landtagswahlen als wenig hilfreich erwies, dafür dem Initiator die Frage einbrachte, warum man nicht schon zu Rot-Grün-Zeiten unter Gerhard Schröder auf die Idee gekommen ist. Denn die Vermögenssteuer ist unter Kanzler Kohl 1997 lediglich ausgesetzt worden. Das Vermögenssteuergesetz hätte man unter rot-grüner Ägide also einfach nur wieder in Kraft setzen müssen.
Mit liefern wird es in der Bundespolitik absehbar noch komplexer, denn zukünftig werden sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat noch weiter empfindlich verschieben. Die neue Unübersichtlichkeit könnte zu schwierigen Verhandlungen bei zustimmungspflichtigen Gesetzen führen.
Brandenburg und Sachsen werden sich bei voraussichtlich Drei-Parteien-Regierungen zukünftig häufig enthalten müssen. Das ist üblich, wenn sich Koalitionspartner in den Ländern nicht auf ein einheitliches Verhalten in der Länderkammer verständigen können.
In Brandenburg wird Ministerpräsident Woidke (SPD), so wie es derzeit aussieht, mit der CDU und den Grünen eine Regierung bilden. In Sachsen wird Michael Kretschmer (CDU) zukünftig sehr wahrscheinlich mit den Grünen und der SPD eine Regierung bilden. Damit sind die Grünen mit ihren Regierungsbeteiligungen so stark wie noch nie in ihrer Geschichte in der Länderkammer vertreten – und gleichzeitig möglicherweise ziemlich ohnmächtig.
Die Grünen würden nach den neuen Regierungsbildungen dann in elf Ländern in allen denkbaren Konstellationen mitregieren, die das Parteispektrum der Bundesrepublik (außer einer AfD-Beteiligung) hergibt. Das könnte beispielsweise heißen, dass ein Gesetzesvorhaben von Schwarz-Grün-Gelb in Schleswig-Holstein unterstützt, von Rot-Rot-Grün in Thüringen aber abgelehnt wird.
Damit würde dann zukünftig der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat das wichtigste Instrument, um überhaupt noch irgendwelche Gesetze unter Dach und Fach zu bringen. Doch die Arbeit im Vermittlungsausschuss kostet sehr viel Zeit und erfordert zusätzliche Suche nach Kompromissen, was den ohnehin oft beklagten Reformstau weiter wachsen ließe.