Eine Herzattacke bremste Marathonmann Dr. Richard Berthold im wahrsten Sinne aus. Doch der 56-Jährige will deshalb seine Leidenschaft nicht aufgeben. Schon nächstes Jahr will er beim Tokio-Marathon und bei der Roth-Challenge mit dabei sein.
Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Als Arzt! Es waren die klassischen Symptome: Beim Fahrradtraining plötzlich Druck- und Engegefühl, Atemnot, massives Brennen im Brustkorb. Bei meinen Patienten hätte ich sofort auf einen Herzinfarkt getippt. Aber bei mir selbst? Nie und nimmer!"
Statt in die Klinik geht Dr. Richard Berthold zwei Tage später erst mal aufs Laufband. Schwimmt auch in dieser Woche noch eine Stunde. Als er nach einer Woche zu Hause auf dem Spinning-Rad immer noch unter Atemnot und Engegefühl leidet, schaut er tags darauf bei seinem Kardiologen in der Praxis vorbei. Der schlägt Alarm. Nach dem auffälligen Bluttest geht es sofort per Notarztwagen in die Uniklinik Homburg. Bereits einen Tag später setzt man dem 56-jährigen Marathonläufer einen Herzkatheter samt Stent. „Ich bin dem Tod im wahrsten Sinne des Wortes von der Schippe gesprungen. Ich hätte jederzeit tot umfallen können", sagt Berthold. 99 Prozent des ersten Astes der linken Herzkranzarterie waren durch eine akute Plaqueruptur verschlossen. Für ihn selbst war es unfassbar, dass er einen Herzinfarkt erlitt. Bis dahin dachte er immer, total fit zu sein. Auch seine Frau war äußerst schockiert. Bei jedem anderen hätte sie so etwas vermutet, aber nicht bei ihm. „Ich bin ja auch sportlich immer unter Kontrolle. Ich ernähre mich gesund, mache regelmäßig Sport, habe kein Übergewicht, rauche seit mehr als 20 Jahren nicht mehr, und dann macht mein Herz schlapp", erzählt Berthold. Gerade war er dabei, sich auf die Roth-Challenge, das größte Langdistanz-Triathlon-Event der Welt, im Juli vorzubereiten. Dann musste er sein Trainingspensum zunächst komplett einstellen.
Zwecks Regeneration gönnte sich der Allgemeinmediziner mit diabetologischer Schwerpunktpraxis in Neunkirchen mit seiner Frau Waltraud zwei Wochen Auszeit, eine davon verbringt das Paar auf Mallorca, wo das Triathlon-Trainingslager mit dem ehemaligen Weltklasse-Triathleten Lothar Leder gebucht war. Statt Laufschuhe und Fahrrad hatte er Schachbrett und Schachbuch im Gepäck. „Ich durfte nichts machen, kein Training, Nullkommanix. Das war das Allerschlimmste für mich", erinnert er sich. Nach gut zwei Wochen Pause arbeitete er wieder, versorgte die Patienten in seiner Praxis, als wäre nichts passiert.
Von denen wollte es auch keiner glauben. Als Arzt geht Dr. Richard Berthold seinen Patienten nämlich mit gutem Beispiel voran. „Ich motiviere sie, indem ich ihnen zeigen, dass auch ich all das mache, wozu ich sie anhalte", sagt er. So hat er eine Laufgruppe in Neunkirchen mit Diabetes-Patienten ins Leben gerufen und rund zwei Jahre mit begleitet. „Ich weiß, alleine rafft man sich oft nicht auf, aber in der Gruppe fällt es vielen leichter, sich regelmäßig sportlich zu betätigen", so seine Erfahrung.
Dass so ein Herzereignis (medizinisch hier ganz korrekt: akutes Koronarsyndrom) kein Argument ist, sich in den Sessel zurückzuziehen, will Richard Berthold nun ebenfalls seinen Patienten vorleben.
Berthold entdeckte vor drei Jahren den Triathlon für sich
Seit dem Herzereignis samt Stent ist er aber ängstlicher geworden. Er fühlt sich durch die Erkrankung auch richtig gebeutelt. Vor allem denkt er immer wieder darüber nach, wie es weitergeht, wie sich seine körperliche Belastbarkeit entwickelt. „Aber ich will wieder Marathon laufen und Triathlon machen. Das ist mein erklärtes Ziel", sagt er. Im März nächsten Jahres will er beim Tokio-Marathon dabei sein, und im Juli 2020 an der Startlinie bei der Challenge in Roth bei Nürnberg stehen. Letzteres ist für ihn das Triathlon-Event schlechthin. „Ich musste ja für dieses Jahr absagen. Wichtig ist für mich dann nicht meine Zeit, die ich laufe", sagt Berthold. Seine Marathon-Bestzeit von 3:14:30 Stunden, die er 2012 in Rotterdam lief, peilt er aber nicht an. „Aber ich will ankommen, und wenn ich als Letzter durchs Ziel gehe, ist das egal. Hauptsache, ich habe durchgehalten", stellt er klar. Wenn man dem Vater eines erwachsenen Sohnes zuhört, dann spürt man förmlich seine Leidenschaft fürs Laufen, für den Sport. Dabei war früher noch nicht absehbar, dass er irgendwann die Marathon- beziehungsweise Triathlon-Disziplin laufen würde. „Früher habe ich in der Jugend und dann bei den AH Fußball gespielt, aber nach zwei Muskelfaserrissen musste ich umdenken", erzählt er. Dann nahm er sich im November 2004 vor, im darauffolgenden Jahr, mit 42 Jahren, seinen ersten Marathon zu laufen. Mittlerweile ist er alles in allem 52 Marathons und Ultras gelaufen. Letzteres meint Laufveranstaltungen über eine Strecke von mehr als 45 Kilometer, also länger als die Marathondistanz mit 42,195 Kilometer.
Seine spektakulärsten Läufe waren 2011 und 2012 in Südafrika der Comrades-Lauf über 87 Kilometer (Up Run) und 89 Kilometer (Down Run) sowie der Transalpine Run in den Jahren 2013 und 2016. Der Comrades-Lauf findet zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkrieges statt. Er ist der teilnehmerstärkste Ultramarathon mit circa 15.000 Startern aus aller Welt zwischen den Städten Durban und Pietermaritzburg. Ein nationales Sportereignis, das rund zwölf Stunden live im Fernsehen übertragen wird. Endpunkt ist jeweils ein Sportstadion, in das er zusammen mit Tausenden anderen Teilnehmern eingelaufen ist. „Die Zuschauer haben geklatscht wie verrückt. Das geht unter die Haut, Emotionen pur", sagt Berthold.
Beim Transalpine Run geht es im Zweierteam in sieben oder acht Etappen rund 260 Kilometer über die Alpen. Dabei werden rund 15.000 Höhenmeter bewältigt. Dieser Trail-Running-Wettkampf ist einer der anspruchsvollsten Bergläufe der Welt. „Zweimal habe ich dort gefinisht, 2013 und 2016. Unvergesslich."
Gerne erinnert sich der gebürtige Völklinger auch an die Marathons in Berlin, Frankfurt, Wien, Stockholm, New York, Boston, Chicago, Paris und Rom oder an die Triathlons in Luxemburg und Hamburg. „Denn nach dem Transalpine 2016 habe ich für mich den Triathlon entdeckt, ein Rennrad gekauft und erst mal Kraulen mit einem Schwimmtrainer gelernt."
Von solchen Distanzen und schier unmenschlichen Anstrengungen kann Richard Berthold zehren, wenn er sich nun langsam aber beständig wieder auf die Route begibt, um zumindest leichtere Langstrecken wieder zu bewältigen. „Inzwischen klappen die 15 Kilometer Trainingsläufe und die Fahrradtouren bis 80 Kilometer richtig gut. Das lässt hoffen!", sagt er. Den Sport will er nicht aufgeben. Schließlich läuft er ja, um gesund und fit zu bleiben, sonst könnte er den Arztberuf gar nicht ausüben. Außerdem weiß er als Diabetologe am besten, wie wichtig Ausdauersport für seine Patienten ist. „Dass bei mir dieses akute Herzereignis eingetreten ist, dafür spielt wohl die genetische Disposition die größte Rolle! Die Laborwerte waren früher immer in Ordnung. Und jetzt mein Leben lang Tabletten einnehmen – oh je – aber es muss sein." Als Lehre aus seinem verschleppten Herzgefäßverschluss kann er jedem nur empfehlen, sich auch ohne Schmerzsymptome regelmäßig durchchecken zu lassen und bei dem leisesten Gefühl von Brustschmerzen oder Atemnot vorsorglich einen Arzt aufzusuchen.
Übrigens: Geburtstag feiert Dr. Richard Berthold ab sofort zweimal im Jahr: neben seinem amtlichen Geburtstermin nun auch an dem Tag, an dem sein neues Leben begann.