Die einst wichtigste Automobilmesse der Welt liegt am Boden
Der Märchendichter Wilhelm Hauff hat 1824 in einem Gedicht mit Namen „Reiters Morgenlied" folgende düstere Zeilen geschrieben: „Gestern noch auf hohen Rossen, heute durch die Brust geschossen, morgen in das kühle Grab!"
An diesem Wochenende öffnet in Frankfurt die 68. Internationale Automobilausstellung (IAA) für elf Tage ihre Pforten. Sie ist nicht nur die Haupteinnahmequelle für den renommierten Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA), sondern nach eigenem Bekunden die weltweit wichtigste und größte Automobilfachmesse für Pkw – nicht nur für Fachbesucher, sondern auch für das breite Publikum.
Den Höhepunkt erreichte die IAA 2007, als mehr als eine Million Auto-Freaks in die Messehallen strömten und die Ausstellungsfläche 229.000 Quadratmeter umfasste. Von dann an allerdings ging es kontinuierlich bergab – noch nie aber so offenkundig wie in diesem Jahr. Zwischen Hauffs Gedicht und dem Zustand der IAA drängen sich Parallelen geradezu auf. Auch da kommt der Bedeutungsverlust einer Paradebranche zum Ausdruck und spiegelt sich in unser Volkswirtschaft: der Automobilindustrie. Gestern noch strotzend vor Selbstbewusstsein und dem Gefühl der Unantastbarkeit, heute allenthalben Katzenjammer. Und morgen?
Allein 22 Automarken haben für die diesjährige IAA frühzeitig ihr Kommen abgesagt. Und zwar zu einer Zeit, als die Autokonjunktur noch auf vollen Touren lief. Inzwischen hat sich das Bild deutlich verdüstert: Gewinnwarnungen, sinkende Absatzzahlen und reihenweise Arbeitsplatzverluste – nicht nur in der deutschen Autoindustrie, sondern weltweit – sind kein guter Rahmen für eine hoffnungsfrohe automobile Zukunft.
Vor allem die internationalen Hersteller, die wenige Monate zuvor noch in vollem Ornat und mit breitem Modellprogramm auf den Automessen in Shanghai und Peking aufgetreten sind, kommen nicht nach Frankfurt. Unter anderem haben alle Japaner außer Honda, sämtliche US-Hersteller, darunter Tesla ohnehin, sowie sämtliche führende Marken aus Frankreich und Italien abgesagt. Die Liste der Abtrünnigen ist lang und reicht von Alfa Romeo bis Volvo.
Selbst Toyota als zweitgrößter Hersteller hinter Volkswagen begnügt sich nur mit der Teilnahme an einem „japanischen Abend" – eine reine Goodwill-Geste gegenüber dem Gastgeber. Die von der deutschen Presse gerne als Killer-Wettbewerber der Zukunft hochstilisierten Chinesen sind überhaupt nicht vertreten. Offensichtlich haben sie angesichts der unerwarteten Absatzrückgänge im eigenen Land vorerst von der Eroberung des Weltmarktes Abstand genommen.
Und so kommt es, wie es kommen musste: Das Frankfurter Messegelände der IAA 2019 ist bei Weitem nicht ausverkauft. Nur noch in vier Hallen werden neue Autos ausgestellt, wobei die deutschen Hersteller fast unter sich sind. Endlich also kein Wettbewerb mehr; wären da nicht zwischendrin noch einige internationale Mutige wie Hyundai und Land Rover. Kein Wunder, dass statt neuer Autos vor allem eine große Oldtimer-Show als Attraktion angesteuert wird.
Ohne Zweifel: Nicht nur die hohen Kosten, sondern auch die gesellschaftliche Diskussion um den Wandel in der Mobilität, um Emissionen und Fahrverbote, um die skeptische Einstellung zur Elektromobilität haben und werden auf der IAA ihre Spuren hinterlassen. Um einen populären Slogan der Marke Smart zu adaptieren: Summ-summ ist eben nicht so populär wie brumm-brumm.
Die diesjährige IAA kommt also nicht nur konjunkturell zur Unzeit, sie wirft auch große strukturelle Schatten auf die Zukunft des Automobils wie auf ihre eigene Messe-Zukunft. Das gilt gleichermaßen auch für die anderen großen Messen, etwa die Detroit Motor Show in den USA, die Tokyo Motor Show in Japan und den Pariser Automobilsalon. Der wachsende gesellschaftliche Protest gegen PS-Wahn und Abgas-Emissionen lassen analoge Automobilmessen im Zeitalter der Digitalisierung doppelt anachronistisch erscheinen.
Das „kühle Grab" von Wilhelm Hauff wird nur dann unbenutzt bleiben, wenn synthetische Treibstoffe eine umweltfreundliche und abgasneutrale Benutzung von Automobilen erlauben.