Den Schutz des Klimas haben sich mittlerweile die unterschiedlichsten Parteien und Gruppierungen auf die Fahnen geschrieben. Lediglich die Gewerkschaften finden bislang keine klare Haltung – und sitzen in Vielem zwischen den Stühlen.
Wer in den letzten Wochen das Verhalten der Gewerkschaften in Deutschland zum angekündigten Klimastreik verfolgt hat, fühlt sich schnell an einen Ausspruch des russischen Revolutionärs Lenin erinnert. Der bescheinigte den Deutschen bereits im Jahre 1916: „Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!"
Von einem in Sachen „Fridays for Future" und deren Protesten sind alle beim DGB und in den Einzelgewerkschaften völlig begeistert: Wie gut, dass da mal die jungen Leute aufstehen und was machen! Aber das war es dann auch schon. In der Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes gibt es nicht mal einen festen Ansprechpartner, der regelmäßig den Kontakt zu den Aktivisten an der klimatischen Schülerfront hält, geschweige denn organisatorisch mitwirkt. Denn der DGB und die ihm angeschlossenen Einzelgewerkschaften sitzen bei den generellen Forderungen der Schüler inhaltlich zwischen den Stühlen.
Arbeitsplätze sichern versus Klimaschutz
Stichwort „Kohleausstieg": CO₂-Einsparungen sind ja schön und gut, aber den Ausstieg kann die für Bergbau, Chemie und Energie zuständige Gewerkschaft IG BCE dennoch nicht so ohne Weiteres unterstützen – mag ihr Vorsitzender Michael Vassiliadis im Herzen auch noch so sehr Umweltfreund sein. Denn klar ist: Dass Steinkohlebergewerke wie zum Beispiel an Ruhr und Saar stillgelegt worden sind, kostete Arbeitsplätze. Ebenso dünn ist das Eis natürlich bei der Debatte um das Ende der Braunkohleförderung. Bei den jüngsten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen räumte die AfD in den Tagebau-Revieren reihenweise Stimmen ab mit dem Versprechen, den Kohleausstieg zu stoppen. Da braucht die zuständige Gewerkschaft gar nicht mit Klimaschutz zu kommen – „das Hemd ist uns Kumpeln immer näher als die Hose", so ein Betroffener aus der Lausitz gegenüber FORUM.
Zum politischen Bumerang wird die Forderung nach mehr Klimaschutz aber rasch auch für die IG Metall. Das Ende des Verbrennungsmotors läuft nicht nur den Interessen heutiger Beschäftigter bei VW, BMW oder Daimler diametral entgegen, sondern auch der IG Metall selbst. Fallen die Arbeitsplätze weg, hat die starke Einzelgewerkschaft für die Metallberufe zukünftig auch erheblich weniger Mitglieder. Neben weniger Mitgliedsbeiträgen hieße das vor allem auch schrumpfender Einfluss innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann wäre also im doppelten Sinne schlecht beraten, wollte er sich nun führend für die Dekarbonisierung der Gesellschaft einsetzen. Ganz im Gegenteil, bereits im Sommer vor einem Jahr warnte Jörg Hofmann im FORUM-Interview dringend vor den Folgen eines überstürzten Abschieds vom Verbrennungsmotor: „Man darf nicht vergessen, für den Bau eines Elektroautos brauche ich nicht mal mehr die Hälfte an Arbeitskräften wie für einen Verbrenner." Denn neben den Autowerken selbst beträfe der Schritt ja auch die Zulieferer – und mit ihnen weitere Arbeitnehmer, die ebenfalls in der IG Metall organisiert sind.
Einer der wenigen, der in puncto Umweltschutz etwas befreiter aufspielen kann, ist Noch-Verdi-Chef Frank Bsirske. Er spricht für den Dienstleistungssektor, die Arbeitsplätze seiner Mitglieder hängen nicht so unmittelbar am Klimaschutz. Da Bsirske obendrein auch noch der einzige Gewerkschaftsboss in Deutschland mit grünem Parteibuch ist, steht er hinter dem Klimastreik. „Wir werden zur Teilnahme an den Veranstaltungen aufrufen. Es geht darum, Flagge zu zeigen – wir brauchen ein deutlich konsequenteres Handeln der Politik beim Klimaschutz." Begeisterung klingt anders, aber auch Bsirske sind juristisch die Hände gebunden. Er empfiehlt: „Erst ausstempeln und dann mitmachen" – also sich ordnungsgemäß abmelden und dann ab zur Demo. Oder gleich einen Tag Urlaub nehmen. Die Verdi-Zentrale schob dann sicherheitshalber gleich noch eine Info an ihre zwei Millionen Mitglieder hinterher: „Wir als Verdi können aufgrund des existierenden Rechtsrahmens nicht zu einem Klimastreik aufrufen. Denn das kann im schlimmsten Fall für Beschäftigte Abmahnungen oder Kündigungen nach sich ziehen."
Hintergrund ist, dass ein gewerkschaftlich organisierter Streik „zu erfüllenden Forderungen an die Arbeitgeber" voraussetzt. Ohnehin steht dem Regelwerk nach eine Urabstimmung an, um so was durchzuziehen. Und dann wären die Gewerkschaften auch finanziell in der Pflicht, müssten Streikgeld auszahlen. Eine etwas kostspielige Angelegenheit für einen symbolischen Streiktag – aber es bleibt ohnehin dabei: All das gilt für einen Klimastreik nicht.
„Erst ausstempeln – dann mitstreiken"
Dennoch, nachdem Bsirske mit der verhaltenen Empfehlung zur Teilnahme vorgeprescht war, kam auch DGB-Chef Reiner Hoffmann nicht mehr um einen Aufruf herum. Auch dieser, aus besagten Gründen, mehr verschwurbelt als deutlich: „Wer sich mit demokratischen Mitteln für mehr Klimaschutz einsetzt und demonstriert, verdient Respekt und hat unsere Unterstützung." Wie diese Unterstützung aussehen soll, dazu schweigt sich der DGB aus.
Aber zumindest eine Gewerkschaft müsste sich doch freuen über den Klimastreik: Immerhin hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bislang „die Aktionen von Fridays for Future sehr solidarisch unterstützt". So beschreibt es Ilka Hoffmann, im GEW-Vorstand verantwortlich für den Bereich Schule. Doch auch ihr, als sympathisierende Gewerkschafterin, sind die Hände gebunden. Schüler bundesweit zum Schwänzen aufrufen? Das könnte Hoffmann schnell den Kopf kosten. Ohnehin scheint die GEW zunehmend mit Fridays for Future zu fremdeln. „Die Befürchtung besteht, dass in einem medialen Hype, der den Klimaschutz zu isoliert betrachtet, die sozialen und ökologischen Themen untergehen." Im Klartext: Ilka Hoffmann und mit ihr der GEW sind die Fridays for Future mittlerweile zu eindimensional. Themen wie Ausbeutung, soziale Spaltung oder fehlende Mittel für die Bildung kommen ebenso zu kurz wie umfassender Naturschutz.
Ein weiterer, problematischer Punkt: Viele Mitglieder der Erziehungsgewerkschaft sind verbeamtet und dürfen schlicht nicht streiken. Tun sie es doch, hätte dies ein Disziplinarverfahren zur Folge. „Da muss man als Gewerkschaft sehr genau überlegen, für welche Aktion man seine Mitglieder aufruft. Die Ziele müssen ganz klar und konkret formuliert sein", so Hoffmann. Doch beim Klimastreik fehlt es am konkret formulierten Ziel samt Schritten dorthin ebenso wie an einem wirklichen Ansprechpartner jenseits der „Regierungen, die jetzt etwas unternehmen müssen". Für die Gewerkschaften reicht dies nicht aus. Immerhin: Es gibt eine „solidarische Grußadresse" an die Streikenden.