Noch ist das vereinigte Königreich mit 72 Abgeordneten im Europaparlament vertreten. Mit dem Brexit – wann immer der vollzogen wird – wird sich auch das ändern.
Damit Europaskepsis keine Chance hat, ist es wichtiger denn je, dass die EU-Abgeordneten aus Großbritannien sichtbar und rechenschaftspflichtig sind und dass sie zu Hause eine genaue Darstellung dessen geben, was in Brüssel vor sich geht." Das sagt voller Enthusiasmus Luisa Porritt. Die Historikerin und Stadtverordnete aus London hat ihren Sitz in Brüssel und Straßburg an ihrem 32. Geburtstag errungen. Seitdem kämpft sie darum, das Vereinigte Königreich möge doch noch Mitglied der Europäischen Union bleiben.
Viel Zeit verbleibt der energischen jungen Frau allerdings nicht. Sie hatte sich darauf eingestellt, spätestens am 31. Oktober ihren Platz im Europäischen Parlament wieder räumen zu müssen. Bis dann wollte Premierminister Boris Johnson sein Land aus der EU herausgeführt haben – notfalls mit einem ungeregelten Brexit.
Die Proeuropäerin Porritt wird ihren Sitz also wie die 72 anderen Abgeordneten ihrer Insel in Kürze abgeben müssen. Für sie persönlich bedeutet das nach nur einem halben Jahr Amtszeit den Wegfall eines Grundgehaltes von 6.250,37 Euro netto im Monat. Das ist etwa die Hälfte eines deutschen Bundesminister-Salärs.
Aber viel mehr treibt Porritt um, dass mit ihr eine europäische Stimme der britischen Nachwuchsgeneration verstummen wird. Unter jungen Briten denken viele so, wie die Liberaldemokratin: „Junge Leute profitieren besonders von der EU-Mitgliedschaft," sagt Porritt, „denn wir haben das Privileg, in 27 anderen Ländern leben, lieben, arbeiten und studieren zu können."
Gerade die Jugend profitiert von Europa
Eine komplizierte Formel regelt, was nach dem Ausscheiden der Ende Mai gerade erst gewählten britischen EU-Abgeordneten geschieht. Das Europäische Parlament wird von derzeit 751 auf 705 verkleinert. Exakt 46 der 73 UK-Sitze werden für eventuelle neue Mitgliedsländer freigehalten. Die restlichen 27 britischen Mandate werden an 14 unterrepräsentierte Länder verteilt.
Am stärksten von der neuen Sitzverteilung profitieren Frankreich und Spanien, die nach dem Brexit je fünf Sitze hinzugewinnen. Italien und die Niederlande bekommen drei Abgeordnete dazu, Irland zwei. Je ein Mandat geht an Dänemark, Estland, Finnland, Kroatien, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden und die Slowakei. Deutschland behält seine 96 Abgeordneten. Auch für die anderen Länder ändert sich nichts.
Scheiden tut weh – das empfinden manche britische Abgeordnete schon jetzt. Porritt hätte sich gerne noch Vieles vorgenommen. „Europaabgeordnete können eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Kommunikation europäischer Institutionen spielen", sagt die Londonerin, „in der Vergangenheit haben sie nicht immer einen guten Job dabei gemacht, die wertvolle Arbeit der EU für die Menschen hervorzuheben".
Die Einschätzung teilt die Liberale mit ihrem Landsmann Magid Magid (29). Der aus Somalia geflüchtete Jungpolitiker und kurzzeitige Bürgermeister der englischen Industrie-Großstadt Sheffield, ist als erster und einziger Abgeordneter der britischen Grünen ins Europaparlament gewählt worden. Magid gibt den in der Volksvertretung verbleibenden Kolleginnen und Kollegen schon vor dem Abschied von der EU drei Wünsche mit auf den Weg: „Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre, ernsthafte Schritte gegen den Klimawandel und Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten – wir müssen Demokratie für jedermann erlebbar machen." Erfrischende britische Stimmen wie diese wird es nach dem Brexit in Europa nicht mehr geben.