Im nächsten Jahr soll es mit der Playstation 5 und der nächsten Xbox neue Konsolen geben. Doch vorher startet mit Google Stadia eine ganz andere Art von Gaming-Dienst. Rosige Aussichten für Spieler – oder eher Chaos?
Die Konsole ist tot, der Gaming-PC auch. In Zukunft laufen Videospiele in Rechenzentren, Spieler streamen nur noch das Bild. Und gespielt wird auf allem, was einen Bildschirm und einen Internetzugang hat. Zumindest, wenn es nach der Vision von Google Stadia geht. Der Cloud-Gaming-Dienst startet für Vorbesteller im November – auf der Spielemesse Gamescom in Köln im August war ein erstes Anspielen möglich.
Doch Stadia ist nicht der einzige Cloud-Gaming-Dienst. Sony hat Playstation Now, Microsoft arbeitet für seine Xbox an der XCloud, Nvidia experimentiert mit Geforce Now, Blade vermietet unter dem Namen Shadow virtuelle Spiele-PCs im Rechenzentrum. Und auch die Telekom und Medion wollen eigene Streamingdienste für Spiele anbieten.
Streaming an sich ist keine neue Idee. Doch die Macht, mit der Google Stadia in den Markt schiebt, zeigt: Hier ist ein Wendepunkt erreicht. Und während die Nachfolger der erfolgreichen, aber betagten Konsolen Playstation 4 und Xbox One noch ein gutes Jahr entfernt sind, winkt Spielern eine Zukunft vielleicht ganz ohne teure Konsolen oder Computer – ein Streamingdienst für Spiele.
Viele Fragen noch ungeklärt
Für Spieler ist das aktuell eine etwas schwierige Zeit. Sollen sie auf die neue Technik setzen oder auf die neuen Konsolen warten? Über Sonys Playstation 5 und Microsofts Project Scarlett, so der Arbeitstitel der nächsten Xbox, ist nicht wirklich viel bekannt. Was sicher sein dürfte: Auch die nächste Konsolengeneration wird stark auf Onlinedienste setzen und die Spielekataloge und Streamingangebote ihrer Hersteller integrieren. Stadia wird es etwa auf der Playstation wohl nicht geben.
Aber auch die Hardware wird neue Maßstäbe setzen. „Die Hersteller werden die neuen Konsolen zukunftssicherer machen als die alten Modelle", ist sich Analyst Liam Hall vom Marktforscher IDC sicher. Jetzt schon als sicher geltende Funktionen wie 8K-Auflösung (8.192 zu 4.320 Pixel), die neue Grafiktechnik Raytracing (für bessere 3D-Darstellung oder Darstellung besserer Lichteffekte) sowie schnelle Chipspeicher werden sich über die Jahre zum neuen Standard entwickeln.
Stadias Vision ist derweil jetzt schon klar: Spieler sollen immer und überall auf allen Geräten spielen können, erklärte ein Kommunikationsmanager am Gamescom-Stand von Google. Und tatsächlich fühlt sich das Spielerlebnis von Stadia schon sehr fertig an. Grafisch anspruchsvolle Titel wie „Doom Eternal" oder „Mortal Kombat" liefen in einem Rechenzentrum in München und landeten flüssig im Browser eines Tablets auf dem Kölner Messegelände.
Microsofts xCloud für die Xbox gibt sich da etwas zurückhaltender. Im Herbst soll ein erster öffentlicher Test des Angebots starten. Als Konsolenhersteller setzt Microsoft auf eine geteilte Strategie: Wer keine Konsole hat, nutzt das reine Cloud-Gaming-Angebot. Dann läuft das jeweilige Spiel auf einer Xbox im Rechenzentrum. Wer schon eine Konsole hat, kann sie dagegen selbst als Streamingzentrale benutzen und von der Konsole aus zum Smartphone oder Tablet streamen. Das soll kostenlos möglich sein. Und trotz Cloud Gaming hat die Konsole nicht ausgedient, erklärt Florian Liewer, Director XBox-Gaming bei Microsoft. „Die Konsole ist nach wie vor wichtig und wird auch lange Zeit noch wichtig bleiben", sagt er.
Die einen setzen also komplett auf Streaming und die Cloud, die anderen sehen Streaming eher als Zusatzangebot. Für Verbraucher scheint Streaming zunächst einmal attraktiv: Wer rein auf die Cloud setzt, spart sich jedenfalls teure Hardware-Anschaffungen. Dienste wie Stadia laufen auch auf älteren Computern, Tablets oder sogar Smartphones. Statt einer großen Investition gibt es also ein neues Spiele-Abo. Was das letztlich im Monat kosten soll, da sucht die Branche mit wenigen Ausnahmen noch nach Antworten. Google ist da weiter: Wenn Stadia 2020 für alle startet, ist das Basisangebot kostenlos – Nutzer müssen aber die einzelnen Spiele kaufen. Wer mehr Auflösung, Raumklang oder kostenlosen Zugang zu ausgewählten Titeln will, soll zehn Euro im Monat zahlen.
Von einem Netflix für Spiele könne bei Stadia also nicht die Rede sein, sagt Liam Hall. Eher eine Art Game-on-demand-Service, bei dem man eben nicht alles bekommt, sondern nur das, was man bezahlt. Deswegen, und auch wegen vieler anderer offener Fragen, sieht der Analyst das Cloud Gaming noch ganz am Anfang. Was etwa passiert, wenn Anbieter die Lizenz für einzelne Spiele verlieren? Was, wenn ein Dienst den Betrieb einstellt? Google hat in der Vergangenheit oft kurzen Prozess mit Diensten gemacht, die nicht so liefen wie gewünscht: Die Liste eingestellter Angebote ist lang. Entsprechend groß sind auch die Sorgen vieler Spieler.
Felix Falk ist Geschäftsführer des Branchenverbands Game und nennt Cloud Gaming einen „hochspannenden Markt". Das Ende von PC und Konsole sieht er aber noch nicht gekommen. „Wir gehen sehr davon aus, dass Cloud Gaming ein Zusatzangebot ist und bestehende Angebote nicht sofort ersetzt", sagt er. Was der Verband allerdings bemerkt: Immer seltener wird auf dem PC gespielt, immer mehr Spieler nutzen Mobilgeräte und Konsolen.
Tipp: Kostenlose Testphase nutzen
„Die Spieler schauen neugierig auf diesen neuen Markt, warten aber noch auf den richtigen Punkt zum Einsteigen", sagt Analyst Liam Hall. Weit vorne sieht er zunächst nur die sogenannten Early Adopter, die bei allen Trends sofort dabei sein wollen. Auf lange Sicht sei Cloud Gaming aber eher ein Angebot für Durchschnittsspieler: So könne man auch mal neue Top-Titel in voller Grafikpracht ausprobieren, ohne erst einen teuren Computer kaufen zu müssen.
Multiplayer-Partien sieht Hall auf Diensten wie Stadia, Geforce Now und Co. aber noch nicht – auch wegen der noch immer lückenhaften Versorgung mit schnellen und zuverlässigen Breitbandanschlüssen. Zwischen zehn und 35 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) muss der hauseigene Internetanschluss laut Google für Stadia stabil schaffen – das ist längst nicht überall möglich.
Was bleibt, ist auch nach dieser Gamescom ein Haufen offener Fragen. Für Kunden muss das nicht unbedingt schlimm sein. Warum nicht einmal die neuen Cloud-Gaming-Dienste ausprobieren? Georg Tryba von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat da keine Berührungsängste. „Informieren Sie sich gut und nutzen Sie die kostenlosen Testphasen", lautet sein Rat. So könne man ausprobieren, mit welchem Anbieter die eigene Hardware und der Internetanschluss zusammenarbeiten. Und bevor man Geld in eine Spielebibliothek bei einem neuen Anbieter investiere: die Geschäftsbedingungen lesen. Google Stadia erlaubt etwa das Mitnehmen von Metadaten und Spielständen zu anderen Anbietern. So bliebe bei einer Trennung vom Dienstleister immerhin der Spielfortschritt erhalten. Wie das technisch funktionieren soll, ist bisher allerdings unklar.
Unklar ist auch, ob die Zahl neuer Anbieter zu einer neuen Flut an Exklusiv-Deals führt – so wie Netflix, Amazon und Co. alle Serien haben, die es nur dort gibt.