Stefan Kretzschmar ist der größte Name im deutschen Handball. Von daher ist die Verpflichtung als Sportvorstand für die Füchse Berlin ein Coup. Aber es stellen sich auch Fragen.
Stefan Kretzschmar und Bob Hanning haben sich in der Vergangenheit das ein oder andere verbale Scharmützel geliefert, doch zuletzt verstanden sich beide außerordentlich gut. Deswegen nahm Kretzschmar vor ein paar Wochen auch gut gelaunt Hannings Anruf entgegen – nicht ahnend, dass der sein berufliches Dasein komplett auf den Kopf stellen und ihn „nach Hause" bringen würde.
Früher Differenzen mit Bob Hanning
„Das Telefonat mit Bob war ein kleiner Spaßanruf. Anfangs haben wir gewitzelt, wie es wohl wäre, wenn ich nach Berlin wechseln würde", berichtete der frühere Weltklasse-Handballer Kretzschmar. „Aus Spaß wurde schnell Ernst. Und über den Sommer wuchs die Idee." Am 1. September wurde dann auch die Öffentlichkeit über den Coup informiert: Kretzschmar steigt bei den Füchsen Berlin als Sportvorstand ein. Die Nachricht sorgte in der ganzen Handball-Bundesliga für Erstaunen. Nicht nur die Füchse-Fans freuten sich, dass Kretzschmar nach seinem Ausscheiden vor zehn Jahren beim SC DHfK Leipzig wieder an vorderster Front zu sehen ist. Für die Außenwirkung der Füchse ist der wohl populärste deutsche Handballer ein absoluter Gewinn. Doch nicht wenige Experten fragen sich, ob zwei ausgesprochene Alphatiere wie Kretzschmar und Hanning tatsächlich konstruktiv miteinander arbeiten können. Denn Kretzschmar soll sich in seiner vertraglich festgehaltenen Amtszeit von vier Jahren nicht nur um die Kommunikation nach Außen und die Sponsorensuche kümmern, sondern auch für den Leistungssport verantwortlich sein. „Es gab eine Zeit, in der wir uns sehr bekämpft haben", sagte Kretzschmar der „Berliner Morgenpost" über sein Verhältnis zu Füchse-Geschäftsführer Hanning. Dies sei allerdings immer vor dem Hintergrund geschehen, „dass es auch die Galionsfiguren des Sports sind, die sich dann medial präsentieren und gegeneinander kämpfen." Beide seien eben „sehr ehrgeizige Menschen, die ehrgeizige Ziele verfolgen". Hanning, der mit seinen schrillen Outfits und seinen markanten Sprüchen oft im Mittelpunkt steht, fürchtet Kretzschmar nicht als neuen Machtkonkurrenten. Ganz im Gegenteil. Er war die Triebfeder bei der Verpflichtung, deswegen baggerte er auch wochenlang am 218-fachen Nationalspieler, bis der endlich „Ja" sagte. „Ich bin der glücklichste Handballer der Welt, dass ich das heute verkünden darf", sagte Hanning lächelnd bei Kretzschmars Präsentation.
Wenige Stunden später feierten die Füchse beim 30:23-Sieg gegen den HC Erlangen den ersten Saisonsieg in der HBL. Mittelfristig will der zweimalige EHF-Pokalsieger mit Kretzschmar wieder dichter an die Topteams THW Kiel, Rhein-Neckar Löwen und SG Flensburg-Handewitt heranrücken. „Ich will einen neuen Schub setzen, neue Impulse geben", sagte der frühere Handball-Punk. Anders als bei seinem letzten Verein Leipzig müsse er nicht bei Null anfangen: „Hier ist man schon Spitzenclub. Die Füchse wissen, wie Erfolg geht, auch wenn sie es momentan ein bisschen verlernt haben. Aber das bringen die Zeit und der Wettbewerb mit sich." Für ihn persönlich kam Hannings Anruf gerade zur rechten Zeit. Privat wollte er sich ohnehin Richtung Berlin orientieren, seine Freundin wohnt in der Nähe. „Ich habe das Gefühl nach Hause zu kommen", sagt er: „Es ist wie so oft im Leben: Der Kreis schließt sich."
Zahlreiche Anfragen abgelehnt
Der gebürtige Leipziger wurde an der Kinder- und Jugendsportschule des SC Dynamo Berlin ausgebildet, für den SV Blau-Weiß Spandau absolvierte er seine ersten Bundesligaspiele. Danach zog es Kretzschmar zum VfL Gummersbach und den SC Magdeburg. Doch Berlin blieb immer in seinem Herzen. „Berlin ist nach wie vor meine Heimatstadt", sagt er, „hier leben viele meiner Freunde." Von seinen Freunden bei Magdeburg, mit dem er 2002 die Champions League gewonnen hat, habe er dagegen einige unfreundliche Nachrichten aufs Handy bekommen. „In Magdeburg ist man etwas verstimmt", sagte Kretzschmar: „Der SCM ist nun mein Rivale." So etwas hört Hanning gerne. Der umtriebige Geschäftsführer ist bereit, mit Kretzschmar im sportlichen Bereich als Tandem zu arbeiten – um des Erfolges Willen. „Ich gebe nur etwas ab an jemanden, dem ich 100 Prozent vertraue", sagte Hanning: „Es musste Veränderungen geben, wenn wir den nächsten Schritt gehen wollen." Für Hanning ist die Verpflichtung des extrovertierten Handballstars „die vierte wichtige Säule unserer Entwicklung". Die drei anderen seien die Entscheidungen für einen Gesamtberliner Verein, den Umzug in die Max-Schmeling-Halle und das Nachwuchskonzept. Ein Ritterschlag für Kretzschmar noch vor seinem ersten Arbeitstag. Für die Arbeit bei den Füchsen sagte der frühere Weltklasse-Linksaußen viele andere Termine ab, auch Anfragen anderer Vereine waren darunter. Als Experte für den Pay-TV-Sender Sky wird Kretzschmar aber weiter kommentieren – nur eben keine Füchse-Spiele mehr. „Ich will Kritikern keine Angriffsfläche geben", sagt er. Polarisiert hat Kretzschmar schon immer, ob äußerlich mit seinen vielen Tattoos, den gewöhnungsbedürftigen Frisuren oder seinen meinungsfreudigen Aussagen. In den sozialen Medien bezog er dafür schon reichlich Prügel, deswegen könne er Spieler verstehen, die sich eher mit 08/15-Aussagen in der Öffentlichkeit bewegen. „Keiner will sich aus dem Fenster lehnen, den Kopf weiter rausstrecken als die anderen, um nicht mit dem Hammer einen drüber zu bekommen", sagt Kretzschmar. Hanning will aber den unangepassten Kretzschmar. Deswegen ist es für den Geschäftsführer auch okay, wenn der Sportvorstand nicht jeden Morgen pünktlich am Schreibtisch sitzt. „Stefan ist keiner, der Büroarbeit machen wird", sagt Hanning. Er dagegen wird sich von nun an dort öfter wiederfinden. „Es gibt mir die Möglichkeit, strategischer zu denken und mich bei vielen Dingen künftig herausnehmen zu können", glaubt Hanning. Kretzschmar ist jedenfalls bereit, an vorderster Front anzupacken. In Berlin hat er sein größtes Netzwerk, hierher hat er eine besonders emotionale Verbindung. „Ich kann mich noch genau an den Krieg in den 90er-Jahren erinnern, der unter den Berliner Handball-Clubs tobte. Da haben alle gegeneinander gearbeitet", sagt Kretzschmar. Diesen Krieg haben die Füchse als großes Aushängeschild für den Handball in der Hauptstadt beendet. Der neue Sportvorstand will nun den ganz großen Erfolg bringen: „Wenn nicht in Berlin, wo sonst kann man einen Handballverein in die absolute Spitze führen?"